kleintier konkret 2010; 13(S 01): 12-13
DOI: 10.1055/s-0030-1248829
Hund und Katze
Impfung
Enke Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Impfung individuell

Uwe Truyen
Further Information

Publication History

Publication Date:
11 March 2010 (online)

Impfen Sie nur oder schützen Sie auch?

Der provokante Titel soll ausdrücklich nicht die Wirksamkeit der verfügbaren Vakzinen infrage stellen, er soll vielmehr die Bedeutung der Evolution von Krankheitserregern bei der Diskussion über die Impfung von Hund und Katze und der Entwicklung von Impfstrategien unterstreichen.

Die klassischen Infektionskrankheiten von Hund und Katze stellen nach wie vor eine große Gefährdung für die Gesundheit unserer Haustiere dar. Gegen die meisten der sie verursachenden Infektionserreger wurden früh wirksame Vakzinen entwickelt und erfolgreich eingesetzt. Diese Vakzinen sind zum großen Teil mehr als 30 Jahre alt, wie z. B. die Vakzinen gegen die Staupe, Parvovirose, den Katzenschnupfen, um nur einige zu nennen.

Im Unterschied zur Humanmedizin wird die Aktualität der in den Vakzinen verwendeten Impfstämme in der Veterinärmedizin selten hinterfragt, und die Impfstämme werden daher auch nicht aktualisiert, das heißt gewechselt oder ergänzt. Dies ist aber notwendig, wie Daten zur molekularen Epidemiologie verschiedener Infektionserreger implizieren.

Infektionskrankheiten und ihre Erreger müssen ständig beobachtet werden, um auf Änderungen biologischer Eigenschaften dieser Erreger schnell und angemessen reagieren zu können. Dies ist nur durch die regelmäßige Prüfung ihrer Wirksamkeit gegen aktuelle Isolate und ggf. durch die Entwicklung neuer Vakzinen zu erreichen.

Felines Calicivirus

Ein Beispiel für die Notwendigkeit dieser Maßnahmen ist das feline Calicivirus, ein Erreger des Katzenschnupfenkomplexes.

Es weist als klassisches RNA-Virus eine sehr hohe Mutationsrate auf. Dies liegt in der viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerase begründet, die eine Fehlerrate von etwa 1 Fehler pro 1000–10 000 replizierter Nukleotide besitzt und über keine Kontrollfunktionen verfügt.

Dies bedeutet, dass bei der Nukleinsäurereplikation fehlerhafte Kopien erstellt werden, die bei einer Gesamtgenomgröße dieses Virus von etwa 7500 Basen statistisch etwa 7,5 Basen betreffen. Das heißt, jedes Nachkommenvirus unterscheidet sich von dem Elternvirus durch 7,5 Basenaustausche.

Bei dem FCV ist zudem die eingangs erwähnte Problematik der Verwendung von alten Virusisolaten in den Impfstoffen von besonderer Bedeutung, da weltweit nur einige wenige Impfstämme eingesetzt wurden und werden, die bereits vor 40 Jahren in den USA isoliert worden sind.

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass diese Vakzineviren, wie der Stamm F9 und andere, in In-vitro-Neutralisationsstudien mit den aktuellen Feldstämmen nur noch begrenzt reagieren. Ein Großteil der geprüften aktuellen Feldisolate wird durch Seren aus geimpften Tieren nicht mehr neutralisiert [1] [3].

Dies ist in diesem Virussystem von besonderer Relevanz, da hier die Immunität wenigstens zum großen Teil von neutralisierenden Antikörpern getragen wird und sie die Immunität bei einer Calicivirusinfektion bestimmen.

Antigene Selektion Elegante Studien von Alan Radford aus Liverpool konnten eindrucksvoll zeigen, dass eine antigene Selektion sogar während der Infektion einer einzelnen Katze nachweisbar ist [2].

Im Verlaufe einer persistierenden Infektion einer Katze können Viren isoliert werden, die sich von dem ursprünglichen, bei der Infektion der Katze verwendeten Virus unterscheiden. Die im Verlauf der Infektion rücksiolierten Viren unterscheiden sich aber in der Reaktivität gegen das Serum, das aus dieser Katze im Verlaufe der Infektion gewonnen wurde. Isolate aus späteren Zeitpunkten der Infektion ließen sich nur noch unvollständig neutralisieren, während frühe Isolate vollständig neutralisierbar waren. Dies zeigt eindeutig eine antigene Selektion im Rahmen einer persistierenden Infektion in der einzelnen Katze.

Diese Evolution nun übertragen auf eine Katzengruppe in einer Tierhaltung oder einem Tierheim oder – noch abstrakter – übertragen auf eine Katzenpopulation in einer ganzen Region, einem Land oder einem Kontinent, macht deutlich, dass eine antigene Selektion unter diesen Voraussetzungen unvermeidbar ist und die Verwendung eines einzigen Impfvirusstammes über viele Jahre und Jahrzehnte bei diesen hochmutagenen Viren nicht angemessen ist.


#

Canines Parvovirus

Ein weiterer Erreger einer wichtigen Tierseuche ist in diesem Zusammenhang zu diskutieren, das canine Parvovirus. Dieses Virus ist ein sehr gut untersuchtes Modell der viralen Evolution.

Das Virus wurde erstmals Ende der 1970er Jahre nachgewiesen, ist daher relativ jung und zudem sehr einfach aufgebaut, was seine Untersuchung erleichtert.

Es besitzt ein kleines (etwa 5000 Nukleotide) DNA-Genom und besteht (funktional) aus nur einem einzigen Strukturprotein. Diese einfachen Strukturen, letztlich nur ein Strukturprotein, bestimmen nahezu alle biologischen Eigenschaften des Virus.

Antigene Typen Das canine Parvovirus ist, wie wir heute wissen, aus dem felinen Panleukopenievirus entstanden. Einige wenige, aber entscheidende Änderungen der Struktur des Kapsidproteins waren für diesen Wirtswechsel notwendig.

Die Änderung von nur 5 Aminosäuren im Kapsidprotein des Virus verliehen dem Virus die Fähigkeit, an den caninen Transferrinrezeptor zu binden und damit canine Zellen zu infizieren.

Dieses neu entstandene Virus bezeichnete man 1978 als Canines Parvovirus Typ 2 (CPV-2). In dem neuen Wirt Hund änderte sich das Virus weiter, möglicherweise in Anpassung an diesen neuen Wirt.

Durch Änderung von 3 weiteren Aminosäuren kam es zu dem Auftreten der neuen „antigenen Typen”, die durch bestimmte monoklonale Antikörper charakterisiert werden konnten. Diese Typen haben das ursprüngliche Virus von 1978 schnell weltweit vollständig aus den Populationen verdrängt. Das heißt, jedes heute aus erkrankten Hunden isolierte Parvovirus ist ein Virus vom neuen Typ. Der Großteil der heute verfügbaren Vakzinen basiert jedoch weiterhin auf dem alten Virustyp CPV-2.

Was bedeutet das nun für die Biologie des Virus und für die Impfung des Hundes?

Die neuen antigenen Typen des CPV, gemeinhin als CPV-2a, -2b und „-2c” bezeichnet, stellen sehr ähnliche, nahezu identische Viren dar, die sich nur in dem Polymorphismus einer einzigen Aminosäure unterscheiden.

Bei den Viren des Typs 2a liegt eine Asparaginsäure an der Position 426 des Kapsidproteins vor, bei den Typen 2b und „2c” dagegen eine Glutaminsäure bzw. ein Glutamin. Die biologische Bedeutung dieser unterschiedlichen Typen ist unklar, gemessen an der Verbreitung dieser Typen ist sie jedoch offensichtlich gering.

In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern ist der neue antigene Typ CPV-2a nach wie vor der vorherrschende.

Der Unterschied der neuen Typen gegenüber dem alten Typ ist dagegen groß.

Diese Verschiebung der Prävalenz der antigenen Typen hat auch Implikationen für die Impfung, wenn auch die Relevanz mit der bei dem felinen Calicivirus nicht vergleichbar ist.

Bedeutung für die Impfung Die Impfung der Hunde mit Impfviren des alten antigenen Typs CPV-2 schützt vollständig gegen eine Infektion mit allen antigenen Typen des CPV [4]. Dies konnte in zahlreichen Studien gezeigt werden, in denen seronegative Hunde geimpft wurden.

Dies entspricht aber nicht zwangsläufig der Situation im Feld. Tatsächlich werden hier häufig nicht seronegative Welpen geimpft, sondern Welpen mit maternalen Antikörpern, also seropositive Tiere.

Dies ist insofern von Bedeutung, als nach Impfung zwischen den verschiedenen Typen des CPV Unterschiede in dem Ausmaß der kreuzneutralisierenden Aktivität der Antikörper nachgewiesen wurden. Die Antikörper zeigen gegen das homologe Virus (gleicher antigener Typ) eine größere Aktivität (einen höheren Titer) als gegen ein heterologes Virus (anderer antigener Typ).

Bei maternalen Antikörpern bedeutet dies zwangsläufig, dass ein Welpe mit homologen maternalen Antikörpern gegen ein homologes Virus länger geschützt ist als gegen ein heterologes Virus. Da ein Welpe sich aber heute nur noch mit einem Virus eines neuen antigenen Typs infizieren kann, ist es sinnvoll, bei den Welpen zu diesen Typen homologe maternale Antikörper zu fordern.

Diese sind nur durch Impfung der Muttertiere mit Impfstoffen, die auf einem Virus eines neuen antigenen Typs basieren, zu erreichen.

Unterschiede zwischen den neuen Typen 2a, 2b und „2c” sind dabei minimal oder gar nicht nachweisbar, sodass eine Differenzierung diesbezüglich nicht notwendig scheint. Eine Vakzine basierend auf den antigenen Typen CPV-2a, -2b und „-2c” sollte gleichermaßen sinnvoll sein.

Online zu finden unter

http://dx.doi.org/10.1055/s-0030-1248829


#
 
  • Literatur

  • 1 Lauritzen A, Jarrett O, Sabara M. Serological analysis of feline calicivirus isolates from the United States and United Kingdom. Vet Microbiol 1997; 56: 55-63
  • 2 Radford AD, Bennett M, McArdle F et al. Quasispecies evolution of a hypervariable region of the feline calicivirus capsid gene in cell culture and persistently infected cats. Vet Microbiol 1999; 69: 67-68
  • 3 Schneider K, Truyen U. Strain variation in feline caliciviruses. Rev Med Vet 1998; 149: 1007-1011
  • 4 Truyen U. Evolution of canine parvovirus – a need for new vaccines?. Vet Microbiol 2006; 117: 9-13