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DOI: 10.1055/s-0030-1255325
Antientzündliches Essen –
Rheumaernährung konkret und praktisch
Birgit Blumenschein
Havixbeckerstraße 22A
48161 Münster
eMail: blumenschein@ernaehrungstherapie-blumenschein.de
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
21. Dezember 2010 (online)
- Vegetarier haben seltener Rheuma
- Erkenntnisse nutzen
- Arachidonsäure reduzieren
- Kaltwasserfische
- Hürden bei der Umsetzung
- Geeignete Speisefette wählen
- Fischölpräparate als Alternative
- Was bringen Vitamine und Mineralstoffe?
- Fazit
- Literatur/Quellenhinweise
„Es gibt keine Rheuma-Diät” – das bekommen Patienten leider häufig zu hören und zu lesen. Ernährungsfachkräfte werden jedoch nicht müde zu erläutern, dass bestimmte Ernährungsmaßnahmen über die allseits bekannten DGE-Empfehlungen hinaus wichtig sind. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit für Rheumatiker notwendig.
Vita
Birgit Blumenschein arbeitet seit 1990 als Diätassistentin und hat Medizinpädagogik studiert. Seit 2003 selbständig engagiert sie sich im Bereich Ernährung, Ernährungsmedizin und Gesundheitsförderung. Ihre Schwerpunkte sind Individualberatungen und Gruppenschulungen, besonders zu Themen der Gastroenterologie und dem Stoffwechsel. Als Lehrbeauftragte im Studium Clinical Nutrition/Ernährungsmanagement Bsc. ist sie ebenso tätig wie als Referentin diverser Seminare und Dozentin an Fort- und Weiterbildungsinstitutionen.
Betroffene wollen wissen, wie aufwändig die Ernährung sein muss. Sie lesen und hören von Vegetarismus bis hin zur veganen Kost und dass sie auf Alkohol und Nikotin verzichten sollen. Irritierend sind die Empfehlungen, tierische Fette und v. a. Schweineschmalz zu meiden, überhaupt das Schweinefleisch wegzulassen und dafür Fisch zu essen. In Internetforen, in denen sich Rheumakranke austauschen, finden sich Befragungen, wer sich wie ernährt. Ergebnisse sind, dass zwei Drittel der Betroffenen weiterhin Fleisch essen, die meisten lediglich Produkte aus und vom Schwein weglassen. Die folgenden Ausführungen zeigen, dass nicht nur Schweinefleisch gemieden werden sollte.
#Vegetarier haben seltener Rheuma
Sicher und über Untersuchungen nachgewiesen ist, dass Rheuma nur in Ausnahmefällen direkt durch die Ernährung ausgelöst wird. Als Ausnahmefälle werden Kollagenosen und dabei besonders der Lupus erythematodes und die bei diesen Menschen auftretenden Nahrungsmittelunverträglichkeiten (z. B. gegenüber Laktose, Fruktose sowie Gluten) diskutiert. Nach aktueller Studienlage zeigt sich, dass Vegetarier tatsächlich deutlich weniger entzündlich-rheumatische Erkrankungen aufweisen als Mischköstler. Diese verzehren viele Lebensmittel, z. B. Fleisch und Fleischwaren, die entzündungsfördernde Substanzen enthalten.
Als Ursache für entzündlich-rheumatische Reaktionen wurden Prostaglandine erkannt und benannt. Diese entstehen aus der Omega-6-Fettsäure Arachidonsäure, die sowohl im Körper synthetisiert wird, als auch überwiegend in tierischen Lebensmitteln enthalten ist. Über die Nahrung zugeführte Arachidonsäure wird zu 90 % in die Zellen resorbiert und steht dort zur Bildung der entzündungsfördernden Substanzen zur Verfügung. Als den Rheumaschub auslösend werden von Betroffenen verschiedene Lebensmittel genannt ([Tab. 1]).
Schwein | 39 % | Hafer | 37 % |
Rind | 32 % | Eier | 32 % |
Lamm | 17 % | Roggen | 32 % |
Mais | 57 % | Kaffee | 32 % |
Weizen | 54 % | Erdnüsse | 20 % |
Milch | 37 % | Soja | 17 % |
Quelle: O. Adam: Ernährung bei rheumatischen Erkrankungen, ErnährungsUmschau 12/08, S. 734 ff. |
Erkenntnisse nutzen
Der Verzehr von tierischen Fetten, besonders der Fette von rotem Fleisch, wird als für den Rheumatiker „schubunterhaltend” bzw. „symptomverstärkend” beschrieben. Parallel dazu scheinen zu wenig Fisch und zu geringe Mengen an Obst und Gemüse im täglichen Verzehr entzündungsunterhaltend zu wirken.
Antientzündliches Essen bedeutet nach heutigen Erkenntnissen
-
das Erkennen und Meiden der krankheitsverstärkenden, entzündungsfördernden Lebensmittel (-inhaltsstoffe) und
-
eine erhöhte Zufuhr von entzündungshemmenden, das Immunsystem stärkenden Lebensmittel (-inhaltsstoffen).
Eine praktische Umsetzung erfahren diese Überlegungen durch folgende Maßnahmen:
-
arachidonsäurearme Kost,
-
Kost, reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren und
-
Kost, reich an Vitamin E, Vitamin C, Selen und Zink.
Zur Osteoporoseprophylaxe (Osteoporose als eine mögliche Folge des Medikamenteneinsatzes bei Rheumatikern) wird flankierend kalziumreiches sowie phosphatarmes Essen und Trinken empfohlen. Aufgrund des Basistherapeutikums Methotrexat wird nach Absprache des Arztes oft eine Folsäuresupplementierung empfohlen.
#Arachidonsäure reduzieren
Arachidonsäurearme Kost bedeutet, die Zufuhr an Arachidonsäure auf maximal 350 mg pro Woche bzw. 50 mg pro Tag zu begrenzen. Konkret und praktisch umgesetzt heißt das:
-
2 Fleischmahlzeiten pro Woche à 100 g
-
keine Innereien und daraus hergestellte Produkte
-
max. 2 Eigelb pro Woche
-
eine Wurst-/Schinkenmahlzeit pro Woche
-
nur fettarme Milch und Milchprodukte
-
kein Schweineschmalz und/oder Rindertalg.
Die Einschränkung von Fleisch- und Wurstmahlzeiten bezieht sich auf alle Fleischarten. Es wird oft Geflügel statt Schweinefleisch empfohlen, doch auch Pute und Huhn enthalten ca. 160 bzw. über 200 mg Arachidonsäure/100 g. Eine Ausnahme bildet Truthahnbrust ohne Haut mit 55 mg/100 g, bei der Keule ohne Haut sind es schon wieder 170 mg.
#Kaltwasserfische
Insgesamt wird zu einer überwiegend (ovo-) lakto-vegetabilen Kost geraten, die mit entzündungshemmenden „Fischfetten” aus Kaltwasserfischen wie Makrele, Hering, Lachs und Thunfisch ergänzt werden soll. Diese Empfehlung wird aufgrund darin enthaltenen Omega-3-Fettsäuren EPA (Eicosapentaensäure) und DHA (Docosahexaensäure) gegeben. Die erhöhte Zufuhr von Omega-3-Fettsäure-reichen Pflanzenölen, wie z. B. Lein- und Rapsöl, wirkt synergistisch.
#Hürden bei der Umsetzung
Allerdings wird offen über die Realisierbarkeit einer derart gemüse- und getreidelastigen (vegetabilen) Ernährung diskutiert. Problematisch ist sie für die Betroffenen häufig deshalb, weil Gemüse und Getreideprodukte zur wirklich gesunden Versorgung mit wertvollen Inhaltsstoffen frisch eingekauft und verzehrt werden sollten. Das Heben und Tragen der Einkaufstaschen, die häufigeren Einkaufstouren sowie kräftiges Kauen fordert von den Rheumakranken schlicht, ihre Schmerzen zu ignorieren. Hier scheitern viele gut gemeinte und ernährungsphysiologisch korrekte, aber eben nur theoretische Ernährungsempfehlungen an ihrer realistischen und praktischen Umsetzung.
Zusätzlich zur Empfehlung, wenig Arachidonsäure (AA) über die Lebensmittel aufzunehmen, kann mit Hilfe von mehrfach ungesättigten Fettsäuren die körpereigene Synthese der AA gehemmt werden. Das Enzym „Desaturase”, das die Umwandlung zu Arachidonsäure im Körper katalysiert, wird durch Linolsäure, α-Linolensäure, EPA und DHA in seiner Wirkung gehemmt. Die alleinige Zufuhr der essenziellen Linolsäure reicht jedoch nicht aus, man müsste ca. 45 ml Rapsöl oder gar 116 ml Olivenöl pro Tag aufnehmen, um eine merkliche Enzymhemmung zu erreichen. Effektiver können hier die Öle mit Omega-3-Fettsäuren eingesetzt werden, die zusätzlich eine entzündungshemmende Wirkung entfalten – v. a. EPA. Es ist jedoch nicht möglich, diese Fettsäure über herkömmliche Lebensmittel isoliert aufzunehmen. Für Rheumatiker wird die tägliche Zufuhr von ca. 900–1000 mg EPA empfohlen (zum Vergleich für Gesunde lt. DGE: ca. 300 mg EPA/Tag).
Konkret und praktisch umgesetzt bedeutet das in diesem Fall:
-
70–85 g Hering/Tag oder
-
70 g Thunfisch/Tag oder
-
100 g Makrele/Tag oder
-
160 g Sardine/Tag oder
-
200 g Lachs/Tag oder
-
650 g Forelle/Tag !!! oder
-
1 kg Seelachs /Tag !!!
Dosenfisch enthält (wesentlich) weniger Omega-3-Fettsäuren als frischer Fisch ([Tab. 2]).
Beispiel | Omega-3-FS-Gehalt pro 100 g |
Sardinen, frisch | 1800 mg |
Sardinen, Dose | 1000 mg |
Thunfisch, frisch | 1500–2500 mg |
Thunfisch, eingelegt | 300–700 mg |
Hering, frisch | 1000–2000 mg |
Bismarckhering | 900 mg |
Quellen: USDA Nutrient Database for Standard Reference, 2003; Souci, Fachmann, Kraut, 7. Aufl. 2008 |
Geeignete Speisefette wählen
Um die positiven Effekte der entzündungshemmenden Fettsäuren für den Körper optimal zu entfalten, sollte ein günstiges Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren bevorzugt werden. Als wünschenswert für Rheumatiker wird ein Verhältnis von 1 : 4 angesehen. Im Bereich der Öle für die Zubereitung von kalten und/oder warmen Speisen entsprechen in ihrer Zusammensetzung einzig Lein-, Perilla- und Rapsöl dieser Empfehlung ([Tab. 3]).
SOLL bei Rheuma | Omega-3 : Omega-6 |
< 1 : 4 | |
IST | |
Leinöl | 1 : 0,2–0,4 |
Perillaöl | 1 : 0,25 |
Rapsöl | 1 : 2 |
Walnussöl | 1 : 4,5 |
Sojaöl | 1 : 7 |
Weizenkeimöl | 1 : 7 |
Olivenöl | 1 : 9 |
Standardmargarine | 1 : 10 |
Palmöl | 1 : 10 |
Erdnüsse | 1 : 26 |
Sesam | 1 : 27 |
Maiskeimöl | 1 : 61 |
Sonnenblumenöl | 1 : 126 |
Distelöl | 1 : 150 |
Quellen: Ernährung & Medizin 2008; 23: 29–33, Ernährung & Medizin 2010; 25 (Suppl. 1): 3–18 |
Häufig wird nun Leinöl empfohlen, weil es zum einen viel Omega-3-Fettsäuren enthält und zudem ein günstiges Verhältnis der Fettsäuren zueinander aufweist. Die Überlegung, dieses Öl verstärkt den Menschen zu empfehlen, die keinen Fisch essen, ist nachvollziehbar. Die praktische Umsetzung zeigt jedoch, dass pro Tag ca. 75 ml Leinöl eingesetzt werden müssten, um denselben Effekt zu erzielen, wie er durch den Genuss von marinen Omega-3-Fettsäuren erreicht werden kann. Diese Ölmenge ist überhaupt nicht realisierbar, weder aus geschmacklichen, noch aus koch- bzw. zubereitungstechnischen Gründen.
#Fischölpräparate als Alternative
Wenn Rheumatiker Fisch essen, und besonders die Fettfische wählen, stellt die Versorgung mit der entzündungshemmenden Fettsäure EPA in der Regel kein Problem dar. Bei Betroffenen, die keinen Fisch essen, ist die herkömmliche Versorgung mit diesen wertvollen Fettsäuren in Frage gestellt, hier wird von Seiten der Wissenschaft eine dauerhafte Ergänzung mit Fischölpräparaten empfohlen. Eine dreimonatige Supplementierung über Nahrungsergänzung zur Anreicherung der Zellmembranen scheint sehr effektiv. Hierzu ist es sinnvoll, Präparate zu wählen, die Vitamin E enthalten (das ist nicht bei allen angebotenen Produkten der Fall). Zudem sollte man diejenigen auswählen, die als Arzneimittel vertrieben werden. Die Vorteile bei diesen Präparaten sind die definierte Dosierung und der Beipackzettel, der über Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen und Nebenwirkungen (z. B. erhöhte Blutungsneigung) informiert.
Übrigens: Lebertran ist nicht gleichzusetzen mit Fischöl; Rheumatiker benötigen das Öl aus dem Fisch selbst (in den Fischölkapseln enthalten) und nicht das Öl aus der Fischleber, das viel Vitamin A und D enthält.
#Was bringen Vitamine und Mineralstoffe?
Die Vitamin- und Mineralstoffversorgung und -zufuhrempfehlung steht und fällt mit der täglich aufgenommenen Obst-, Gemüse- und Getreidemenge. Für Rheumatiker gelten besonders die Vitamine E und C sowie die Mineralien Selen und Zink als immunstabilisierend und sind daher in höheren Mengen empfehlenswert. Vitamin E müsste nach den Empfehlungen über Supplementierung ergänzt werden, da die Zufuhr über die dafür notwendige Nahrungsmittelmenge nicht realisiert werden kann ([Tab. 4]). Zahlreiche Studien haben jedoch keine ausreichenden Nachweise für die Wirksamkeit einer Supplementierung aufgezeigt. Daher bleibt diese Empfehlung vorerst offen, im Gegensatz zur Vitamin-C-Empfehlung. Hier kann über die gewünschten 5 Obst- und Gemüseportionen pro Tag viel aufgenommen werden.
Vitamin E | 100–200 mg/Tag | z. B. enthalten in | 70 ml Weizenkeimöl 230 ml Rapsöl 600 g Mandeln, süß 2,5 kg Walnüssen |
Vitamin C | 200 mg/Tag | z. B. enthalten in | 120 g Petersilie 175 g Brokkoli, frisch 115 g Johannisbeeren 400 g Orange |
Selen | 100–200 µg/Tag | z. B. enthalten in | 100 g Hering 115 g Thunfisch 430 g Makrele 135 g Weizenkeime 280 g Weizen-VK-Brot |
Zink | 15–25 mg/Tag | z. B. enthalten in | 100 g Roggenkeime 150 g Weizenkleie 435 g fettarmer Käse 400 g getrocknete Linsen 480 g Rindfleisch |
Quellen: Souci, Fachmann, Kraut, 7. Aufl. 2008; O. Adam: Diät + Rat bei Rheuma und Osteoporose, Walter Haedecke-Verlag, 2002 |
Bei Selen und Zink ist man sich sicher, dass dies über die reguläre Ernährung schwierig ist, besonders bei Personen, die keinen Fisch essen. Hier ist Nahrungsergänzung sinnvoll. Die Datenlage der Studien ergibt jedoch noch zu wenige Erkenntnisse, um daraus noch konkretere Zufuhrempfehlungen, sei es über Nahrungsmittel oder Supplemente, für die Rheumatiker zu entwickeln.
#Fazit
-
Eine arachidonsäurearme Kost mit maximal 2 Fleischmahlzeiten und 2 Eigelb pro Woche bringt Vorteile. Daraus abgeleitet wird eine überwiegend lakto-vegetabile Ernährung mit vielen fettarmen Milchprodukten (unterstützt auch die Kalziumzufuhr) empfohlen.
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Eine hohe Zufuhr an Nahrungsmitteln mit vielen Omega-3-Fettsäuren (besonders EPA), wie z. B. Hering, Makrele, Lachs und Thunfisch sowie Lein-, Perilla- und Rapsöl, hemmen Entzündungsprozesse. „Nicht-Fischesser” sollten Omega-3-Fettsäuren über Fischölpräparate ergänzen.
-
Viel Obst und Gemüse („5 am Tag”) sowie oft und regelmäßig Vollkornprodukte liefern Vitamine und Mineralien, die das Immunsystem unterstützen.
Online
http://dx.doi.org/10.1055/s-0030-1255325
#Literatur/Quellenhinweise
Literatur/Quellenhinweise bei der Verfasserin.
Birgit Blumenschein
Havixbeckerstraße 22A
48161 Münster
eMail: blumenschein@ernaehrungstherapie-blumenschein.de
Birgit Blumenschein
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