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DOI: 10.1055/s-0030-1249295
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Vertebroplastie – Dürfen osteoporotische Wirbelkörperfrakturen jetzt nicht mehr vertebroplastiert werden?
Publication History
Publication Date:
22 February 2010 (online)
- Zusammenfassung
- Eine kritische Analyse
- Hoher Anteil an alten Frakturen
- Keine klinische Korrelation Schmerz-Fraktur
- Selektionsbasis
- Hohe Crossover-Rate
- Literatur
Die beiden in der Ausgabe 361 des New England Journal of Medicine veröffentlichten placebo-kontrollierten Studien zur Vertebroplastie haben für erhebliches Aufsehen gesorgt. Die Vertebroplastie ist bei der Behandlung osteoporotischer Wirbelkörperfrakturen nach den Ergebnissen dieser Studien nicht besser als Placebo. Dieser Beitrag analysiert diese beiden Studien kritisch und bewertet ihre Aussagekraft bezüglich der Behandlung von Patienten mit osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen in der täglichen Praxis. Buchbinder et al. N Engl J Med 2009; 361: 557-68 und Kallmes et al. N Engl J Med 2009; 361: 569-79
#Zusammenfassung
Seit dem 6. August diesen Jahres gibt es sie: Die lang erwarteten placebo-kontrollierten Studien zur Vertebroplastie bei osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen [1], [2].
Mit einem nahezu identischen Studiendesign und zeitlich parallel hatten 2 Arbeitsgruppen die Wirksamkeit der Vertebroplastie bei osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen mit diesem sehr aussagekräftigen Studiendesign untersucht.
Die Arbeitsgruppe um Buchbinder (Monash University, Malvern, VIC, Australien) hatte eine randomisierte, doppelt verblindete und placebo-kontrollierte Multicenterstudie an 78 Patienten durchge-führt [2].
Bei der Placebogruppe wurde der Eingriff in identischer Weise wie bei der Verumgruppe vorbereitet, eine Lokalanästhesie durchgeführt und eine Vertebroplastiekanüle bis auf die Lamina des betreffenden Wirbels eingeführt.
Dann wurde jedoch nur mit einem stumpfen Mandrin auf die Laminaoberfläche geklopft ohne dass die Nadel in den Wirbelkörper eingeführt wurde und PMMA-Zement wurde angemischt um den typischen Geruch im Raum zu erzeugen.
Die Nachuntersuchungen erfolgten nach 1 Woche und 1 Monat anhand von Schmerz-Scores, funktionellen und "quality of life"-Scores.
Die Arbeitsgruppe um Kallmes (Mayo Clinic, Rochester, MN, USA) hatte ebenfalls eine randomisierte, doppelt verblindete und placebo-kontrollierte Multicenterstudie, jedoch an 113 Patienten durchgeführt [1].
Hier wurde bei der Placebogruppe nur eine Lokalanästhesie durchgeführt, jedoch keine Vertebroplastiekanüle eingeführt und nicht geklopft; es wurde jedoch Druck auf den Rücken der Patienten ausgeübt und PMMA-Zement angemischt.
Die Nachuntersuchungen erfolgten nach 3 Tagen, 2 Wochen, 1 und 3 Monaten bezüglich Schmerzen und anhand von funktionellen, sowie "quality of life"-Scores.
Beide Studien fanden sofortige und über den Nachbeobachtungszeitraum anhaltende Verbesserungen in den Hauptzielkriterien bei den eingeschlossenen Patienten.
Jedoch fanden beide Studien – übereinstimmend und entgegen aller Erwartung – keinen signifikanten Unterschied zwischen Vertebroplastie und Placebobehandlung.
#Eine kritische Analyse
Diese überraschenden Ergebnisse wurden innerhalb von Tagen durch die Medien global verbreitet, auch das Deutsche Ärzteblatt berichtete sofort: "Vertebroplastie bei Wirbelfrakturen ein Placebo".
Mit erstaunlicher Geschwindigkeit überlegen Berufsverbände und Fachgesellschaften wie sie auf diese neuen Fakten reagieren sollen oder haben dies zum Teil schon getan - die Versorgungsrealität beginnt sich bereits zu ändern.
Allein der Nimbus einer placebo-kontrollierten Studie scheint zur relativ kritiklosen Übernahme derer Ergebnisse zu verleiten.
Was nach wie vor fehlt ist eine kritische Auseinandersetzung mit den beiden Studien: Wo liegen ihre Stärken und Schwächen, welche Aussagen erlauben sie tatsächlich, welche Konsequenzen sollen bzw. dürfen wir aus ihnen ziehen?
Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es einer kritischen Analyse der beiden Arbeiten, ihres Studiendesigns und ihrer Ergebnisse.
Buchbinder und Mitarbeiter [2] konnten in Australien über einen Zeitraum von mehr als 4 Jahren 78 von 468 gescreenten Patienten (17%) rekrutierten.
Diese Patienten verteilten sich wiederum auf 4 verschiedene Zentren; in 3 dieser 4 Zentren wurden pro Jahr durchschnittlich nur 1,1 bis 3,3 Eingriffe durchgeführt.
Kallmes und Mitarbeiter [1] konnten über einen Zeitraum von ebenfalls mehr als 4 Jahren nur 131 von 1813 gescreenten Patienten (7,2%) rekrutieren.
Die Patienten in dieser Studie verteilten sich auf 11 verschiedene Zentren (5 USA, 5 Großbritannien, 1 Australien), wobei in der Publikation mit Ausnahme für die studienführende Mayo Clinic (n = 30, 22,9%) und für das australische Zentrum (n = 22, 16,8%) keine exakten Zahlen für die einzelnen Zentren genannt werden.
Wie jedoch zu entnehmen ist, entfallen 27 Patienten (20,6%) auf die anderen 4 Zentren in den USA und 52 Patienten (39,7%) auf die 5 Zentren in Großbritannien, was für diese Institutionen eine durchschnittliche Eingriffsfrequenz von nur 1,7 bzw. 3,3 pro Jahr bedeutet.
Gemessen an den nicht sehr großen Patientenzahlen sind die langen Rekrutierungsphasen, die Anzahl der Zentren und die zum Teil sehr geringe Behandlungsfrequenz in einigen der teilnehmenden Zentren durchaus fragwürdig.
#Hoher Anteil an alten Frakturen
In der klinischen Erfahrung profitieren vor allem Patienten mit frischen, stark schmerzhaften osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen von der Vertebroplastie, was in einer Reihe von Arbeiten und zuletzt von Rousing et al. gezeigt wurde [3]. Nach 3 Monaten gibt es keinen großen Unterschied mehr zwischen vertebroplastierten und konservativ behandelten Patienten, was zu einem beträchtlichen Teil auf die Schmerzbesserung bei den konservativ therapierten Patienten zurückzuführen ist. Buchbinder und Kallmes schlossen jedoch Patienten mit Frakturen ein, die bis zu einem Jahr alt waren.
Während in der Kallmes Studie nur 44% bzw. 38% der Patienten (Vertebroplastie/Placebo) an Frakturen litten, die weniger als 3 Monate alt waren, hatten bei Buchbinder et al. nur 32% Patienten eine Symptomdauer von weniger als 6 Wochen.
Dies könnte erklären, weshalb weder Buchbinder noch Kallmes eine signifikante oder auch nur klinisch relevante Verbesserung in der Placebogruppe fanden.
Dies unterscheidet sich ganz deutlich von den Ergebnissen der Rousing Studie [3] als auch von denen der randomisiert-kontrollierten Studie von Wardlaw et al. zur Kyphoplastie [4], die beide eine klare Verbesserung in den Kontrollgruppen fanden.
Sowohl Wardlaw als auch Rousing hatten ausschließlich akute bzw. subakute Frakturen untersucht (< 3 Monate, bzw. < 8 Wochen).
#Keine klinische Korrelation Schmerz-Fraktur
Weder Kallmes noch Buchbinder forderten als Einschlusskriterium eine klinische Untersuchung bei der die Lokalisation des größten Schmerzes mit der Höhe des in der Bildgebung frakturierten Wirbels übereinstimmen musste, was in der klinischen Routine eine wertvolle Entscheidungshilfe darstellt.
Zum Studieneinschluss war lediglich ein nativradiologisch gebrochener Wirbel mit Knochenmarködem in der MRT und mit passender Anamnese gefordert.
Bedenkt man, dass die 1-Jahres-Prävalenz von Kreuzschmerzen bei älteren Erwachsenen zwischen 22 und 65% beträgt [5], so ergibt sich die klare Möglichkeit, das bei einer beträchtlichen Anzahl von Studienpatienten die osteoporotische Wirbelkörperfraktur nicht oder nicht mehr das Hauptschmerzproblem war und dementsprechend durch eine Vertebroplastie auch nicht erfolgreich behandelt werden konnte.
Zusammenfassend finden sich bei beiden Studien fundamentale Schwächen, welche die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf die in der klinischen Routine typische Patientengruppe mit osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen zumindest stark einschränken, wenn nicht unmöglich machen.
Am schwerwiegendsten sind wohl der Einschluss eines großen Prozentsatzes alter Frakturen – passend zur auffällig fehlenden Verbesserung in den Placebogruppen – sowie der dringend zu vermutende Selektionsbias.
Aber auch das Fehlen einer klinischen Korrelation von Schmerz und Bildgebung wirft erhebliche Zweifel an der Validität der gewonnenen Ergebnisse auf. Auf diese sollte bei der Indikationsstellung zur Vertebroplastie geachet werden.
Sollen wir also grundsätzlich keine osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen mehr vertebroplastieren
Nach unserer Überzeugung kann dies auf Basis der Ergebnisse von Buchbinder und Kallmes nicht begründet werden.
Selektionsbasis
Nach unserer Erfahrung nimmt die überwiegende Mehrzahl von Patienten mit einer frischen osteoporotischen Wirbelkörperfraktur das Angebot einer Vertebroplastie an.
Buchbinder et al. geben an, dass nur 30% der potenziellen Kandidaten eine Studienteilnahme verweigerten.
Berechnet man jedoch nach den in der Publikation angegebenen Zahlen, so ergibt sich, dass 64% aller primär für eine Teilnahme qualifizierenden Kandidaten eine Teilnahme ablehnten.
In der Kallmes Studie taten dies sogar 70% der in Frage kommenden Kandidaten.
Allein diese Zahlen stellen die Aussagekraft beider Studien stark in Frage.
Da der (reale oder angenommene) Benefit einer Vertebroplastie im Allgemeinwissen gut etabliert ist, besteht durchaus die Wahrscheinlichkeit, dass diejenigen Patienten mit den schmerzhaftesten Frakturen eine Teilnahme ablehnten um so außerhalb des Studienprotokolls sicher eine Vertebroplastie zu erhalten und das Risiko einer Placebobehandlung zu vermeiden.
Hier ergibt sich die klare Möglichkeit eines "Bias durch selektive Teilnahme" [6], was dann die Verallgemeinerung der gewonnenen Studienergebnisse auf die Gesamtpopulation solcher Patienten unmöglich macht.
Die Studienteilnehmer unterschieden sich möglichweise systematisch von den Nichtteilnehmern bezüglich Baseline-Charakteristika, klinischen Charakteristika und Prognose.
Da osteoporotische Wirbelkörperfrakturen frisch am schmerzhaftesten sind [3], [4], passt ein solcher Bias gut zu den außergewöhnlich hohen Anteilen älterer bzw. chronischer Frakturen in beiden Studien.
#Hohe Crossover-Rate
Während in der Buchbinder Studie kein Crossover erlaubt war, kam es in der Kallmes Studie zu einer Crossover-Rate von 44% in der Placebogruppe gegenüber von nur 12% in der Verumgruppe.
Parallel dazu findet sich bei den Vertebroplastiepatienten in derselben Studie ein beinahe signifikanter (p = 0,06) Vorteil bei der klinisch relevanten Schmerzverbesserung.
Dieser Effekt wäre bei höheren Patientenzahlen möglicherweise signifikant geworden.
Alle Korrespondenz bitte an
Dr. Birkenmaier
Christof Birkenmaier [1] , Bernd Wegener [1]
Wolfgang Böcker [2] , Stefan Huber-Wagner [2]
The 2 randomized, placebo-controlled trials on vertebroplasty that were published in issue 361 of the New England Journal of Medicine have attracted enormous attention.
According to the findings of these studies, vertebroplasty is no better than placebo in the treatment of osteoporotic vertebral fractures.
We performed a critical analysis of both studies and evaluated the applicability of their results for the treatment of patients with osteoporotic vertebral fractures in routine clinical practice.
Both studies were found to have fundamental flaws, putting the validity of their findings in question.
The inclusion of a large proportion of old fractures, the strong possibility of a selection bias and the fact that no correlation between the location of maximum pain and the imaging studies was performed, greatly limit the applicability of the study results.
Based on these studies, we see no reason to stop using vertebroplasty for the treatment of osteoporotic vertebral fractures, when indicated.
Literatur
-
01
Kallmes D F, Comstock B A, Heagerty P J, Turner J A, Wilson D J, Diamond T H, Edwards R , Gray L A, Stout L , Owen S , Hollingworth W , Ghdoke B , Annesley-Williams D J, Ralston S H.
(2009) A randomized trial of vertebroplasty for osteoporotic spinal fractures.
N Engl J Med.
361
569-579
-
02
Buchbinder R , Osborne R H, Ebeling P R, Wark J D, Mitchell P , Wriedt C , Graves S , Staples M P, Murphy B .
(2009) A randomized trial of vertebroplasty for painful osteoporotic vertebral fractures.
N Engl J Med.
361
557-568
-
03
Rousing R , Andersen M O, Jespersen S M, Thomsen K , Lauritsen J .
(2009) Percutaneous vertebroplasty compared to conservative treatment in patients with painful acute or subacute osteoporotic vertebral fractures: three-months follow-up in a clinical randomized study.
Spine (Phila Pa 1976).
34
1349-1354
-
04
Wardlaw D , Cummings S R, Meirhaeghe J Van , Bastian L , Tillman J B, Ranstam J , Eastell R , Shabe P , Talmadge K , Boonen S .
(2009) Efficacy and safety of balloon kyphoplasty compared with non-surgical care for vertebral compression fracture (FREE): a randomised controlled trial.
Lancet.
373
1016-1024
-
05
Walker B F.
(2000) The prevalence of low back pain: a systematic review of the literature from 1966 to 1998.
J Spinal Disord.
13
205-217
-
06
Kramer M S, Shapiro S H.
(1984) Scientific challenges in the application of randomized trials.
JAMA.
252
2739-2745
01 Orthopädische Klinik und Poliklinik Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel: 0 89/70 95 0; Fax: 0 89/70 95 58 14, Email: christof.birkenmaier@med.uni-muenchen.de
02 Chirurgische Klinik und Poliklinik – Innenstadt, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, Nußbaumstraße 20, 80336 München
Literatur
-
01
Kallmes D F, Comstock B A, Heagerty P J, Turner J A, Wilson D J, Diamond T H, Edwards R , Gray L A, Stout L , Owen S , Hollingworth W , Ghdoke B , Annesley-Williams D J, Ralston S H.
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-
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(2009) A randomized trial of vertebroplasty for painful osteoporotic vertebral fractures.
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Kramer M S, Shapiro S H.
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01 Orthopädische Klinik und Poliklinik Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel: 0 89/70 95 0; Fax: 0 89/70 95 58 14, Email: christof.birkenmaier@med.uni-muenchen.de
02 Chirurgische Klinik und Poliklinik – Innenstadt, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, Nußbaumstraße 20, 80336 München