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DOI: 10.1055/s-0029-1243952
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Radiologie ohne Gesicht ? Wahrnehmung und Wirklichkeit
Publication History
Publication Date:
04 March 2010 (online)
Die Rolle der Radiologie in der medizinischen Versorgung und ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist durch mehrere Publikationen der jüngsten Zeit verstärkt in das allgemeine Interesse gerückt.
Grundtenor dieser Mitteilungen ist die Diskrepanz zwischen der de facto herausragenden Rolle der bildgebenden Diagnostik für die klinische Medizin auf der einen Seite und der eher unterschätzen Bedeutung des Fachgebiets und des Radiologen auf der anderen Seite. Exemplarisch spiegelt sich dies in den Ergebnissen einer Umfrage aus Großbritannien wider, wonach von knapp 1 000 befragten Patienten nur 36 % ihn, den Radiologen, für die Auswahl der Untersuchung, 53 % für die Durchführung derselben, immerhin aber 65 % für die Befundung verantwortlich sahen. Eine entscheidende Rolle in der Behandlung wurde ihm in 39 % zugesprochen. Nur 45 % der Befragten sahen den Radiologen als Mitglied des behandelnden Ärzteteams an (Grant L et al 2009 Eur Radiol). An diesem Informationsdefizit hat offenbar auch die zunehmend stärkere Präsenz der Medizin in den Medien nichts geändert.
Wenngleich derartige Umfragen stark vom befragten Kollektiv, den ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen im Gesundheitswesen, der Facharztstruktur und vielen anderen Faktoren abhängig sind, dürften die Ergebnisse bei uns nicht wesentlich anders ausfallen. Dies ist in Anbetracht der Häufigkeit von Röntgenuntersuchungen erstaunlich. Bei uns entfielen 2005 auf jeden Einwohner etwa 1,6 Röntgenuntersuchungen pro Jahr, wobei ⅓ auf die zahnmedizinische Röntgendiagnostik entfällt. Die Zahl der CT-Untersuchungen lag im gleichen Zeitraum bei 110 pro 1 000 Einwohner mit steigender Tendenz, die der MRT-Untersuchungen bei 90 pro 1 000 Einwohner mit stark steigender Tendenz (BfS Jahresbericht 2007).
Welches sind die Gründe für diese Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit?
Die modernen bildgebenden Verfahren mit ihrem großen Informationsgehalt haben die traditionellen klinischen Untersuchungsverfahren weitgehend abgelöst; sie sind gleichsam integraler Bestandteil der klinischen Untersuchung geworden.
Die diagnostische Leistung wird primär der Technologie zugeordnet, weniger dem Radiologen, eher dem primär behandelnden Arzt, welcher die Untersuchung veranlasst hat.
Die dominante Rolle der Technologie im Bewusstsein des Patienten wird allein schon durch Slogans wie kürzlich auf dem Bayerischen Röntgenkongress „Wie viele Zeilen braucht der Mensch?” deutlich.
Die modernen bildgebenden Verfahren sind nicht- oder minimal-invasiv, kaum belastend und für den Patienten komfortabel. Dies führt zu einer „Geringschätzung” der Leistungen, zumal dann, wenn sie leicht zugänglich sind.
Traditionelle arztbezogene Leistungen in der Radiologie wie Angiografie, Phleobografie, gastrointestinale Durchleuchtungsuntersuchungen, Myelografie und andere mehr sind zunehmend in den Hintergrund getreten, da sie durch die Schnittbildverfahren oder durch endoskopische Techniken abgelöst wurde. Dadurch hat sich der Arzt-Patienten-Kontakt minimiert und radiologische Untersuchungen werden – von den interventionellen Techniken abgesehen – zunehmend als technische Leistungen wahrgenommen.
In Deutschland bedingen die Aus- und Weiterbildungsrichtlinien ein zusätzliches Handicap für die Radiologie. Im Studium der Humanmedizin ist die Radiologie als selbständiges Querschnittsfach nur noch marginal vertreten. Die Inhalte sind in die klinischen Teile integriert, dass eine adäquate zusammenhängende Darstellung des Fachs weder inhaltlich noch organisatorisch möglich ist.
Die Weiterbildungsordnung eröffnet weiterhin die Möglichkeit der „Teilgebietsradiologie”
All diese Umstände tragen dazu bei, dass die Radiologie nicht als Schlüsseldisziplin in der klinischen Medizin, sondern als supportive Disziplin wahrgenommen wird. Oberflächlich betrachtet könnte eine stärkere Präsenz in den Medien oder im Internet Abhilfe schaffen, zumal Gesundheitsthemen ein regelmäßiger Bestandteil in Zeitschriften, Funk und Fernsehen geworden sind. Realistisch ist diese Aussicht jedoch kaum, denn der Patient sucht in diesen Informationsportalen, seien es Suchmaschinen, Online-Nachschlagewerke wie Wikipedia oder Online-Diskussionsforen nach seinem Leiden. Hier steht dann das Krankheitsbild im Vordergrund und nicht der Radiologe, selbst dann nicht, wenn er den entscheidenden Beitrag zu Diagnostik und Therapie leistet.
Nun wäre es ein Fehler, diese Situation als gegeben hinzunehmen. Sie kann geändert werden und nur wir Radiologen selbst können das erreichen. Als klinische Radiologen müssen wir den Patientenkontakt pflegen – das Gespräch mit dem Patienten ist langfristig eine gut investierte Zeit. Eine intensive interdisziplinäre Teamarbeit ist Voraussetzung dafür, dass der Radiologe in der klinischen Diskussion und Entscheidungsfindung wahrgenommen und gehört wird. Optimale Voraussetzungen dafür sind im stationären Bereich klinische Konferenzen, die der Radiologe besucht und für die er bewusst sein Arbeitsumfeld verlässt, im ambulanten Bereich interdisziplinäre Gemeinschaftspraxen und medizinische Versorgungszentren. Auf diesem Wege wird die Leistung personifiziert und die Radiologie bekommt ein Gesicht.
Prof. Dr. Michael Galanski, Hannover