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DOI: 10.1055/s-0029-1244128
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Einfluss des Operationsteam auf postoperative Wundinfektionen
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
07. April 2010 (online)
Beldi G, Bisch-Knaden S, Banz V et al. Impact of intraoperative behavior on surgical site infections. Am J Surg 2009; 198: 157 – 162
Postoperative Wundinfektionen (POWI) stehen bei chirurgischen Patienten mit 38 % an 1. Stelle der nosokomialen Infektionen (NI), und führen im Schnitt zu einer Verlängerung der Krankenhausverweildauer um 7 – 13 Tage, verbunden mit einer Kostensteigerung um das bis zu 3-fache. Angesichts dieser Tatsachen ist es gleichermaßen naheliegend wie angezeigt, sich über geeignete Maßnahmen Gedanken zu machen, um die Rate an NI zu senken. Wissenschaftler aus Bern und Basel haben sich in einer Studie mit der Frage beschäftigt, ob man mit erweiterten Hygienemaßnahmen diesem Ziel näher kommt, respektive welche Faktoren einen statistisch signifikanten Effekt auf die POWI-Rate haben.
In ihrer prospektiv angelegten Studie wurden rund 1000 Patienten der jeweiligen Untersuchungsgruppe zugeordnet und bis 30 Tage hinsichtlich einer postoperativen Wundinfektion nachverfolgt. Die Autoren konnten zeigen, dass die Erweiterung der Hygienemaßnahmen keinen Effekt hatte, dafür aber der Mangel an Disziplin zu einer Erhöhung des postoperativen Wundinfektionsrisikos führt.
Spätestens seit der NIDEP-Studie (1997) ist bekannt, dass postoperative Wundinfektionen in Deutschland zu den häufigsten nosokomialen Infektionen gehören und mit einem Anteil von ca. 16 % an 3. Stelle stehen. Da der operative Eingriff als ein Prozess einzelner aufeinander aufbauender Schritte zu verstehen ist, ist von multiplen potenziellen Einflussfaktoren auszugehen. Ziel der Untersuchung, die zwischen Juli 2005 und Januar 2007 von der Abteilungen für Viszerale und Transplantationschirugie des Inselspitals in Bern (Prof. Dr. Daniel Candinas) sowie der Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene des Unispitals Basel (Prof. Dr. Andreas Widmer) durchgeführt wurde, war herauszufinden, ob im Zusammenhang mit chirurgischen Eingriffen eine Ausweitung der Hygienemaßnahmen im Vergleich zu den üblichen Standardbedingungen die Inzidenz postoperativer Wundinfektionen senken kann. Darüber hinaus wurde gleichzeitig untersucht, ob das Verhalten der Mitglieder des OP-Teams respektive deren Mangel an Disziplin während den Operationen einen Einfluss auf die Inzidenz von POWI hat. Die Disziplin der Mitglieder des jeweiligen OP-Teams in beiden Untersuchungsgruppen (Standardbedingungen vs. erweiterte antiseptische Maßnahmen) wurde durch geschultes Pflegepersonal fortgesetzt beobachtet und mit einem standardisierten Erhebungsbogen erfasst (s. Abb. [1]).
Abb.1 Die 10 Punkte des in der Studie verwendeten standardisierten Verhaltenserfassungsbogens.
Die routinemäßige Vorbereitung der Patienten in beiden Studiengruppen verlief gleichermaßen. So erfolgte die Haarkürzung jeweils unmittelbar vor dem Eingriff mittels eines elektrischen Haarschneidegerätes (Clipper), die Hautdesinfektion wurde mit einer auf PVP-Jod basierenden Desinfektionsmittellösung durchgeführt und in indizierten Fällen erfolgte die präoperative Gabe der antibiotischen Prophylaxe zur gleichen Zeit. In allen Fällen wurden sterile Einweg-OP-Abdecktücher eingesetzt. Im OP-Saal trugen alle Anwesenden während der Eingriffe Hauben und Mund-Nasen-Schutz (MNS). Darüber hinaus wurde darauf geachtet, dass die Körpertemperatur der Patienten jeweils 36,5-37,0 °C betrug. Der Hautverschluss erfolgte nach der jeweiligen Vorliebe des Chirurgen. Subkutannähte wurden generell nicht gesetzt.
Unter den Standardbedingungen der OP-Abteilung wurden je nach Situation ein oder 2 Paar Handschuhe getragen; ein Wechsel erfolgte nur bei Bedarf. Weder die Patientenabdeckungen noch die Instrumente wurden während der Eingriffe routinemäßig ausgewechselt. Spülungen des Bauchraumes und/oder des Subkutangewebes erfolgten lediglich nach Maßgabe des Operateurs.
Beim erweiterten Hygieneregime wurden zusätzlich folgende Maßnahmen durchgeführt:
Alle Chirurgen trugen über den MNS hinaus Hauben, die sowohl Ohren als auch Halsbereich vollständig bedeckten. Der Wechsel des oberen Handschuhpaares erfolgte jeweils nach:– Anastomosen,– nach einer Tragezeit von 2 Stunden,– nach Verschluss der abdominalen Faszie. Neben den üblichen sterilen Abdecktüchern wurden jodimprägnierte Inzisionsfolien über den nicht abgedeckten Hautarealen des OP-Gebietes aufgeklebt. Das chirurgische Instrumentarium wurde nach jeder Anastomose durch neue sterile Instrumente ersetzt. Zum Operationsende wurde das Abdomen mit mindestens 5l Ringerlösung gespült. Vor dem Abdominalverschluss wurden die Abdecktücher um das Operationsgebiet durch neue ersetzt und die Subkutanregion mit 1l Ringerlösung gespült.
Die Zuteilung der in die Studie eingeschlossenen Patienten zur jeweiligen Gruppe erfolgte nach dem Zufallsprinzip, so dass die Zusammensetzung sowie die Bedingungen beider Gruppen gleich waren.
Die chirurgischen Eingriffe umfassten eine Vielzahl vornehmlich viszeraler oder gastrointestinaler (endokrinologische, obere gastrointestinale, hepatobiliäre und kolorektale) Operationen sowie die Transplantationschirurgie. Im Anschluss an die Operation wurden von den 1032 Patienten 961 bis zum einschließlich 30. postoperativen Tag auf mögliche operationsbedingte Wundinfektionen durch unabhängige Untersucher nachverfolgt. Für die Erhebung und Einteilung der POWI wurden die Kriterien der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zu Grunde gelegt.
Es zeigten sich folgende Ergebnisse:
Die Rate der POWI beider Gruppen unterschied sich nicht.– Sie betrug in der Gruppe mit den Standardbedingungen 14 % und– in der Gruppe mit den erweiterten Hygienemaßnahmen 15 %. Die meisten POWI waren – wie zu erwarten – oberflächlicher Natur. Patientenbezogene Risikofaktoren, wie beispielsweise eine Grunderkrankung oder Komorbidität mit Diabetes mellitus, chronisch-obstruktiven pulmonalen Erkrankung (COPD) oder Immunsuppressionen waren in der Studie nicht mit einer erhöhten Wundinfektionsrate assoziiert.
Die multivariate Analyse ergab allerdings, dass folgende Patientencharakteristika einen signifikanten Einfluss auf die Rate der POWI haben:
Dauer der Operation ≥ 3 Stunden, Übergewicht mit einem BMI von > 30 kg/m2, intestinale Anastomosen sowie der Mangel an Disziplin im OPSaal während der Eingriffe.
Die Faktoren, die diesen Mangel an Disziplin kennzeichneten, waren:
Lärm/Unruhe im Operationssaal während der Eingriffe, Anwesenheit von einer oder zwei zusätzlichen Personen/Beobachtern während der OP, Schichtwechsel beim OP-Team während des Eingriffes.
Den erfahrenen Chirurgen dürfte der Zusammenhang einer höheren postoperativen Infektionsrate mit den zuvor genannten Faktoren nicht weiter überraschen. Es hat sich gezeigt, dass Operationen, deren Dauer oberhalb der 75. Perzentile der üblicherweise benötigten Zeit lagen, auch mit einem erhöhten postoperativen Infektionsrisiko assoziiert waren – in der Studie um das 7,5-fache. Obgleich Mangel an Disziplin und Dauer des Eingriffes als unabhängige Faktoren identifiziert werden konnten, ist eine gegenseitige Beeinflussung nicht auszuschließen. Im Gegenteil scheint es naheliegend zu sein, dass fehlende Aufmerksamkeit, Unterhaltungen und andere (das konzentrierte Arbeiten beeinträchtigende) Störungen die Dauer des Eingriffes erhöhen können.
Die Ergebnisse dieser Studie werden den Autoren zufolge durch Resultate ähnlich gearteter Studien bestätigt, die den Mangel an Disziplin bei chirurgischen Eingriffen nicht nur mit einer erhöhten Inzidenz an postoperativen Wundinfektionen, sondern auch mit weiteren Komplikationen assoziiert sahen. So ist ein Gebot der Ethik und Patienten-Fürsorge, dass im Operationssaal maximal konzentriert und diszipliniert gearbeitet wird. Nicht ohne Grund wird eine Operation vielfach mit einem Langstreckenflug verglichen und so müssen auch die Ansprüche an die Aufmerksamkeit der Operateure mit der von Piloten bei der Vorbereitung, Durchführung und Beendigung eingeforderten Konzentration gleichgesetzt werden. Ähnlich wie dort wird von Haynes und Kollegen die Implementierung einer Checkliste für die chirurgische Routine eingefordert. In einer Untersuchung konnten die Wissenschaftler die signifikante Reduktion von Komplikationen durch die Einführung einer OP-Checkliste nachweisen. Konkret konnte die Studie zeigen, dass mit ihrer Einführung die Rate der Todesfälle von 1,5 auf 0,8% und die Baseline der Komplikationen bei stationären Patienten, die vor Einführung bei 11,0% lag, auf 7% gesenkt werden konnte [N Engl J Med 2009, 360: 2372 – 2375].
Alle Bemühungen, die Rate an Komplikationen und POWI zu senken, unterstützen das weltweite Bestreben der WHO und ihr Programm der World Alliance for Patient Safety (World Alliance for Patient Safety. WHO guidelines for safe surgery. Geneva: World Health Organization, 2008), die zu mehr Patientensicherheit bei der medizinischen Versorgung beitragen will.
Fazit: Im Ergebnis dieser Studie wird jetzt mit Daten bestätigt, was wir schon lange gewusst oder zumindest geahnt haben, nämlich, dass die Dauer des Eingriffes, das Körpergewicht des Patienten und konzentriertes Arbeiten das Risiko für operationsbedingte Komplikationen wie beispielsweise POWI beeinflussen. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass durch eine Erweiterung der Hygienemaßgaben keine Verbesserung im Outcome erreicht werden konnte, während die konsequente Umsetzung der bereits bestehenden Regeln im OP-Saal maßgeblich dazu beiträgt, das Risiko für den Erwerb einer POWI zu reduzieren. Alle Mitarbeiter der OP-Abteilung müssen sich die Spielregeln ihrer Arbeit immer wieder neu ins Bewusstsein rücken: OP-Türen geschlossen halten, Personenzahl im OP beschränken, Bewegungen im Saal minimieren und keine unnötigen fachfremden Gespräche führen. Die Aufgaben sind klar zu verteilen und zu beachten. Denn weder teure Instrumente noch eine noch so ausgefeilte Technologie können die Einhaltung dieser einfachen Verhaltensregeln ersetzen. Sie zu befolgen ist ein Gebot der Patientenfürsorge, Arbeitssicherheit und Qualitätssicherung; ihre Missachtung darf nicht weiter als Kavaliersdelikt geduldet werden! Anders ausgedrückt und auf den Punkt gebracht, heißt das: Der Mangel an Disziplin stellt eine unmittelbare Patientengefährdung dar!
Dr. med. Ernst Tabori, Freiburg