Z Orthop Unfall 2009; 147(5): 517-519
DOI: 10.1055/s-0029-1242058
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

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Vertragsarztpraxen - Kodierung von Behandlungsdiagnosen? – Ja, aber richtig.

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Publication Date:
09 October 2009 (online)

 
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Das Kodieren der Diagnosen nach ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases) gilt in vielen Arztpraxen als lästiger bürokratischer Aufwand. Allerdings wird vor dem Hintergrund des morbiditätsbezogenen Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) und der Kodierrichtlinien der exakte Diagnose – Code zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Wenn im nächsten Frühjahr die geplanten ambulanten Kodierrichtlinien in Kraft treten, könnte manche Vertragsarztpraxis ein Problem haben. Ist es bisher durchaus nicht selten, dass der Arzt das Kodieren für die Abrechnung beispielsweise aus Entlassungsberichten an die Praxishelferin delegiert, so dürfte das künftig schwierig werden. Zum einen, weil Diagnosen nur noch bei Behandlungsaufwand kodiert werden dürfen; zum anderen weil spezifischer kodiert werden muss.

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Steuerung der Finanzflüsse

Obwohl bereits seit 2000 die Vertragsärzte die Behandlungsdiagnosen für Abrechnungszwecke nach ICD – 10 verschlüsseln, schien sich bislang kaum einer ernstlich dafür interessieren. Es gab kaum Rückkoppelungsmechanismen, mit dem Ziel der Verbesserung der Kodierqualität in der vertragsärztlichen Versorgung. Die berufspolitische Bedeutung der Kodierung war gering. Das dürfte sich künftig ändern. Die vertragsärztlichen Behandlungsdiagnosen entfalten seit Jahresbeginn 2009 eine weitreichende Bedeutung für die Steuerung der Finanzflüsse im Gesundheitswesen. Damit ändert sich deren berufspolitische Bedeutung. Ursache ist das Inkrafttreten des morbiditätsbezogenen Risikostrukturausgleichs und der Regelungen zur morbiditätsbezogenen Gesamtvergütung im Rahmen der vertragsärztlichen Honorarreform. Beide Maßnahmen sollen dazu beitragen, die Finanzierungsströme in der GKV stärker auf den Versorgungsbedarf auszurichten.

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Alltag eines Arztes: lästiger "Papierkram". Mit der sich in Entwicklung befindenden Kodierhilfe des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung steht den Praxen bald eine Software zur Verfügung, die die Dokumentation der Behandlungsdiagnosen erheblich erleichtert (Quelle: MEV).

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Morbiditätsbezogener Risikostrukturausgleich

Knapp die Hälfte der Mittel des Gesundheitsfonds (167 Mrd. €) wird den Krankenkassen auf Basis von Morbiditätskriterien zugewiesen. Maßgeblich hierfür ist die vom Bundesversicherungsamt (BVA) veröffentlichte Liste der rund 4000 ICD-Schlüsselnummern und deren Zuordnung zu 106 Morbiditätsgruppen. Jede dieser 106 Morbiditätsgruppen ist seitens des BVA ein Eurobetrag zugewiesen worden; dieser entspricht dem zusätzlichen Ausgabenrisiko, welches eine Krankenkasse für Versicherte erwarten muss, die im Vorjahr wegen einer entsprechenden Krankheit behandelt wurden. Weist ein Versicherter eine oder mehrere Diagnosen aus einer der 106 Gruppen in mindestens zwei Quartalen des Vorjahres auf (und sind ggf. ergänzende Kriterien der Arzneimittelverordnung erfüllt), löst dies für die Kasse den finanziellen Zuschlag aus, der für diese Gruppe vorgesehen ist. Ergänzende Kriterien der Arzneimittelverordnung müssen für rund die Hälfte des morbiditätsbezogenen Zuschlagsvolumens erfüllt werden.

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Morbiditätsbezogene Gesamtvergütung

Bestandteil der morbiditätsbezogenen Gesamtvergütung sind vertragsärztliche Leistungen, die einer Mengensteuerung durch Regelleistungsvolumen unterliegen. Die Weiterentwicklung der morbiditätsbezogenen Gesamtvergütung hängt künftig neben anderen Faktoren (Kostenentwicklung, Leistungsabgrenzung) insbesondere von der Veränderung der Morbiditätsstruktur ab. Zudem soll der Anteil der einzelnen Krankenkasse an der morbiditätsbezogenen Gesamtvergütung ab 2010 von der jeweiligen Risikostruktur der Krankenkasse abhängig gemacht werden. Prinzipiell sind alle Behandlungsanlässe, also auch Akutkrankheiten, relevante Indikatoren der Morbiditätsentwicklung. Die vertragsärztlichen Abrechnungsdiagnosen sind maßgeblich zur Erfassung des Morbiditätsrisikos und seiner Veränderung – und somit tragender Bestandteil für die Gestaltung der Mengenkomponente der künftigen Gesamtvergütung. Für die künftige Berechnung der Morbiditätsentwicklung muss der Bewertungsausschuss der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung aber erst noch konkrete Beschlüsse über die berücksichtigungsfähigen ICD-Schlüsselnummern treffen. Danach wird das in der vertragsärztlichen Versorgung maßgebliche Klassifikationsverfahren zur Bildung der Risikoeinheiten veröffentlicht.

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Bedeutung für die Vertragsarzt-Praxis

Das Institut des Bewertungsausschusses (InBA) ist beauftragt, Mitte des Jahres 2009 Kodierrichtlinien für die vertragsärztliche Versorgung vorzulegen. Das InBa wird dabei durch eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-SiV) und des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Die Kodierrichtlinien werden voraussichtlich im kommenden Frühjahr in Kraft treten. Für die vertragsärztliche Praxis ist damit eine erhebliche Umstellung verbunden. Der sicherlich zunächst deutlich höhere Mehraufwand wird als Belastung empfunden und dürfte die Frage aufwerfen, ob sich das alles für den Vertragsarzt lohnt. Zunächst ergeben sich keine erkennbaren Vorteile. Allerdings birgt die Entwicklung bei näherer Betrachtung auch einige Chancen, die der Vertragsarzt nutzen sollte. Als wichtiger Informationsbaustein kann die sorgfältige Kodierung für ein praxisinternes Qualitätsmanagement genutzt werden, vorausgesetzt sie erfolgt EDV-gestützt und kann ausgewertet werden. Trotz der Schwachstellen der ICD-10 kann sie in Verbindung mit anderen Dokumentationsbausteinen (Röntgenbefunden, Laborwerten etc.) Behandlungspfade einzelner Patienten darstellen und abrufbar machen.

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Hilfe von der ärztlichen Selbstverwaltung

Die Praxen können sich im Gegensatz zu den Krankenhäusern keinen eigenen Medizincontroller leisten. Daher braucht es eine EDV-gängige Kodierhilfe, welche die Kodierrichtlinien integriert. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung entwickelt eine Kodierhilfe, die derzeit erprobt und sukzessive aufgebaut wird. Die für Orthopäden und Unfallchirurgen vorwiegend relevanten Codes sind in Vorbereitung.

In Form einer Checkliste wird für jede ICD-Schlüsselnummer in Kurzform dargestellt, welche Voraussetzungen bzw. wichtigen Merkmale ein Patient aufweisen sollte, für den dieser ICD-Code dokumentiert wird. Die Checkliste stützt sich dabei auf verschiedene Kriterien wie Vorgaben (Kodierrichtlinie, Ein- und Ausschlusskriterien des ICD-10), Befunde (z.B. anamnestische Information, Labor, bildgebendes Verfahren), Vorbefunde, Therapiemaßnahmen etc., deren Bedeutung gewichtet wird (vorgegeben, notwendig, möglich). Dabei werden die einzelnen Merkmale soweit nicht explizit vorgegeben aus Standardwerken und Leitlinien abgeleitet und danach in fachübergreifenden Arbeitsgruppen mit niedergelassenen Ärzten im Hinblick auf Praxisrelevanz und Praktikabilität konsentiert. Die Ergebnisse werden zunächst in einer Online-Plattform dokumentiert und abrufbar gemacht; sie können dort auch kommentiert werden. Später können sie z.B. für Fortbildungen oder in der Praxissoftware zur Verfügung gestellt werden.

Abbildung [1] zeigt das Beispiel einer Checkliste aus dem Bereich Diabetes mellitus, in diesem Fall des Diabetischen Fußsyndroms. Eingebettet in eine Praxissoftware könnte anhand der vorliegenden Befunde nach den in Frage kommenden Schlüsselnummern gesucht und die Entscheidungsgrundlage für die Vergabe des ICD-Codes nach Checkliste dokumentiert werden. Dies dürften wichtige Voraussetzungen für eine Delegation von Kodierungsentscheidungen in den Praxen sein.

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Abb. 1 ZI-Kodierhilfe: Beispiel einer ICD Darstellung als Checkliste: Typ 2 Diabetes mit diabetischem Fußsyndrom E11.74.

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Kodierung des "Diabetischen Fußsyndroms"

Der diabetische Fuß wurde auf Antrag aus dem DRG Bereich 2009 aus der Gruppe E--.7- herausgelöst und inhaltlich als eine Form der "sonstigen multiplen Komplikationen" mit einem Extra – Code versehen (in 2 Formen: entgleist und nicht als entgleist bezeichnet).

E--.7- mit multiplen Komplikationen

E--.72 mit sonstigen multiplen Komplikationen, nicht als entgleist bezeichnet

E--.73 mit sonstigen multiplen Komplikationen, als entgleist bezeichnet

E--.74 mit diabetischem Fußsyndrom, nicht als entgleist bezeichnet

E--.75 mit diabetischem Fußsyndrom, als entgleist bezeichnet

Ein diabetisches Fußsyndrom bei einem Typ 2 Diabetiker würde nach ICD 10 (2009) mit E11.74 kodiert.

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Lohnt sich der Aufwand?

Die Frage würden momentan die meisten Vertragsärzte mit nein beantworten, wird doch der erwartete erhebliche Dokumentationsaufwand berechtigterweise kritisiert. Bislang fehlen finanzielle Anreize, welche die Mühe erleichtern würden. Allerdings wird die Entwicklung zur edv-basierten Behandlungsdokumentation nicht zu stoppen sein, und zeitig vorbereitete Praxen werden künftige Anforderungen besser meistern können. Außerdem sollten sich die Vertragsärzte die in einem angemessenen Praxisdokumentationssystem verborgene Chance zur Optimierung des Qualitätsmanagements nicht entgehen lassen.

Die in der Entwicklungsphase befindliche ZI - Kodierhilfe des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung ist auf der Homepage (www.zi-berlin.de) unter "ZI-Kodierhilfe" aufrufbar. Kommentare (über die integrierte Email-Funktion) sind ausdrücklich erwünscht.

Dr. med. Rita Engelhardt, Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI), Berlin.

Dr. rer. pol. Dominik Graf von Stillfried, Geschäftsführer des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI), Berlin.

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland ist ein Forschungsinstitut in der Rechtsform einer Stiftung des bürgerlichen Rechts. Geschäftsführer des Zentralinstituts ist Dr. rer. pol. Dominik Graf von Stillfried.

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Das Institut wurde im Jahre 1973 gegründet und wird finanziert durch jährliche Zuwendungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder. Das Institut repräsentiert damit indirekt die ca. 120 000 niedergelassenen Vertragsärzte in der Bundesrepublik Deutschland.

Die Forschungsarbeiten und Studien des Zentralinstituts beschäftigen sich vorwiegend mit dem ambulanten Gesundheitsbereich. Die Projekte werden teils durch einen eigenen Stab wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentralinstitut, teils durch Vergabe von Forschungsaufträgen durchgeführt. Zu den wesentlichen Aufgabenbereichen gehören:

  • Gesundheitsökonomie und Wirtschaftlichkeitsanalysen in der ambulanten Versorgung

  • Versorgungsforschung

  • Konzeption und Auswertung von Programmen im Bereich der primären und sekundären Prävention

  • Disease Management für chronische Erkrankungen (z.B. Diabetes, Brustkrebs und koronare Herzerkrankungen) Therapie- und Schulungsprogramme im Bereich Diabetes und Hypertonie

  • Telematik und Datenverarbeitung in der Arztpraxis

  • Datenträgeraustausch zwischen Arztpraxis und Kassenärztlichen Vereinigungen sowie Entwicklung von DV-Schnittstellen für den Datentransfer

  • Konzeption für die Infrastruktur des elektronischen Arztausweises als Komplementärfunktion zur Krankenversichertenkarte

  • Bereitstellung von Arzneimittelinformationen im Arzneimittelinformationssystem

  • Medizinische Klassifikation ICD-10, OPS, Diagnosenthesaurus

Empirische Studien und sekundärstatistische Auswertungen bilden wesentliche Datenbasen für die Forschungsarbeit des Zentralinstituts. Das Zentralinstitut steht in Verbindung mit Universitätsinstituten und führt Forschungsaufträge für nationale Ministerien und auf europäischer Basis für die EU Kommission durch. In einer eigenen wissenschaftlichen Reihe, die im Deutschen Ärzteverlag erscheint, werden die Ergebnisse der Forschungsarbeiten des Zentralinstituts publiziert. (www.zi-berlin.de)

 
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Alltag eines Arztes: lästiger "Papierkram". Mit der sich in Entwicklung befindenden Kodierhilfe des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung steht den Praxen bald eine Software zur Verfügung, die die Dokumentation der Behandlungsdiagnosen erheblich erleichtert (Quelle: MEV).

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Abb. 1 ZI-Kodierhilfe: Beispiel einer ICD Darstellung als Checkliste: Typ 2 Diabetes mit diabetischem Fußsyndrom E11.74.

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