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DOI: 10.1055/s-0029-1245340
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Editorial
Publication History
Publication Date:
06 May 2010 (online)
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
zurzeit verändert sich sehr vieles in der Ergotherapie. Veränderungen erzeugen meist Unsicherheit, manchmal gar Angst, nicht mitzukönnen, nicht mehr mitzukommen. Der Wandel und die Dynamik der Entwicklungen bieten allerdings stets Gelegenheit, darüber nachzudenken, was ist, was war, was sein wird oder sein könnte: vor allem aus dem Blickwinkel heraus, was es braucht, damit es werden kann.
Als ich vor mehr als 30 Jahren meine Ausbildung machte, war es ganz klar, dass Ergotherapie ein Gesundheitsberuf ist, dass mein zukünftiger Arbeitsplatz einmal in einem Krankenhaus, einem Rehabilitationszentrum oder in einer speziellen Einrichtung für Behinderte sein würde. Damals ging es um eine immer besser werdende Krankenversorgung. Rehabilitation (Habilitation) war etwas Innovatives, das langsam und systematisch ausgebaut wurde. Für Menschen mit Behinderungen galt es Betreuungseinrichtungen zu schaffen, deren Ziel es war, die Betroffenen wegen ihrer funktionellen Defizite einer Behandlung zuzuführen.
Heute haben sich die Herausforderungen und Probleme in unserer Gesellschaft verlagert. So klagt das Gesundheitssystem über steigende Kosten, ohne dass die Gesellschaft gesünder würde – die chronischen Krankheiten nehmen in einem erschreckenden Maß zu. Die Lebenserwartung ist in den letzten Jahren zunehmend gestiegen und wird weiter steigen, die sogenannte „Überalterung‘ der Bevölkerung braucht Lösungen, um leistbare Modelle für ein Altern in Würde und mit Qualität zu ermöglichen. Wir verzeichnen in unseren Ländern eine erschreckend hohe Arbeitslosigkeit, zunehmende Verarmung und immer mehr Obdachlose. Auch gibt es ständig neue Zuwanderer, die in unsere Länder kommen – als Arbeiter, nachgeholte Familienangehörige, Asylanten und Flüchtlinge. Die Umwelt wird aufgrund dieser Entwicklungen für viele Bürger fremdartig, unverständlich und bedrohlich. Täglich sind wir mit Meldungen über Gewalt und Terror konfrontiert (Gangs, Banden, Mobbing, Einbrüche, Amokläufe usw.). Und: Es gibt offenbar immer mehr Umweltkatastrophen wie Überflutungen, Stürme, Murenabgänge usw.
Diese Realitäten kann auch unsere Berufsgruppe nicht ignorieren. Wir sollten schnellstens handeln, um die Möglichkeiten, die unser Beruf bietet, zu nutzen. Denn: „Occupational therapists are in the business of helping people to transform their lives by facilitating their talents and abilities not yet in full use through enabling them to do and to be. To achieve wellbeing, individuals or communities need to be enabled towards what they are best fitted, and wishful to become” ([2], 251).
Wir sollten uns fragen, wo wir Ergotherapeuten uns in diesen Bereichen in welcher Weise einbringen können. Kronenbergs und Pollards Buch [1] ist eine Aufforderung an uns Ergotherapeuten, kritisch gegenüber uns selbst zu sein, d. h. zu fragen, wer wir sind und was wir tun, unsere sozialpolitische Verantwortung ernst zu nehmen und für sie einzutreten.
Die vier Prinzipien Qualität, Prävention, Innovation und Produktivität sind auch in unserer ergotherapeutischen Welt nicht mehr wegzuleugnen. Daher sollten unsere Studenten auf diese Begrifflichkeiten und mögliche neue Arbeitsfelder vorbereitet werden. Der Beruf braucht schnelle und kritische Denker, gut argumentierende, fähige Entscheidungsträger sowie überzeugende Transporteure von berufsspezifischem Wissen. Auch in unserer Literatur sollte sich Aktualität widerspiegeln.
Wir hoffen, dass uns das mit den Beiträgen dieser Ausgabe von ergoscience gelungen ist. So widmet sich der Artikel Gemeinsam eins – Die Alltagsbewältigung eines älteren Ehepaares nach zerebrovaskulärem Insult der alltäglichen Realität, als Paar gemeinsam nach einem Schlaganfall weiterzuleben (S. 74). Ist die Gesundheit eines Partners beeinträchtigt, betrifft das auch das soziale Leben, die Gesundheit und das Wohlbefinden des pflegenden Partners. Der Artikel von Sonja Hüttemann über Geschlechterdifferenzierung in der Ergotherapie bei Kindern mit umschriebenen Entwicklungsstörungen greift einen „Gender”-Aspekt auf, der wahrscheinlich vielen in der Pädiatrie arbeitenden Kollegen nicht unbekannt ist (S. 46). Mit Studien belegt, lässt sich jedoch auch hier eine Meinung einfach seriöser und selbstbewusst vertreten.
Der Diskurs über die Abschaffung der Mindestaltersgrenze bis zur Einführung einer Modellklausel ist demgegenüber eine politisch interessante Information (S. 78).
Viel Spaß beim Lesen und vor allem beim Denken an und über Zukunftsmöglichkeiten der Ergotherapie.
Für das Herausgeberteam
Maria Feiler, Wien
Literatur
- 1 Kronenberg F, Algado S S, Pollard N. Occupational Therapy without borders. Elsevier: Churchill Livingstone; 2005
- 2 Wilcock A. Reflections on doing, being and becoming. Canadian Journal of Occupational Therapy. 1998; 65 (5) 248-256
Maria Feiler
Praxis für Ergotherapie
Laborweg 6
1160 Wien
Österreich
Email: maria.feiler@aon.at