Suchttherapie 2010; 11(1): 39-41
DOI: 10.1055/s-0030-1247527
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‘Omar Chajjam's († um 1123) Ruba’ijat als drogenpolitische Inspiration

‚Omar Chajjam’s († around 1123) Ruba'ijat as a Drug Policy InspirationJ. von Ins
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Publication Date:
24 February 2010 (online)

‘Omar Chajjam (persisch

’Omar-e Chajjâm [‘Omare xaja:m], nach einzelnen Quellen sehr viel längerer Name; geboren in Nischapur, Provinz Khorasan, Iran; † um 1123) war ein hoch angesehener Mathematiker und Astronom.

Er befasste sich mit den irrationalen Zahlen und fand die Lösung kubischer Gleichungen durch deren geometrische Darstellung. Erst Jahrhunderte später dachte Descartes auf seiner Spur weiter. Unter anderem erfand er das Dreieck der Binomialkoeffizienten, das 500 Jahre später in Westeuropa als Pascalsches Dreieck bekannt wurde.

Der Seldschuken-Sultan Malik Schah (1055–1092)[1] beauftragte ‘Omar Chajjam 1073 mit dem Bau eines Observatoriums und der Entwicklung eines Sonnenkalenders. ‘Omars Kalender war genauer als der 500 Jahre jüngere Gregorianische Kalender. Der moderne iranische Kalender beruht noch immer auf seinen Berechnungen.

‘Omar Chajjam gewann in jungen Jahren auch durch philosophische Texte großes Ansehen, fiel dann aber nach und nach in Ungnade. Im Westen wurde er im 19. Jh. vor allem durch seine Sammlung vierzeiliger Gedichte, die Ruba’ijat bekannt. Diese zeigen ihn bald von mystischer, bald von aufklärerisch-skeptischer Seite. Vielfach ist nicht leicht auszumachen, worauf Chajjam hinaus will. Das Corpus der über 200 Ruba’ijat wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht. In Persien blieb dem Werk die dichterische Anerkennung versagt, da Chajjam schon zu Lebzeiten der Häresie verdächtigt wurde. Man zählt ihn denn auch bis heute nicht zum ,Siebengestirn‘ der persischen Dichter (Firdausi, Nizami, Enweri, Hafis, Rumi, Saadi, Dschami).

In den Kommentaren zu Chajjam's Vierzeilern zeichnet sich eine nunmehr bald 1 000-jährige Kontroverse ab. Im Kern entzündete sich diese daran, dass eine Vielzahl von Ruba’ijat den Weinrausch[2] verherrlicht. Esoteriker und Dichter aller Zeiten werden nicht müde uns zu versichern, dass der Weinrausch bei ‘Omar Chajjam eine Metapher, ein Wort in übertragener Bedeutung und bildhaftem Sinn sei. Pragmatiker halten vielmehr dafür, dass Chajjam sich als gefeierter Wissenschaftler und gut eingesessener Günstling des Hofes alles leisten konnte – auch den Rausch. Nur die Loblieder auf den Rausch, ja die Sucht nach Wein, und die Spottlieder auf Koran und Moschee, auf Kirche und Synagoge – eben die Ruba’ijat – hat Chajjam zu Lebzeiten nicht veröffentlicht.

Überblicksliteratur

  • 1 Colli1  G, Montinari1  M,. Hrsg Friedrich Nietzsche, Kritische Studienausgabe (KSA). 2. Ed., 15 Bde, München; 1988
  • 2 Rempis CH,. Hrsg. ’Omar Chajjam und seine Vierzeiler, nach den ältesten Handschriften aus dem Persischen verdeutscht, Tübingen.  1935; 
  • 3 Rilke RM.. Stundenbuch, In: Rilke, Rainer Maria, Sämtliche Werke, Frankfurt a/M. 1955
  • 4 Scholem G.. Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt a/M.  1957; 

1 Nach der Legende war dessen Wesir über Khorasan, Nizam ul-Mulk, ein Schulfreund Chajjam's und Hassan Sabbah's, des Gründers der Assassinen.

2 Ein Zeitgenosse Chajjam's, der persische Theologe al-Ghazali (1059–1111) betont, dass niemand seine Tochter an einen Weintrinker verheiraten dürfe. Weingenuß gehört nach der Scharia zu den sogenannten fünf hadd-Vergehen, den Kapitalverbrechen.

3 Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, KSA1: 873f.

4 Begreifen, erfassen, sich ins Bild setzen usw.

5 KSAI: 879/877.

6 KSA5: 147.

7 Rempis 1935: 77/127.

8 Ruba’i 201; Rempis 1935: 94/144.

9 Vgl. Rilke 1955 Bd. 1, S. 291:
„Die Dichter haben dich verstreut (es ging ein Sturm durch alles Stammeln), ich aber will dich wieder sammeln in dem Gefäß , das dich erfreut”.

9 Ähnlich Chajjams Becher, werden doch nach den Ruba'ijat die Toten zu Staub, um vom T ö pfer bearbeitet zu werden. So symbolisiert der Lebende mit dem Becher in der Hand den ganzen Kreislauf von Leben und Tod, das Schicksal der Seele sub specie aeternitatis. Vgl. zur Idee des Einsammelns göttlicher Bestandteile die kabbalistische Konzeption des Tikkun (Scholem 1957: 253, 295f. u. a.). Man müsste dieses konfessionsübergreifende Moment in den Mittelpunkt einer Theorie des religiösen Erlebens stellen.

10 Rempis 1935: 92/142.

11 Ruba’i 182; Rempis 1935: 91/141.

12 Daher vielleicht die Leichtigkeit, mit der Chajjam erfindet und entdeckt.

13 Ruba’i 193, Rempis 1935: 93/143.

14 Ruba’i 253, Rempis 1935: 104/154. Ich bin bis dahin der Nachdichtung von Christian Herrnhold Rempis gefolgt, die unter Iranisten etwas gilt. Hier zum Vergleich die wörtliche Übersetzung, die er parallel liefert:
„Die Seele, die gereinigt ist vom Schmutz des Staubes, ist als ein Gast zu dir gekommen aus der reinen Welt.
Gib ihr mit ,Wein der Frühe‘ Männlichkeit,
bevor sie spricht: ,Gott segne deinen Abend”.

15 Also sprach Zarathustra I, KSA 4: 49.