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DOI: 10.1055/s-0030-1250626
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Reanimation – künftig „oben ohne“?
Die neuen Leitlinien zur kardiopulmonalen ReanimationPublication History
Publication Date:
01 February 2011 (online)
In Deutschland sterben jährlich fast 60 000 Menschen trotz Reanimationsmaßnahmen nach einem plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand. Obwohl es in ca. 40 % der Fälle zunächst gelingt, einen Spontankreislauf wiederherzustellen, können letztlich nur gut 10 % aller Patienten das Krankenhaus mit einem guten neurologischen Ergebnis und dementsprechend guter Lebensqualität verlassen. Unbefriedigend an diesen Zahlen ist dabei vor allem die Tatsache, dass sich die Ergebnisse in den letzten Jahren europaweit nicht wesentlich verbessert haben. Bei der Ursachenanalyse ist es hilfreich, sich das Modell der Rettungskette („chain of survival“) noch einmal zu vergegenwärtigen. Aktuelle Zahlen aus dem Reanimationsregister der DGAI lassen sowohl in der Präklinik als auch im Rahmen der nachfolgenden Behandlung im Krankenhaus („post-resuscitation care“) erhebliches Optimierungspotenzial vermuten.
Das menschliche Gehirn ist nach 5 Minuten ohne Herzdruckmassage meist irreversibel geschädigt. Insofern ist es in der Tat erschreckend, dass nur bei 20 % aller Reanimationen lebensrettende Sofortmaßnahmen von anwesenden Laien durchgeführt werden. Daten aus Skandinavien belegen, dass ein Spontankreislauf doppelt so häufig wiederhergestellt werden kann, wenn Laien mit lebensrettenden Sofortmaßnahmen begonnen haben. Genauso erschreckend ist jedoch, dass laut einer deutschlandweiten Umfrage aus dem Jahr 2007 nur 24 % aller Intensivstationen Patienten nach präklinischem Kreislaufstillstand kühlen, obwohl diese Maßnahme bereits in den Leitlinien aus dem Jahr 2005 explizit empfohlen wird. Auch die zeitgerechte Koronarintervention bei Myokardischämie als Ursache des Herz-Kreislauf-Stillstands kommt noch nicht allen Patienten zugute. Auch hier zeigen Daten aus dem Reanimationsregister Outcome-relevante Unterschiede: 49 % der Patienten, die nach Reanimation gekühlt wurden und eine Koronarintervention erhielten, können das Krankenhaus mit gutem neurologischen Ergebnis verlassen – bei den Patienten, die weder gekühlt wurden noch eine Koronarintervention erhielten, waren es hingegen nur 10 %. Oder in absoluten Zahlen: durch verbesserte Laienreanimation und eine optimierte Therapie nach erfolgreicher primärer Reanimation könnten pro Jahr in Deutschland ca. 20 000 Patienten mehr überleben, was der Bevölkerung einer Kleinstadt entspricht.
Insofern wurde mit Spannung erwartet, inwieweit die überarbeiteten Leitlinien zur kardiopulmonalen Reanimation, die der European Resuscitation Council (ERC, www.erc.edu) am 18. Oktober 2010 veröffentlicht hat, auf die eingangs skizzierten Problemfelder fokussieren. In der Tat stellen die überarbeiteten Empfehlungen in beiderlei Hinsicht einen großen Fortschritt dar: Laien werden ermutigt, Herzdruckmassage durchzuführen. Da die Beatmung möglicherweise ein Hindernis für viele Laien darstellte, überhaupt mit Maßnahmen zu beginnen, wird die Beatmung jetzt als zusätzliche Maßnahme erwähnt – also Beatmung wenn möglich, auch durch Laien, aber nur wenn sie können und wollen; auf jeden Fall aber kräftig und möglichst ohne Pausen drücken. In Fortführung und Erweiterung der Strategie aus dem Jahr 2005 wird jetzt milde Hypothermie für alle Patienten unabhängig vom initialen Herzrhythmus empfohlen, auch für Neugeborene. Und die Leitlinien betonen die zeitgerechte Therapie einer möglichen koronaren Ursache für den Herz-Kreislauf-Stillstand. Weitere zentrale Aussagen sind die Empfehlung zur Früh-Defibrillation, zur Lyse während Reanimation bei Lungenembolie und zur an die pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung angepassten Sauerstoffgabe (SaO2 94–98 %) nach erfolgreicher Reanimation.
Es war richtig, die Schwelle für den Beginn lebensrettender Maßnahmen durch Laien zu erniedrigen. Das mit Abstand Wichtigste bei der Reanimation ist die Herzdruckmassage. Diese Maßnahme ist einfach und kann bereits in der Grundschule vermittelt werden. Die Reanimation „oben ohne“ ist aber nicht die optimale Therapie, das betonen die Leitlinien auch ganz klar. Wer trainiert ist in der Mund-zu-Mund- oder Mund-zu-Nase-Beatmung, der soll auch beatmen. Nur wenn Laien nicht beatmen können oder nicht beatmen wollen, ist der Verzicht auf die Beatmung gerechtfertigt. Goldstandard ist und bleibt die Reanimation mit Herzdruckmassage plus Beatmung.
Die Hauptaufgabe unserer in der Notfallmedizin tätigen Fachgesellschaften und letztlich von uns allen besteht ohne Zweifel darin, die zentralen Botschaften der neuen Leitlinien möglichst breit in Presse, Funk und Fernsehen bekannt zu machen, um möglichst viele Menschen damit zu erreichen. Jeder Mensch kann Leben retten, weil die Herzdruckmassage einfach ist und man damit keinen Schaden anrichten kann. Diese Botschaft muss ankommen – je eher, desto besser.
Prof. Dr. med. Berthold Bein, Prof. Dr. med. Jens Scholz, Kiel