Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2010; 45(1): 44-55
DOI: 10.1055/s-0029-1243378
Fachwissen
Topthema: Schmerztherapie und ambulante Versorgung
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ambulante Schmerztherapie – Optimierung der Schmerztherapie nach ambulanten Operationen

Pain management after ambulatory surgery in GermanyJan S. Englbrecht, Esther M. Pogatzki–Zahn
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Publikationsdatum:
20. Januar 2010 (online)

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Zusammenfassung

Die Zahl ambulanter Operationen in Deutschland nimmt stetig zu. Nicht nur aus ethischen Gründen und wegen eines guten Heilungsprozesses, sondern auch aus ökonomischen Gründen ist eine adäquate postoperative Schmerztherapie gerade im ambulanten Bereich sehr wichtig. Diese ist aber teilweise immer noch insuffizient, wie aktuelle Studien zeigen. Der folgende Artikel geht auf die Probleme ein, die zurzeit in Deutschland im Bereich des ambulanten Operierens eine optimale Schmerztherapie noch nicht gewährleisten. Gleichzeitig stellt dieser Beitrag verschiedene medikamentöse Behandlungskonzepte, Substanzen mit ihren Vor– und Nachteilen und Behandlungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der Art der Operation und der Begleiterkrankungen des Patienten vor. Ein wichtiger Aspekt ist die multimodale Analgesie, die im ambulanten Bereich eine gezielte und ausgewählte Basisanalgesie mit Nichtopioidanalgetika (NOPA) erfordert. Bestimmte NOPA sind hier besonders geeignet und anderen überlegen. Nebenwirkungen der NOPA sind zu berücksichtigen. Ein in Zukunft deutlich zu überdenkender Aspekt ist auch die Implementierung regionaler Analgesieverfahren (idealerweise kontinuierlicher Katheter–Regionalanalgesieverfahren) im ambulanten Bereich. Hier können wir von anderen Ländern lernen und die Schmerztherapie nach ambulanten Operationen auch hierzulande optimieren.

Abstract

An increasing percentage of surgical procedures are performed in an ambulatory setting. However, a fairly high number of patients experience moderate to severe postoperative pain and pain is a common reason for unanticipated hospital admission. An adequate postoperative pain therapy in the ambulatory setting is therefore essential not only for ethical reasons or improvements in recovery but also for economic reasons but – in Germany – still remains inadequate. The following article deals with the problems that cause inadequat pain therapy after ambulatory surgery in Germany and introduces different therapeutic options, strategies and drugs relevant to optimize pain therapy after ambulatory surgery. Major aspects are education of the patient, the use of adequate non–opioid analgesics and implementation of regional analgesia techniques. Non–opioid analgesics are known to be effective to reduce opioid requirements and side effects; however, not all non–opioid analgesics are similar effective. Furthermore side effects and risks of these drugs need to be considered in individual patients. Benefits from regional anesthesia and analgesia techniques are well known after sugery. Experiences from other countries demonstrate improved analgesia, less side effects (e.g. sedation, insomnia) and increased patients satisfaction associated with continuous peripheral nerve blocks at home. In Germany, these techniques are not frequently used but need to be considered in the future to optimize postoperative pain management after ambulatory surgery.

Kernaussagen

  1. 33–78  % der Patienten haben in den ersten 24–48 Stunden nach ambulanten Operationen mäßige bis starke Schmerzen.

  2. Nichtopioidanalgetika (NOPA) sind häufig als alleinige Analgetika völlig ausreichend und sollen nach größeren Operationen als Basisanalgetika den Bedarf an Opioiden so weit wie möglich senken.

  3. Metaanalysen zeigen eine deutliche Überlegenheit von tNSAR und Coxiben gegenüber Paracetamol. Für Metamizol ist die Datenlage noch gering. Falls keine KI vorliegen, sollte bei ambulanten Operationen ein Coxib oder ein tNSAR als Basisanalgetikum verabreicht werden.

  4. Das bisher als unbedenklich eingestufte Paracetamol muss hinsichtlich der Nebenwirkungen/Risiken neu eingestuft werden. So führt die Gabe von Paracetamol in klinisch relevanten Konzentrationen zu einer selektiven COX–2–Hemmung; das Risiko kardiovaskulärer Komplikationen könnte damit dem der Coxibe (und tNSAR) vergleichbar sein.

  5. Kritisch wird die Paracetamol–Gabe im Säuglings– und Kindesalter diskutiert. Bei Kindern liegt die effektive Dosis von Paracetamol sehr nahe an der toxischen Dosis. Erschwerend kommt hinzu, dass zwischen der Einnahme von Paracetamol im ersten Lebensjahr und dem Auftreten von Exzemen sowie Asthma bronchiale im Alter von 6–7 Jahren ein möglicher Zusammenhang besteht. Eine Kombination von NOPA kann zurzeit aus evidenzbasierter Sicht nicht empfohlen werden.

  6. Opioide in der Schmerztherapie nach ambulanten Operationen sind unzureichend systematisch untersucht. Die analgetische Wirksamkeit von oral applizierbarem Tramadol sowie Tilidin (plus Naloxon als Valoron) in der postoperativen Phase ist aber belegt und praktikabel.

  7. Bei Tramadol muss eine genetisch bedingte verminderte analgetische Wirkung bei ca. 10  % aller kaukasischen Patienten perioperativ beachtet werden („poor metabolizer” aufgrund eines Polymorphismus im Zytochromoxidasesystem CYP2D6).

  8. Gabapentin/Pregabalin haben vor allem bei großen Operationen mit zu erwartenden starken und sehr starken Schmerzen nachgewiesenermaßen günstige Effekte, können aber im ambulanten Bereich aufgrund eines ungünstigen Nebenwirkungsprofils (Sedierung in den bisher eingesetzten Dosierungen) bis auf Weiteres nicht empfohlen werden.

  9. Da kontinuierliche regionale Analgesieverfahren eine deutlich bessere Analgesiequalität und weniger Nebenwirkungen mit sich bringen als eine systemische Analgesie, könnte der Einsatz von Katheterverfahren im ambulanten Bereich eine deutliche Verbesserung der heute noch unzureichenden schmerztherapeutischen Versorgung ambulanter postoperativer Patienten darstellen.

Literatur

Dr. med. Jan S. Englbrecht
Prof. Dr. med. Esther M. Pogatzki–Zahn

eMail: Jan.Englbrecht@ukmuenster.de

eMail: pogatzki@anit.uni-munester.de