Psychiatr Prax 2009; 36(4): 200-201
DOI: 10.1055/s-0029-1222548
Serie ˙ Szene ˙ Media Screen
Media Screen
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Unternehmen Lehrbuch psychischer Erkrankungen

Further Information

Publication History

Publication Date:
08 May 2009 (online)

 

Es ist keine zwei Jahrzehnte her, dass man unter einem Lehrbuch eines medizinischen Fachgebiets und damit auch der Psychiatrie eine Abhandlung des gesamten Fachgebiets für Studierende und Ärzte verstand, geschrieben zumeist von einem Ordinarius als Quintessenz und Ausdruck der eigenen jahrzehntelangen klinischen Erfahrung. Der Urtyp dieser Form von Lehrbuch ist in der Psychiatrie das in vielen Auflagen erschienene Standardwerk von Emil Kraepelin, mit nur wenigen und gut identifizierbaren, in ihren Epochen dominierenden Nachfolgern wie etwa Manfred Bleuler. Die letzten Vertreter dieses Lehrbuchtyps sind inzwischen die Neuauflagen der Werke von Huber und Tölle, nunmehr ergänzt durch Co-Autoren, aber trotz aller Anstrengungen nicht mehr in jeder Hinsicht auf dem neuesten Stand. Der Erkenntnis folgend, dass ein einzelner Autor nicht mehr die gesamte Breite des Fachgebiets auf dem neuesten Stand abdecken kann, folgten die Viele-Autoren-Bücher, die sich heute verbreitet durchgesetzt haben. Zunächst einmal durften die berufenen Experten nach einigen inhaltlichen Vorgaben des Herausgebers ihr Spezialgebiet nach eigenem Gutdünken darstellen, zunehmend ergänzt mit Hinweisen auf weiterführende Literatur. Dies genügte bald nicht mehr und es hat sich die Praxis eingebürgert, dass auch Lehrbuchinhalte konsequent mit Literaturangaben belegt werden wie Artikel in Fachzeitschriften. Deutlich weiter geht Mathias Berger in der mittlerweile 3.Auflage seines Lehrbuchs, welche zehn Jahre nach der ersten erscheint. Alle Autoren sind dabei verpflichtet, ihre Aussagen mit qualitätsgeprüften Übersichtsarbeiten der Cochrane-Collaboration abzugleichen. Wie schon bei der 2.Auflage werden alle drei Monate die von der Cochrane-Collaboration publizierten systematischen Reviews gesichtet und bei Relevanz für das Handbuch den jeweiligen Autoren zur Kommentierung übersandt. Aktualisierungen werden ständig auf einem zum Lehrbuch gehörigen, vom Verlag mitgetragenen Internet-Portal publiziert, was den sonst zwangsläufig zunehmend schnellen Verlust an Aktualität verhindern soll. Der Leser des Bands erwirbt mit dem Kauf eine Zugangsnummer, mit der er über das Internet Zugriff auf eine ständig aktuelle Version des Buchinhalts hat. Aus dem individuell gestalteten Lebenswerk eines einzelnen Psychiaters ist auf diesem Weg ein regelrechtes Unternehmen geworden, das ständig produziert und viele Mitarbeiter beschäftigt (und sich von anderen Unternehmen im Wesentlichen dadurch unterscheidet, dass Geschäftsführer/Herausgeber und Mitarbeiter auf eine der aufgewendeten Arbeitszeit und eigenen Qualifikation adäquate Honorierung von vornherein verzichten).

Mit über 1 200 Seiten und fast 3kg auf dem Tisch liegend, wirkt dieses Lehr- und Handbuch erst einmal fast ehrfurchtgebietend abschreckend. Hat man sich aber einmal auf die Lektüre eingelassen, besticht schnell eine übersichtliche Gliederung und ein bemerkenswert einheitlicher Stil, dem man die vielen Autoren nur noch im Hinblick auf die durchgängig hohe Qualität, nicht aber auf eine Heterogenität anmerkt. Das Layout ist ansprechend, die Orientierung innerhalb des Buches mit unterlegten Markierungen am Seitenrand einfach. Tabellen und Info-Boxen fassen wichtige Schlüsselinformationen übersichtlich zusammen und für alle Therapiefragen gibt es die roten EBM-Boxen: Hier wird jeweils die aktuelle Evidenzlage nach den Cochrane-Reviews dargestellt. Dass zu allen Themen umfassende Literaturhinweise aufgeführt sind, kann angesichts der Gesamtkonzeption als selbstverständlich betrachtet werden. Insgesamt handelt es sich um ein Handbuch mit einem Konzept, das sich auch angesichts hochwertiger Konkurrenz zunehmend als State of the Art etabliert hat und vor allem, was heutzutage bekanntlich als nahezu wichtigstes Qualitätsmerkmal gilt, nachhaltig und zukunftsfähig wirkt.

Tilman Steinert, Weissenau

Email: tilman.steinert@zfp-zentrum.de

Berger M (Hrsg.) unter Mitarbeit von Hecht H. Psychische Erkrankungen. Klinik und Therapie. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Cochrane-Zentrum. 3. Auflage, München, Jena: Urban und Fischer, 2009, 1204 S., zahlreiche Tabellen und Abbildungen, geb., 199 €, ISBN 978-3-437-22481-2