Klin Monbl Augenheilkd 2010; 227(12): 925
DOI: 10.1055/s-0029-1245944
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mikrosystemtechnik in der Medizin – Intelligente Implantate in der Augenheilkunde

Microsystem Technology in Medicine – Intelligent Implants in OphthalmologyR. F. Guthoff1 , O. Stachs1
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
14. Dezember 2010 (online)

Die Medizintechnik der Gegenwart stellt ein äußerst komplexes multidisziplinäres Forschungsgebiet dar, das im intensiven Zusammenwirken von Medizin, Ingenieurwissenschaften, Informatik und Naturwissenschaften außerordentliche Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Die Mikro- und Nanosystemtechnik gilt hier als Schlüsseltechnologie. In der minimalinvasiven Diagnostik, in der Therapie und Therapiekontrolle, bei der Entwicklung von Implantaten oder Medikamentdosiersystemen sind heute mikro- und nanotechnologische Komponenten wesentliche Bausteine von Gesamtsystemen. Im Zuge der weiter voranschreitenden extremen Miniaturisierung einzelner Komponenten bietet sich der Einsatz kleinster aktiver Implantate für medizinische Anwendungen auch in der Augenheilkunde immer mehr an. In diesem Themenheft werden drei aus unserer Sicht sehr innovative Projekte aus dem Bereich aktiver Implantate in der Augenheilkunde vorgestellt, welche fachübergreifend die zu lösenden Probleme bearbeiten.

Der Verlust der Photorezeptoren bei erblichen Netzhauterkrankungen führt zu schweren visuellen Funktionsausfällen bis hin zur Erblindung. Seit etwa 15 Jahren wird versucht, durch elektronisch angesteuerte retinale Implantate Licht in elektrische Impulse umzuwandeln und zur Weiterleitung an das Zentralnervensystem aufzubereiten. Dies geschieht mithilfe von epi- und subretinal implantierten Mikrochips im Bereich der zentralen Netzhaut.

Derzeit arbeiten weltweit fast 20 Forschergruppen an der Entwicklung derartiger Implantate. Dabei sind neben der Funktion zahlreiche Randbedingungen wie beispielsweise die Bioverträglichkeit, das Energiemanagement und die Langzeitstabilität zu beachten.

Im Rahmen von klinischen Pilotstudien kamen in den letzten Jahren erste Prototypen bei Betroffenen zum Einsatz.

Im Beitrag von K. Stingl und Kollegen aus der Arbeitsgruppe um Prof. E. Zrenner, Universität Tübingen, werden subretinale Implantate vorgestellt und genauer beleuchtet. Diese Übersichtsarbeit informiert über den aktuellen Stand der Technologie und kann bei der Beratung von interessierten Patienten helfen.

Trotz exzellenter Möglichkeiten der Wiederherstellung der Sehschärfe besitzen pseudophake Augen nach Kataraktchirurgie kein objektives Akkommodationsvermögen, da die implantierte IOL-Optik weder ihre Form noch ihre axiale Position ändern kann. Auch sogenannte akkommodative Linsen sind physiologischen Wundheilungsvorgängen ausgesetzt, die ihren Wirkprinzipien entgegenstehen. Perspektivisch könnte eine pseudophake Akkommodation durch das Ersetzen der verhärteten Linse durch ein flexibles Material oder durch eine fs-Laser-Behandlung der natürlichen Linse erreicht werden.

Derartige experimentelle Ansätze befinden sich jedoch in einem sehr frühen experimentellen Stadium. Vor diesem Hintergrund wird von der Arbeitsgruppe um Prof. G. Bretthauer vom Karlsruher Institut für Technologie der visionäre Ansatz eines mechatronischen Systems zur Wiederherstellung der Akkommodationsfähigkeit vorgestellt. Welche Detailfragen bei einem solchen völlig neuartigen Ansatz bearbeitet werden müssen, sei es bei einem effizienten Energiemanagement oder der Kapselung elektronischer Komponenten, wird aus den weiteren Beiträgen dieser Gruppe ersichtlich.

Die Diskussion um einen Goldstandard in der Glaukomchirurgie wird seit Jahren geführt, wobei der frühe Einsatz von Drainagesystemen zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Im Beitrag der Arbeitsgruppe von Prof. K. P. Schmitz vom Institut für Biomedizinische Technik der Universität Rostock wird die Entwicklung eines druckgesteuerten Mikrostents zur intraokularen Anwendung beim Offenwinkelglaukom durch Drainage in den suprachoroidalen Raum vorgestellt. Dieses Konzept verlangt völlig neue technische Lösungen sowie ein spezielles Verständnis zellbiologischer Prozesse an der Implantatoberfläche, um Oberflächenmodifikationen und auf das Ausstromgebiet angepasste Local-Drug-Delivery-Konzepte zu entwickeln. Dieses Beispiel zeigt, dass komplexe Anforderungen einen multidisziplinären Ansatz erfordern. Der hohe Stellenwert, der derartigen Konzepten beigemessen wird, ist aus der Tatsache ersichtlich, dass die DFG das Projekt im Rahmen des transregionalen Sonderforschungsbereichs Transregio 37 mit dem Titel „Mikro- und Nanosysteme in der Medizin – Rekonstruktion biologischer Funktionen” sowie das BMBF im Rahmen der Förderung Spitzenforschung und Innovation in der Neuen Ländern „REMEDIS – Höhere Lebensqualität durch neuartige Mikroimplantate” mit eigenen Teilprojekten fördert.

Die Mikro- und Nanosystemtechnik wird in Zukunft ganz sicher einen noch größeren Stellenwert in der medizinischen Forschungstätigkeit einnehmen. Das tatsächliche Potenzial wird wesentlich durch die Kreativität der Wissenschaftler bestimmt, die einen großen Anteil daran haben, immer neue Anwendungsmöglichkeiten zu erschließen.

R. F. Guthoff

O. Stachs

Prof. Dr. Rudolf F. Guthoff

Universität Rostock
Medizinische Fakultät
Augenklinik

Doberaner Str. 140

18057 Rostock

Telefon: ++ 49/3 81/49 4 85 01

Fax: ++ 49/3 81/49 4 85 02

eMail: rudolf.guthoff@med.uni-rostock.de

PD Dr. rer. nat. Oliver Stachs

Universität Rostock
Medizinische Fakultät
Augenklinik

Doberaner Str. 140

18057 Rostock

Telefon: ++ 49/381/4 94 85 66

Fax: ++ 49/381/4 94 85 02

eMail: oliver.stachs@med.uni-rostock.de