Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2009; 6(4): 237-239
DOI: 10.1055/s-0030-1247189
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Onkologie - Prognosemarker uPA/PAI-1 als Hilfe zur individuellen Therapieentscheidung beim nodalnegativen Mammakarzinom

M. VetterE. KantelhardtCh. Thomssen
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Publication Date:
19 January 2010 (online)

 

In Deutschland wird jährlich bei ca. 58 000 Frauen die Diagnose Brustkrebs gestellt. Die Ersterkrankung wird heutzutage früh erkannt und durch den konsequenten Einsatz adjuvanter medikamentöser Therapien wie Chemotherapie, antihormonelle Therapie und Antikörpertherapie kann oft die Entstehung von Metastasen verhindert werden. Dieses Konzept bedeutet aber auch für viele Brustkrebspatientinnen die Gefahr einer Übertherapie. Ziel der modernen Brustkrebsbehandlung ist es, Art und Ausmaß der Therapien entsprechend der idealen Risikoabschätzung auf die einzelne Patientin individuell anzupassen. Die Protease uPA (Plasminogen-Aktivator vom Urokinase-Typ) und deren Inhibitor PAI-1 (Plasminogen-Aktivator-Inhibitor Typ 1) sind national und international anerkannte Prognosemarker für das nodalnegative Mammakarzinom [3] . Erhöhte uPA- und / oder PAI-1-Werte im Cytosol des Primärtumors weisen auf ein erhöhtes Rückfallrisiko hin; diese Patientinnen werden von einer Chemotherapie profitieren. Den Niedrigrisikopatientinnen (niedrige uPA und PAI-1-Werte) kann eine adjuvante Chemotherapie erspart werden.

Der Weg für eine individualisierte Krebstherapie bedingt eine bessere Abschätzung des voraussichtlichen Krankheitsverlaufs der einzelnen Patientin. Ziel ist es, eine Unterscheidung zwischen den Patientinnen mit einem hohen bzw. niedrigen Rückfallrisiko vornehmen zu können. Die Einschätzung des Rückfallrisikos erfolgt grundsätzlich durch klinische (z. B. Alter der Patientin) und pathologische Faktoren (z. B. Grading, Lymphknotenbefall). Tumorbiologisch begründete prognostische und prädiktive Faktoren (wie Östrogenrezeptor-, HER2-Status) sollen dazu beitragen, auf die jeweilige Erkrankungssituation "zugeschnittenen", d.h. individualisierten Therapiemaßnahmen auszuwählen und festzulegen. In Ermangelung von Faktoren, die das Rückfallrisiko exakt voraussagen, werden von den nodalnegativen Patientinnen mit G2-Tumoren allerdings bis zu 80 % übertherapiert. Die Therapieentscheidung ist damit für die jeweilige Patientin sehr unbefriedigend und zusätzliche Informationen über die Aggressivität des jeweiligen Tumors sind notwendig.

Die Prognose beim Mammakarzinom wird durch die Fähigkeit zur frühen Tumorzelldisseminierung und der daraus folgenden Metastasierung bestimmt. Daher ist das Mammakarzinom schon bei der Diagnosestellung prinzipiell als systemische Erkrankung anzusehen. Das Risiko für die Entwicklung manifester Metastasen ist (primär) abhängig von der Biologie des Tumors und es liegt nahe, den Krankheitsverlauf (Prognose) und auch das erwartete Therapieansprechen (Prädiktion) durch die Analyse biologischer Eigenschaften des Tumors näher zu charakterisieren. So können diejenigen Patientinnen identifiziert werden, denen aufgrund ihres niedrigen Rezidivrisikos eine adjuvante Chemotherapie erspart werden kann. Zur Identifizierung dieser Patientinnen eignet sich das uPA/PAI-1-System.

Die Protease uPA und deren Inhibitor PAI-1 sind an einer Reihe von biologischen Prozessen (Invasivität, Migration, Seneszenz, Angiogenese) beteiligt. Bei der Invasion der Tumorzellen in die extrazelluläre Matrix lösen sich Einzelzellen aus dem Zellverband des Primärtumors, vermehren sich und wandern in das umliegende Gewebe inklusive des Gefäßsystems ein. Dieses biologische Modell erklärt erhöhte Proteinkonzentrationen von uPA/PAI-1 im Tumorgewebe im Vergleich zum umgebenden oder benignen Brustgewebe. Zusammengefasst: Erhöhte uPA/PAI-1-Konzentrationen im Primärtumor korrelieren mit einem ungünstigen Krankheitsverlauf der Mammakarzinom-Patientin. Diese Patientinnen jedoch haben einen Benefit von einer adjuvanten Chemotherapie (Abb. [1])

Abb. 1 Risikoabschätzung mittels der Prognosemarker uPA/PAI-1.

Schon Anfang der 1990er Jahre deutete die Datenlage aus verschiedenen Forschungslaboren und Kliniken daraufhin, dass die Expression der Proteine uPA und PAI-1 Hinweise auf den Grad der Aggressivität eines Mammakarzinoms geben. So wurde von 1987-1991 eine erste klinische Studie basierend auf den uPA/PAI-1-Werten der Tumoren von Brustkrebspatientinnen an der Frauenklinik der Technischen Universität München durchgeführt (MammaCa 1, Abb. [2]). Erhöhte Werte der Invasionsmarker uPA und / oder PAI-1 korrelierten mit einem ungünstigen Krankheitsverlauf. Mehr als die Hälfte der nodalnegativen Patientinnen hatten niedrige uPA- und PAI-1-Konzentrationen im Tumor und zeigten auch ohne medikamentöse Therapie einen sehr günstigen Krankheitsverlauf. Zur Validierung dieser Ergebnisse wurde eine zweite Studie, die prospektive, multizentrische Studie Chemo N0 initiiert. Ziel dieser Studie war es, die Ergebnisse bezüglich der prognostischen Wertigkeit von uPA / PAI-1 der oben skizzierten Pilotstudie im multizentrischen Feldversuch zu bestätigen und zu ermitteln, ob eine adjuvante Chemotherapie bei diesen nodalnegativen Patientinnen mit hohem Rückfallrisiko die Prognose verbessern kann.

Abb. 2 Validierung der Prognosemarker uPA/PAI-1 beim primären Mammakarzinom.

Von 1993-1998 wurden 647 Patientinnen in 11 deutschen Zentren und einem Zentrum in Ljubljana, Slowenien, rekrutiert. Von diesen hatten 283 Patientinnen einen Tumor mit uPA- und PAI-1-Werten unter dem Schwellenwert und bekamen keine Chemotherapie. Bei nodalnegativer Situation war es damals noch Standard, keine adjuvante Therapie zu empfehlen, obwohl bereits ein breiter Einsatz adjuvanter Therapie diskutiert wurde. 364 der 647 Patientinnen hatten Tumoren mit uPA- und /oder PAI-1-Werten oberhalb des Schwellenwertes. Diese Frauen, für die aufgrund der uPA/PAI-1 Werte ein erhöhtes Rückfallrisiko vorhergesagt wurde, erhielten in Rahmen dieser prospektiven Untersuchung randomisiert entweder eine Chemotherapie oder keine weitere Behandlung [3].

Auf dem diesjährigen ASCO-Kongress wurden die Daten zum Krankheitsverlauf nach 10-jähriger Nachbeobachtungszeit vorgestellt [1]. Auch nach dieser langen Beobachtung bestätigte sich, dass die Patientinnen mit uPA- und PAI-1-Werten unterhalb des Schwellenwertes ein sehr niedriges (kumulatives) Rezidivrisiko von unter 10 % in 10 Jahren hatten. Die Patientinnen mit Werten oberhalb des Schwellenwertes hatten ein hohes Rezidivrisiko. Auch die multivariate Analyse ergab, dass sowohl uPA / PAI-1 als auch das Grading starke und unabhängige Faktoren sind. Darüber hinaus zeigte sich, dass das Rezidivrisiko bei den Risikopatientinnen halbiert wurde, wenn die Frauen eine adjuvante Chemotherapie erhalten hatten.

Um die Stärke dieser Prognosefaktoren gegenüber den klinischen und pathologischen Faktoren zeigen zu können, wurde Ende 2002 die dritte prospektive, multizentrische uPA/PAI-1-Studie (NNBC 3-Europe, Node-Negative Breast Cancer) in Deutschland und Frankreich begonnen. In der NNBC 3-Europe Studie wurden insgesamt 4150 Patientinnen eingeschlossen (Rekrutierungsstop Januar 2009). Wir können jetzt schon sagen, dass wir durch die Risikoabschätzung mit Hilfe der Prognosemarker Grading und uPA/ PAI-1 etwa 40 % der Patientinnen eine Chemotherapie ersparen können.

Zur Bewertung der klinischen Relevanz und Validierung von Prognosemarkern werden verschiedene Anforderungen gestellt. Nachdem die Chemo N0-Studie als prospektive klinische Studie bereits nach 5 Jahren die prognostische Bedeutung der Invasionsmarker zeigte, bestätigte 2002 die Auswertung einer Metaanalyse von verschiedenen retrospektiven Studien mit insgesamt über 8000 Patientinnen die prognostische Aussagekraft der Invasionsmarker.

Daraufhin haben verschiedene Gremien auf nationaler und internationaler Ebene ab dem Jahr 2002 diese Erkenntnisse in ihre Empfehlungen für die Therapie des nodalnegativen Mammakarzinoms für die klinische Routine aufgenommen. Die Invasionsfaktoren uPA/PAI-1 sind bezüglich ihres prognostischen und prädiktiven Wertes auf dem höchsten Evidenzniveau (level of evidence) validiert und wurden bereits 2002 von der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO) als etablierte Prognosefaktoren für den Routineeinsatz bei nodalnegativen Patientinnen empfohlen. Sie sind in internationalen (ASCO-Recommendations 2007, St. Gallen 2005) und nationalen Leitlinien aufgenommen (www.ago-online.de, S3-Leitlinien der Dt. Krebsgesellschaft 2008 www.krebsgesellschaft.de/index.php?seite=wub_llevidenzbasiert_mammakarzinom). Etwa die Hälfte aller nodalnegativen Patientinnen haben niedrige Konzentrationen für uPA und PAI-1 und damit ein sehr niedriges Rezidivrisiko; diesen Frauen kann eine adjuvante Chemotherapie erspart werden (< 10 % Rezidive nach 5 Jahren). Insbesondere für Patientinnen mit G2-Tumoren ist damit eine zusätzliche Entscheidungshilfe gegeben.

Für die Bestimmung der uPA/PAI-1-Werte wird 100-300 mg repräsentatives Tumorfrischgewebe des Operationspräparates oder Frischgewebe von 3 Stanzbiopsien aus dem Primärtumor der Brust entnommen. Im Rahmen des Mammascreeningprogramms werden die Tumore immer frühzeitiger diagnostiziert, sodass die Tumorgröße in vielen Fällen keine zusätzliche Entnahme von Material für die uPA/PAI-1-Testung durch den Pathologen zulässt. Hinzukommt, dass die Biopsienahme für die präoperative Diagnostik das Expressionsmuster des Tumors unabhängig von der Tumorgenese verändern kann. Wir empfehlen, die uPA/PAI-1-Testung entweder aus Stanzmaterial oder aus OP-Material entfernt des Stanzkanals durchzuführen [4]. Das entsprechende Frischgewebe wird schockgefroren und an ein entsprechendes Labor weitergeleitet (in Deutschland bieten derzeit 14 Labore die uPA/PAI-1-Testung an). Im gefrorenen Zustand wird das Gewebe zerkleinert, die Proteine in Lösung gebracht und die Konzentrationen von uPA und PAI-1 mittels ELISA-Test bestimmt. Etwa eine Woche nach der Operation erhalten die Kliniken die Befunde. Ein externes Qualitäsmanagement für den ELISA-Test wird angeboten. Da für die Bestimmung eine frische Gewebeprobe aus dem Primärtumor benötigt wird, sollte der Gynäkologe vor der Operation mit der Patientin absprechen, ob der uPA/PAI-1-Test für sie in Frage kommt (Tab. [1]). Voraussetzung für die uPA/PAI-1-Analyse ist schockgefrorenes Gewebe aus dem Primärtumor.

Tab. 1 Workflow für die Planung der uPA/PAI-1-Testung.