Hebamme 2010; 23(3): 136
DOI: 10.1055/s-0030-1255295
Editorial
© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Anstrengung und Qualen, aber auch ein Potenzial an Chancen

Birte Luther
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Publication Date:
21 September 2010 (online)

Der Vogel kämpft sich aus dem Ei.
Das ist die Welt.
Wer geboren werden will,
muss eine Welt zerstören.
 Hermann Hesse (1877–1962)

Diese Metamorphose, die Hermann Hesse da beschreibt, ist mit Anstrengung und Qualen verbunden und sie ist, wie alle Lebenskrisen, mit einem Potenzial an Chancen ausgestattet, aber auch mit großen Risiken behaftet. Es kann viel passieren, wenn man sich auf die Reise in eine neue Welt begibt.

Hebammen wissen um die Qualen und Anstrengungen in solchen Lebenskrisen, durch ihre Arbeit mit gebärenden Frauen nur zu gut. Dies spiegeln auch die Ergebnisse aus unserer Leserinnenumfrage „Methoden zur Linderung des Geburtsschmerzes” aus Heft 1-2010: 91 % der Teilnehmerinnen finden die kontinuierliche Betreuung durch die Hebamme als schmerzlindernde Maßnahme sehr wichtig.

Dass es hier eher um Begleitung und Unterstützung der Frauen, als um Schmerzbekämpfung gehen muss, wird noch unterstrichen durch den Wunsch der Hebammen an die Ärzt/innen. Die Hebammen wünschen sich, dass Ärzt/innen den Geburtsschmerz als physiologisch verstehen und ertragen. Allerdings wünschen sich die Hebammen das Gleiche von den Kolleginnen aus ihrer Berufsgruppe.

Ein Zeichen dafür, wie schwer es uns allen fällt, schmerzvolle Wandlungsprozesse auszuhalten, sie geschehen zu lassen, anstatt sie mit Medikamenten zu überdecken. Deutlich wird, es gehört Mut dazu, sich auf das Abenteuer Geburt einzulassen. Sowohl auf Seiten der Frau/des Paares und des Kindes als auch auf Seiten der Hebammen und Ärzt/innen.

Andererseits gilt es zu bedenken: Auch wenn wir Hebammen die Bedeutung des Geburtsschmerzes kennen und von seinem Sinn überzeugt sind, müssen wir die informierte Entscheidung einer Gebärenden für Schmerzmittel und PDA respektieren. Letztendlich entscheidet allein die Frau, ob sie sich dem Prozess der Schmerzbewältigung stellen möchte oder nicht.

Einen ganz besonderen Mut erfordert es, wenn nicht alles so verläuft, wie es normalerweise der Fall ist, z. B. bei einer vaginalen Geburt aus Beckenendlage. Besonders freuen wir uns daher, dass wir unsere ehemalige Mitherausgeberin Ulrike Harder wieder einmal für einen mutigen Beitrag gewinnen konnten. Sie zeigt, dass ein Kind in BEL keine sofortige Sectioindikation darstellen sollte. Sehr anschaulich verdeutlicht sie in ihrem Artikel, was in den einzelnen Geburtsphasen bei spontanen BEL-Geburten zu tun oder auch zu lassen ist.

Hinzu kommen muss neben dem intuitiven und vorhandenen erfahrungsgeleiteten Wissen, neben dem Erspüren von Bedürfnissen also und dem „alten” Hebammenwissen, welches sich in der Praxis stets aufs Neue bewährt, auch das Wissen aus aktuellen Studien. Dies zwingt uns zu erkennen, wo die Arbeit noch nicht so optimal läuft, wie auch der Beitrag von Barbara Schildberger „Väter im Kreißsaal – die vergessenen Beteiligten?” verdeutlicht.

Ein weiteres spannendes Beispiel, das zeigt, wie wichtig Forschung im Hebammenwesen ist, spiegelt sich im Beitrag von Ute Taschner zur Sicherheit der Hausgeburt wider. Sie berichtet von zwei aktuellen Studien mit großen Fallzahlen. Fazit: Die Studien zeigen übereinstimmend, dass die Sicherheit von Hausgeburten bei gesunden Frauen mit unauffälliger Schwangerschaft vergleichbar mit Klinikgeburten ist. Darüber hinaus waren Hausgeburten mit signifikant weniger geburtshilflichen Eingriffen für die Frauen verbunden.

Dieses Heft war für mich nicht nur spannend zu lesen, sondern gleichzeitig auch eine wunderbare Vorbereitung auf die Geburt meines eigenen Kindes, die im Oktober/November diesen Jahres anstehen wird. Klar ist: wir beide sind bei Hebammen und Ärzt/innen, die wissenschaftliche Ergebnisse in ihre Arbeit einbeziehen, sich aber zugleich ihrer intuitiven Kräfte und bodenständigen Hebammenkenntnisse bewusst sind, gut aufgehoben!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen

Ihre

Birte Luther

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