ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2009; 118(10): 469
DOI: 10.1055/s-0029-1243103
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Macht der Gedanken

Cornelia Gins
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Publication Date:
06 November 2009 (online)

Die letzten warmen Sonnenstrahlen des herrlichen Spätsommers konnten die Herzen noch einmal erfreuen. Nun beginnt sie wieder: die dunkle und feuchte Jahreszeit und die Praxen füllen sich. Die Abrechnung des 3. Quartals hat zumeist eine geringere Patientenzahl. Doch nun hat der Mensch wieder Zeit, auch auf seine Befindlichkeiten zu achten. Der Zahnarzt wird in den meisten Fällen wegen fälliger Vorsorgeuntersuchungen aufgesucht. Nach der Frage, ob denn unabhängig von dem Vorsorgetermin Beschwerden aufgefallen seien, ist die Antwort oft: „Wissen Sie Frau Doktor, seit ich den Termin gemacht habe, tut mir links oben etwas weh.” In 99? % der Fälle ist „links oben” alles in Ordnung. Simuliert der Patient also? Das tut er sicher nicht, er hat nur ein bekanntes Phänomen geäußert. Er hat seine Gedanken an den Zahnarzttermin unbewusst (?) an unangenehme Erinnerungen an eine Zahnbehandlung gekoppelt und den Zahnschmerz in „echt” produziert.

Nicht nur selbst gemachte Erfahrungen, sondern auch Vorstellungen, beispielsweise von Krankheiten, können zu der Erkrankung selbst führen. Sie werden sich sicher noch an die Studienzeit erinnern, in der wir alle Krankheitssymptome, die in den Vorlesungen und Lehrbüchern auftauchten, an uns selbst entdeckten. Bekannt ist auch das Phänomen: krank durch Beipackzettel. Jede Nebenwirkung wird durchlebt. Das sind keine neuen Erkenntnisse, auch der Placebo–Effekt beruht auf diesem Prinzip.

Interessant dazu die Geschichte eines Mannes, der in suizidaler Absicht 30 Tabletten eines starken Psychopharmakas nahm, das er aufgrund einer Teilnahme an einer Studie zu Hause hatte. Mit einem schweren Zusammenbruch kam er ins Krankenhaus. Seine Beschwerden verschwanden aber schlagartig, als er erfuhr, dass seine Tabletten zur Placebo–Kontrollgruppe gehörten. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass im Gehirn dieselben Rezeptoren angesprochen werden unabhängig davon, ob beispielsweise eine schmerzstillende Wirkung eines Medikaments erwartet wird, oder ob es tatsächlich verabreicht wird. Leider ist dieser Mechanismus nicht nur auf Medikamente oder Therapien beschränkt, sondern auch auf das ärztliche Gespräch. Die negativen Assoziationsketten, die eine Äußerung des Arztes hervorrufen kann, sind daher nicht zu unterschätzen.

Gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen haben die Menschen labiler werden lassen. Die bevorstehende dunkle Jahreszeit begünstigt depressive Grundstimmungen. Die Angst davor, ernsthaft krank zu werden, hat die Patienten hellhöriger werden lassen. Daher gehört es auch als Zahnarzt dazu, nicht nur die physikalischen und chemischen Wirkungen der Therapie zu kennen, sondern sich auch der Bedeutung seiner Worte bei der Wahl seiner Terminologie im Patientengespräch bewusst zu sein. Die Macht der negativ induzierten Gedanken hat leider ein nicht zu unterschätzendes Potenzial.

Cornelia Gins

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