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DOI: 10.1055/s-0030-1248482
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Vor- und Nachteile psychosozialer Zentren an Universitätskliniken
Advantages and Disadvantages of Psychosocial Centres at University HospitalsPublication History
Publication Date:
01 June 2010 (online)
Prof. Wolfgang Herzog
Die Gründung von themenbezogenen Zentren war und ist ein aktuelles Thema an vielen Universitätskliniken. Dabei lassen sich in einem breiten Spektrum möglicher Kooperationsformen zwei Grundtypen von Zentren unterscheiden. Im ersten Typ arbeiten mehrere Abteilungen krankheits- oder themenbezogen in einem strukturell eher lockeren Verbund zusammen, der die Abteilungs- und Finanzierungsstrukturen nicht tangiert. Das Modell ähnelt einem „Staatenbund”. Der zweite Typ eines Ressourcenzentrums erlaubt die Nutzung gemeinsamer Ressourcen (Personal, Räume, Budget), die primär dem Zentrum zugewiesen werden, das dann über die Gestaltung und Nutzung der Ressourcen intern entscheidet. Die Analogie zu diesem Modell wäre ein „Bundesstaat”. Während beim ersten Modell eine weitgehende Autonomie der Abteilungen besteht und fakultativ und nach Bedarf immer wieder Kooperationen möglich sind, diese aber nicht zwingend erforderlich sind, erlaubt das zweite Modell weitreichende interne Gestaltungen, erhöht damit aber auch die Notwendigkeit zur Abstimmung und Kooperation und die wechselseitige gemeinsame Verantwortung für das gesamte Zentrum. Dazu sind interne Gremien mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen und Durchgriffsrechten in die Abteilungen hinein (ein „starker” Vorstand), Kotrollgremien aller Abteilungen, ein funktionsfähiges Controlling und exekutive Möglichkeiten einer gemeinsamen kaufmännischen Geschäftsführung notwendig. Während das interne Gefüge des ersten Typs einem starken Klinikumsvorstand weitgehend autonome Abteilungen gegenüberstellt, erfolgt beim Ressourcenzentrum eine Dezentralisierung von Befugnissen: Das „Zentrum” oder „Department” wird zum Verhandlungspartner des Klinikumsvorstandes, was mit einer Zunahme von Kompetenzen, z. B. der Möglichkeit zur Umsetzung von Projekten, aber auch von Verantwortungen, z. B. der Überwachung der Einhaltung der Budgets, einhergeht.
Psychosoziale Zentren können nun Institute der Medizinsoziologie und Medizinpsychologie, psychiatrische, kinder- und jugendpsychiatrische, psychosomatische Kliniken sowie ortsspezifische Einrichtungen wie epidemiologische, sexualmedizinische, familienmedizinische, psychoonkologische Institute zusammenführen. Psychosoziale Ressourcenzentren sind seit Langem in Hamburg, Mannheim und Essen, seit 5 Jahren in Heidelberg und jetzt auch in Leipzig realisiert.
Die Vorteile solcher Einrichtungen liegen in einem institutionalisierten, ständigen Dialog von Mitarbeitern aller Berufsgruppen über die Abteilungsgrenzen hinweg. Damit wird die Kompetenz im Zentrum wesentlich erhöht. Feste Rotationen machen die benachbarten Abteilungen transparent, Fallvorstellungen machen spezifische Kompetenzen und Probleme in der Patientenbehandlung deutlich und haben einen hohen Lerneffekt. Fort- und Weiterbildung können gemeinsam geplant und gezielt ausgerichtet werden. Im Zentrum können Zukunftsprojekte geplant und gezielt umgesetzt werden. In den Fakultätsgremien haben die Kolleginnen und Kollegen des Zentrums mehr Stimmen und können mehr Kommissionen besetzen und die Interessen des Zentrums zusammen vertreten. Damit steigt ihr Einfluss im Fakultätsrat. Wirtschaftlich können Stärke- und Schwächephasen einzelner Abteilungen ausgeglichen und balanciert werden – das Zentrum als Ganzes ist stabiler. Forschungsinitiativen lassen sich gemeinsam entwickeln, die Methodenkompetenz lässt sich wechselseitig verfügbar machen.
Die Nachteile ressourcenorientierter Zentren liegen in einer hohen wechselseitigen Abhängigkeit der beteiligten Abteilungen und Personen. Man verbringt viel Zeit in Gremien und der Erfolg dieser Arbeit ist sehr personenabhängig. Soweit die Kraft des Zentrums bei nach außen getragener Einigkeit der Beteiligten reicht, so angreifbar wird das Zentrum bei spürbarer Uneinigkeit. Die Kooperation in Zentren wird durch ideologische Feldzüge von Fachgesellschaften, die wenig oder nichts mit der lokalen Situation zu tun haben müssen, einstweilen beeinträchtigt. Viel hängt dann von der Offenheit der beteiligten Akteure und dem Vertrauen untereinander ab.
Langjährige Erfahrungen in der Geschäftsführung von Zentren in der Inneren Medizin und im Psychosozialen Zentrum sprechen für mich in der Summe eher für die Option ressourcenorientierter Zentren: Auch beim Auftreten von Problemen – z. B. Bettenreduktionen wegen eines Neubaus – hat es Vorteile, diese unter den Betroffenen selbst direkt auszuhandeln. In günstigen Phasen von Leistungsausweitungen und Budgetaufwüchsen gilt dies erst recht: Hier kann gemeinsam relativ autonom im Zentrum Neues gestaltet werden.
Prof. Dr. med. Wolfgang Herzog
Universitätsklinikum Heidelberg
Klinik für Allgemeine Innere und Psychosomatische Medizin
Im Neuenheimer Feld 410
69120 Heidelberg
Email: Wolfgang.Herzog@med.uni-heidelberg.de