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DOI: 10.1055/s-0029-1233385
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
"Time to say goodbye?" - Expertenkomitee empfiehlt zur Diagnose des Diabetes HbA1c statt Glukosemessung
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
30. Juni 2009 (online)
Bereits vor mehr als einem Jahr berichteten wir über laufende Diskussionen darüber, ob die Messung des HbA1c für die Diagnose des Diabetes nicht aussagekräftiger wäre als der Nüchternblutzucker oder ein oraler Glukosetoleranztest. Ein internationaler Ausschuss mit Experten aus der Amerikanischen Diabetes-Gesellschaft (ADA), der Internationalen Diabetes Federation (IDF) und der Europäischen Diabetes-Gesellschaft (EASD) hat sich mit dieser Frage weiter auseinandergesetzt und bei der diesjährigen Tagung der ADA in New Orleans die Ergebnisse seiner Diskussion vorgestellt - die aber, wohlgemerkt, von den Gesellschaften noch zu beschließen und als Empfehlung zu verabschieden wären. Verabschieden aber sollen wir uns demnach bei der Diagnose eines Diabetes von der Messung sowohl des Nüchternblutzuckers als auch vom 2-Stunden-Wert, dem oralen Glukosetoleranztest (oGTT). Der entsprechende Vorschlag mit Begründung wird in der Juli-Ausgabe von Diabetes Care publiziert werden, wurde aber bereits in einem Symposium bei der Tagung der ADA am 5. Juni 2009 in New Orleans vorgestellt und diskutiert.
#Verlauf besser als Momentaufnahme
Im Gegensatz zum Glukosespiegel, der je nach Messung und Messzeitpunkt auch intraindividuell variieren kann, ist der HbA1c-Wert, der den Verlauf über einen längeren Zeitraum widerspiegelt, sehr viel stabiler, erklärte David M. Nathan, Direktor des Diabeteszentrum am Massachusetts General Hospital und Professor an der Harvard Medical School, der das Expertenkomitee leitete. Und vor allem, so der Experte, sei die Messung des HbA1c für die Patienten auch bequemer, weil sie hier vor der Messung nicht fasten müssen. Und der oGTT sei ein Stresstest, der nicht dasselbe misst wie der HbA1c. So wie wir heute erwarten, dass jeder Mensch seinen Blutdruckwert und seine Lipidwerte kennt, meint Nathan, so sollte er künftig auch seinen HbA1c kennen.
Einen festen Bezugspunkt für den Diabetes wollte das Komitee allerdings nicht setzen. Basierend auf den Untersuchungen zur Retinopathie schlägt es vor, den Wert von 6,5 % als Schwelle zu setzen, bei der das Vorliegen eines Diabetes vorausgesetzt werden kann. Unter dieser Schwelle treten praktisch keine Zeichen einer Retinopathie auf. Dies zeigten eingehende Untersuchungen mit verschiedenen Methoden bei unterschiedlichen Populationen. Zwischen 6 % und 6,5 % besteht demnach ein hohes Risiko für die Entwicklung eines Diabetes - dies sei aber nicht als feste Grenze, sondern als ein fließender Vorgang zu betrachten. Zur Sicherung der Diagnose sollte ein zweiter HbA1c mit dem gleichen Assay erhoben werden und die Tests sollten nicht ge-mischt werden (Nüchternblutzucker, oGTT).


Bild: Günther Buck
Screening für alle?
Die ADA empfiehlt ein HbA1c-Screening für alle Erwachsenen mit Übergewicht und zusätzlichen Risikofaktoren, wie Diabetes in der Familienanamnese, Hochdruck oder abnormalen Lipidwerten. Aber ab dem Alter von 45 Jahren sollten nach dieser Empfehlung auch diejenigen gescreent werden, die keine zusätzlichen Risikofaktoren haben - und allen mit einem erhöhten Risiko sollten die allgemeinen Empfehlungen zur Risikoverminderung gegeben werden, wie eine Umstellung des Lebensstils mit gesünderer Ernährung, Gewichtsreduzierung und mehr Bewegung. Insgesamt hofft das Komitee, dass die internationalen Gesellschaften und die Berufsverbände die Empfehlung aufgreifen werden und künftig den HbA1c zur Diagnose des Diabetes einsetzen. Im nächsten Schritt sollen also die Gesellschaften die Empfehlung in ihre Leitlinien aufnehmen und die Umsetzung in die gelebte Praxis implementieren.
Kritisch anzumerken ist aber, dass es derzeit rund 25 unterschiedliche Assays zur Messung des HbA1c gibt. Diese seien jedoch, so die Experten, mittlerweile zumeist standardisiert nach den Richtlinien des National Glycohemoglobin Standardization Program (NGSP), das die im Diabetes Control and Compications Trial (DCCT) für den Zusammenhang zwischen mittlerer Blutglukose und dem Risiko für die Entwicklung von Komplikationen festgelegten Kriterien verwendet. Patienten wie Ärzte könnten sich also sicher sein, dass von unterschiedlichen Labors vergleichbare Werte erhalten werden. In bestimmten Situationen jedoch, z. B. bei Anämie und in der Schwangerschaft, gibt der HbA1c aber keine verlässlichen Angaben zur Situation. Hier besteht noch dringender Forschungsbedarf - der Glukosetest ist in manchen Situationen dann doch nicht so einfach zu ersetzen.
Günther Buck
Quelle: Pressekonferenz und Symposium bei den 69th Sessions der American Diabetes Association am 5. Juni 2009 in New Orleans


Bild: Günther Buck