Ende des Jahres tagten im Rahmen eines internationalen State-of-the-Art-Symposiums
"Selective VDR Activation and the Cardio-Renal Syndrome" über 150 Nephrologen aus
aller Welt in Berlin. Unter der Leitung von Prof. Werner Riegel, Darmstadt, referierten
renommierte Experten über Möglichkeiten, die kardiovaskuläre Mortalität von Dialysepatienten
zu senken. Die selektive VDR-Aktivierung könnte dafür in mehrfacher Hinsicht bedeutsam
sein.
Epidemiologische Untersuchungen belegen eine Zunahme des kardiovaskulären Risikos
und der kardiovaskulären Mortalität bei abnehmender glomerulärer Fitrationsrate (GFR)
[1], wie Dr. Blai Coll, Spanien, ausführte. Doch gerade für CKD-Patienten (CKD: "chronic
kidney disease") ist die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen schwierig: Während
sich in der Normalbevölkerung die kardiovaskuläre Ereignisrate mittels lipid- und
CrP-senkender Therapie (mit beispielsweise Rosuvastatin) signifikant um 40 % senken
lässt [2], greift diese Therapie bei CKD-Patienten kaum. So hatte in der AURORA[1]-Studie [3] die Therapie mit Rosuvastatin bei Dialysepatienten (n = 2 776) trotz "laborchemischen"
Erfolgs (43 % LDL-Reduktion, signifikante Senkung des C-reaktiven Proteins (CrP))
keinen signifikanten Einfluss auf das Herzinfarkt- und Apoplexrisiko sowie die kardiovaskuläre
Mortalität.
Es reicht bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung also nicht aus, nur die traditionellen
Risikofaktoren zu korrigieren. Ganz offensichtlich müssen auch spezielle Faktoren
wie die chronische Inflammation, die endotheliale Dysfunktion und der Vitamin-D-Haushalt
behandelt werden, will man das Patientenergebnis verbessern.
Gefäßschutz durch selektive VDR-Aktivierung: "Angriffspunkt" Vasa vasorum
Gefäßschutz durch selektive VDR-Aktivierung: "Angriffspunkt" Vasa vasorum
Laut Coll sind zur Prävention kardiovaskulärer Folgeerkrankungen besonders solche
Strategien wichtig, die unter anderem zur Konsolidierung der Endothelfunktion und
zur Inflammationshemmung führen. Ein vielversprechendes Prinzip ist dabei die selektive
VDR-Aktivierung (VDR: Vitamin-D-Rezeptor). Im vergangenen Jahr wurde eine Studie veröffentlicht,
die erstmals den CrP-Rückgang unter einer VDR-aktivierenden Therapie mit Paricalcitol
quantifizierte [4]. Während sich die Entzündungsaktivität bei unbehandelten CKD-Patienten im Verlauf
eines Monats verdoppelte, kam es unter Paricalcitol zur Reduktion um bis zu 30 % vom
Ausgangswert.
Ein ganz neuer Aspekt hinsichtlich des Gefäßschutzes ist der Einfluss von selektiven
VDR-Aktivatoren auf die Angiogenese der Vasa vasorum, der sich günstig auf die Gefäßgesundheit
der Patienten auswirken könnte. Vasa vasorum verlaufen in der Wand aller größeren
Blutgefäße und versorgen sie mit Sauerstoff und Nährstoffen. Sie spielen bei Kalzifizierungsprozessen
eine katalysierende Rolle, da sie den Intimaplaque regelrecht "füttern". In der Folge
kann es dann zur Einblutung mit Plaque-Destabilisierung und zum vaskulären Ereignis
kommen. Je ausgeprägter die Neoangiogenese ist, desto höher ist das Risiko für ein
kardiovaskuläres Ereignis.
Die Angiogenese der Vasa vasorum ist physiologisch abhängig von der VDR-Aktivierung,
wie Coll erläuterte, wobei die Wahl der Art einer VDR-Aktivierung zu signifikanten
Unterschieden in vitro und in vivo führe [5]. So hat die selektive VDR-Aktivierung mit Paricalcitol einen geringeren Wachstumsreiz
auf die Vasa vasorum als ein Vitamin-D-Präparat (z. B. Calcitriol). Im Tiermodell
kam es bei Therapie mit Paricalcitol sogar zur Abnahme von VEGF ("vascular endothelial
growth factor"). Ein neuer, vielversprechender Ansatz, um Plaques-Rupturen zu verhindern
und so das kardiovaskuläre Risiko von CKD-Patienten zu senken, könnte demnach die
Kontrolle und Hemmung der Neoangiogenese durch die selektive VDR-Aktivierung sein
[6], wie Coll schlussfolgerte.
Albuminurie - Marker für kardiovaskuläre und renale Komplikationen
Albuminurie - Marker für kardiovaskuläre und renale Komplikationen
Prof. Eberhard Ritz, Heidelberg, hob die Bedeutung der Proteinurie als Marker für
kardiovaskuläre und renale Komplikationen bei CKD-Patienten hervor. Eine Proteinurie
geht sogar in der Normalbevölkerung mit einem 3-fach erhöhten Mortalitätsrisiko einher
[7]. Sie sei daher selbst in der Normalpopulation kein benigner Nebenbefund, sondern
zeige vaskuläre Schädigungen an und korreliere mit einer verschlechterten Prognose.
Bei Patienten nach PTCA ("percutaneous transluminal coronary angioplasty") oder Myokardinfarkt
können sie sogar als ein prognostischer Marker für das Überleben herangezogen werden
[8], [9]. Das Mortalitätsrisiko nimmt erstaunlicherweise bereits mit einer innerhalb des
Normbereiches ansteigenden renalen Albuminausscheidung ("trace-albuminuria") zu [10], sodass bei Albuminurie frühzeitig zu intervenieren ist.
In Kombination mit einer GFR-Verminderung sagt die Albuminausscheidung kardiovaskuläre
Ereignisse und Mortalität sowie renale Ereignisse voraus [11], [12], [13]. In diesem Kontext verwundere es laut Ritz nicht, dass die Albuminausscheidung mit
dem 24-Stunden-Blutdruck, der linksventrikulären Masse (LVM) sowie mit Indikatoren
des metabolischen Syndroms korreliere [14]. Das "Verbindungsglied" zwischen Herz und Nieren ist dabei die Endothelzelle; bereits
sehr früh lassen sich bei CKD-Patienten sensible endotheliale Funktionsstörungen finden,
die den Beginn einer manifesten endothelialen Dysfunktion darstellen.
Dieser "cross-talk" zwischen Niere und kardiovaskulärem System [15] wird über verschiedene Mechanismen vermittelt, die zunehmend verstanden werden [16], [17]. Dazu gehört das Ang1/Ang2-Gleichgewicht (Ang: Angiopoietin): Ang1 und Ang2 fördern
in unterschiedlicher Weise die Angiogenese, überwiegt Ang2 könnte dies bei CKD zur
Störung der Gefäßintegrität und Endothelfunktion sowie zur Beschleunigung einer Kalzifizierung
führen, so die Hypothese [17]. Dieses Ungleichgewicht ist grundsätzlich reversibel wie bei Patienten nach Nierentransplantation
gezeigt werden konnte [17].
Therapie der Albuminurie: Selektive VDR-Aktivierung zusätzlich zur RAS-Blockade?
Therapie der Albuminurie: Selektive VDR-Aktivierung zusätzlich zur RAS-Blockade?
Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse zur Albuminurie scheint es sinnvoll, jede Maßnahme
zu ergreifen, die zur Senkung der Albuminurie führt. Zum Standard gehört hier die
RAAS-Blockade (RAAS: Renin-Angiotensin-Aldosteron-System), die nachweislich die Proteinurie,
die Progression der renalen Grunderkrankung sowie kardiovaskuläre Schäden aufhält
[18], [19] bzw. bei Diabetikern das Auftreten einer Proteinurie deutlich (p < 0,01) hinauszögern
kann [20]. Der Erfolg einer RAAS-Blockade ist allerdings durch das "Aldosteron-Escape-Phänomen"
limitiert, eine endogene Gegenregulation mit verstärkter RAAS-unabhängiger Aldosteronbildung
[21], [22]. In Untersuchungen ging ein Aldosteron-Escape mit verstärktem GFR-Verlust einher
[23], und umgekehrt konnte eine zusätzliche Aldosteronblockade mit Spironolacton die
Albuminurie reduzieren, obwohl der Blutdruck bei diesen Patienten unverändert blieb
[24].
Da Renin und Aldosteron selbst auch ähnlich dem Ang2 renale Fibrosierungsprozesse
fördern können, scheint die RAAS-Mehrfachblockade - also an verschiedenen Stellen
der Kaskade - sehr sinnvoll, so Ritz. Zusätzlich gewinne als weitere Therapieoption
- additiv zur RAAS-Blockade - die VDR-Aktivierung zunehmende Bedeutung: Die VDR-Aktivierung
vermindert Proteinurie und Glomeruloskleroseentstehung [25]. Detaillierte Untersuchungen am Tiermodell zeigen [26], dass sich unter VDR-aktivierender Therapie das glomeruläre Volumen normalisiert,
ebenso die Podozyten- und Endothelzellzahl, Basalmembrandicke und Kollagenscore sowie
Parameter des oxidativen Stresses. Auch Tubulus-Dilatation und -atrophie ließen sich
deutlich vermindern.
Für die selektive VDR-Aktivierung konnte darüber hinaus eine anti-proliferative, antimitotische
und anti-inflammatorische Wirkung gezeigt werden [27], [28]. Hinzu kommt ein anti-proteinurischer Effekt, der im Rahmen der VITAL[2]-Studie prospektiv untersucht wurde.
Die VITAL-Studie bestätigte die nephroprotektive Wirkung von Paricalcitol
Die VITAL-Studie bestätigte die nephroprotektive Wirkung von Paricalcitol
Im Vorfeld hatten die Zulassungsstudien für Paricalcitolkapseln [29] nebenbefundlich gezeigt, dass es unter Paricalcitol zu einer signifikanten Reduktion
der Proteinurie kommt. Dies war mit der Dipstick-Methode erfasst worden, die zwar
nur semiquantitative Aussagen zulässt, jedoch war die Reduktion statistisch signifikant
(p = 0,004), außerdem additiv zum blutdrucksenkenden Effekt einer RAAS-Blockade. Um
diese Ergebnisse an größeren Patientenzahlen zu objektivieren, wurde die prospektive,
multizentrische VITAL-Studie initiiert, die randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert
die Wirkung von Paricalcitol auf die Albuminausscheidung bei Typ-2-Diabetikern untersuchte.
In die VITAL-Studie wurden 281 Typ-2-Diabetiker mit Parathormonwerten von 35-500 pg/ml,
stabiler Blutdruckeinstellung (< 160/100 mmHg), stabiler Dosis einer RAAS-Blockade,
einer GFR von 15-90 ml/min/1,73 m2 und einem morgendlichen UACR ("urinary albumin-to-creatinine ratio") von 100-3000
mg/g eingeschlossen. Studienendpunkte waren die mittlere Änderung der UACR zwischen
Initial- und Abschlusswert, die mittlere Änderung der Albuminausscheidung im 24-Stunden-Urin,
der Anteil der Patienten, die eine mindestens 15-prozentige Reduktion der Initial-UACR
erreichten, und andere Parameter wie GFR, Blutdruck und natürlich Sicherheit und Verträglichkeit.
Die Patienten erhielten über 24 Wochen täglich doppelblind entweder 1 µg oder 2 µg
Paricalcitol oder Placebo. Dosisreduktionen erfolgten nach einem festgelegten Algorithmus
bei bestimmter PTH-Übersuppression oder Hyperkalzämie. Die Gruppen waren hinsichtlich
aller Baseline-Daten gut gematcht.
Durch Therapie mit Paricalcitol konnte die 24-Stunden-Albuminausscheidung gesenkt
werden (p = 0,038). Bei einer Dosierung von 2 µg Paricalcitol pro Tag erreichten signifikant
mehr Patienten eine Senkung der UACR um mehr als 15 % im Vergleich zu Placebo. 30
und 60 Tage nach dem Absetzen von Paricalcitol war die UACR wieder signifikant angestiegen.
Ebenfalls reversibel war ein leichter, früher Abfall der GFR und des Blutdrucks (4-8
mmHg) in der 2-µg-Gruppe. Ritz fasste zusammen, dass die selektive VDR-Aktivierung
eine vielversprechende Zusatzoption zur RAAS-Blockade sei, um die Progression der
CKD zu verzögern.
Selektive VDR-Aktivierung: Auch eine Option bei linksventrikulärer Hypertrophie?
Selektive VDR-Aktivierung: Auch eine Option bei linksventrikulärer Hypertrophie?
Auch die linksventrikuläre Hypertrophie (LVH) spielt bei der kardialen Morbidität
und der Mortalität von Dialysepatienten eine große Rolle [30], [31], wie Dr. Bruce Hendry, London (Großbritannien), hervorhob. Ein fortschreitender
Nierenfunktionsverlust korreliert mit dem Anstieg der LV-Masse [32], was das kardiovaskuläre Risiko dieser Patienten beträchtlich erhöht.
Seit geraumer Zeit ist bekannt, dass eine verminderte VDR-Aktivierung die Entstehung
einer LVH begünstigen kann. Zum Teil ist dies durch eine relative "Enthemmung" des
RAAS zu erklären, jedoch beeinflussen zusätzlich direkte VDR-vermittelte zelluläre
Wirkungen die diastolische Relaxation. Das Myokard besitzt reichlich Vitamin-D-Rezeptoren
[33], und Vitamin-D-defiziente Tiere entwickeln eine Myozytenhypertrophie und einen erhöhten
systolischen Druck [34].
Der VDR reguliert je nach seinem Aktivierungszustand die Expression von Kollagen,
einigen Interleukinen und Wachstumsfaktoren positiv oder negativ [35], was schlussendlich für die kardiale histomorphologische Struktur und Funktion entscheidend
ist. Über diese Mechanismen scheint eine selektive VDR-Aktivierung die LVH günstig
zu beeinflussen.
So konnte bei salzsensitiven Dahl-Ratten durch eine Paricalcitol-Therapie die kardiale
interstitielle sowie perivaskuläre Fibrose, die Myozytenbreite und die LVH/Septumdicke
normalisiert werden. Dadurch verbesserten sich die LV-Wandbewegung ("fractional shortening")
und die Herzinsuffizienz signifikant gegenüber den Kontrollgruppen [36] sowie auch die diastolische Funktion und der enddiastolische Druck (Abb. [1]).
Abb. 1 Der LVEDP ist bei Tieren unter Salz-Diät signifikant erhöht. Tiere mit Salz-Diät
und Paricalcitolbehandlung haben nahezu normale Werte wie die Kontrolltiere. LVEDP
= linksventrikulärer enddiastolischer Druck, C = Control, PC = Paricalcitol, HS =
"high salt"
Die beschriebenen Ergebnisse sind auf den Menschen übertragbar, dies konnte bereits
in ersten klinischen Untersuchungen gezeigt werden. Paricalcitol reduzierte signifikant
die LVH/Septumdicke und verbesserte die diastolische Funktion gegenüber unbehandelten
Patienten [36]. Ein direkter Therapievergleich [37] zwischen dem selektiven VDR-Aktivator Paricalcitol und einem Vitamin-D-Präparat
(Calcitriol) bei Dialysepatienten (n = 76, initiales PTH > 300 ng/ml) zeigte nach
12 Monaten in der Paricalcitol-Gruppe eine signifikante Verbesserung der LVH (p =
0,03), jedoch nicht im Vergleichsarm.
All diese vielversprechenden Ergebnisse der Tiermodelle und ersten Humanuntersuchungen
werden derzeit in der PRIMO[3]-Studie überprüft. Seit 2008 werden im Rahmen dieser Studie randomisiert, doppelblind
und placebokontrolliert die Effekte von Paricalcitol auf LVH, kardiale Strukturen
und Funktion bei CKD-3/4-Patienten untersucht. Die Studie wird voraussichtlich Ende
2010 abgeschlossen sein.
Dr. Martina Berthold, Weimar
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Abbott GmbH, Ludwigshafen.
Die Beitragsinhalte stammen vom Symposium "Selective VDR Activation and the Cardio-Renal
Syndrome", veranstaltet von der Abbott GmbH, Ludwigshafen, und wurden von Frau Dr.
Bertold (Medizinjournalistin) zusammengestellt.
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