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DOI: 10.1055/s-0030-1256113
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Nosokomiale Infektionen durch gramnegative Bakterien
Publication History
Publication Date:
27 December 2010 (online)
Peleg AY, Hooper DC. Hospital-acquired infections due to Gram-negative bacteria. N Engl J Med 2010; 362: 1804 – 1813
Im Krankenhaus erworbene Infektionen können eine große Gefahr für Patienten darstellen. Nach Hochrechnungen traten im Jahr 2002 etwa 1,7 Mio. nosokomiale Infektionen mit 99 000 Todesfällen in den USA auf. Dabei wird von einem Vermeidungspotenzial von etwa 30 % durch moderne Präventionsmaßnahmen ausgegangen. Die Zahlen für Europa sind vergleichbar. Infektionen durch gramnegative Bakterien stellen v. a. wegen der sehr effizienten und variabel auftretenden Antibiotikaresistenzen eine Herausforderung in der Therapie dar. Typischerweise werden resistente Erreger durch Antibiotika selektiert oder sie erwerben von anderen Bakterienstämmen Resistenzgene. Effizient in der Abwehr gegenüber antimikrobiellen Substanzen sind gramnegative Bakterien insbesondere deshalb, weil sie häufig mehrere Resistenzmechanismen gegen eine Substanzklasse einsetzen können oder umgekehrt mit Hilfe eines einzigen Mechanismus mehrere Antibiotika beeinflussen können.
Peleg und Hooper geben in ihrer Arbeit in der Rubrik „Current Concepts” des New England Journal of Medicine eine Übersicht über im Krankenhaus erworbene Infektionen durch gramnegative Bakterien, die meist im Zusammenhang mit der Anwendung invasiver Maßnahmen oder chirurgischer Eingriffe entstehen. Gramnegative Bakterien sind für etwa ein Drittel aller nosokomialen Infektionen insgesamt und für 70 % aller derartigen Infektionen auf Intensivstationen verantwortlich. Sie sind die häufigsten Erreger bei beatmungsassoziierten Pneumonien (47 %) und Harnwegsinfektionen (45 %). Dabei handelt es sich um Mitglieder der Familie der Enterobacteriaceae und um sog. Nonfermenter, wie beispielsweise Pseudomonas aeruginosa. In den letzten Jahren sind weltweit vermehrt multiresistente Stämme von P. aeruginosa, Acinetobacter baumannii sowie extended-spectrum β-lactamase (ESBL)-produzierende oder Carbapenemase-produzierende Enterobacteriaceae aufgetreten.
Beatmungsassoziierte Pneumonien auf Intensivstationen sind die häufigsten lebensbedrohlichen nosokomialen Infektionen. Sie betreffen 10 – 20 % aller Patienten, die länger als 48 Stunden beatmet werden. Zwischen 1986 und 2003 hat sich in den USA insbesondere die Rate an Pneumonien, die durch P. aeruginosa oder A. baumannii verursacht sind, erhöht. Dabei limitiert das Auftreten von Carbapenem-resistenten P. aeruginosa (26,4 %) und A. baumannii (36,8 %) die therapeutischen Optionen erheblich. Als jüngst beschriebene klinische Gruppe von Pneumonien führen die Autoren die sogenannte „health care-associated pneumonia” an, die definiert ist als eine außerhalb des Krankenhauses erworbene Pneumonie bei Menschen, die (ambulante) Kontakte zu medizinischen Einrichtungen haben oder sich in Langzeitpflegeeinrichtungen aufhalten. Auch dabei treten zunehmend Infektionen durch multiresistente Erreger auf, sodass die empirische Therapie auch Komponenten gegen P. aeruginosa oder resistente S. aureus beinhalten sollte. Hauptrisikofaktoren für diese Infektionen mit multiresistenten Keimen stellen eine kürzlich erfolgte Antibiotikatherapie sowie der Aufenthalt in Langzeitpflegeeinrichtungen dar. Auf deutsche Verhältnisse bezogen sollte jedoch erwähnt werden, dass in der entsprechenden aktuellen S3-Leitlinie zur ambulant erworbenen Pneumonie (Höffken G et al. Pneumologie 2009; 63: e1 – e68) eine Pseudomonas-wirksame Therapie bei hospitalisierten Patienten nur bei bestimmten Risikogruppen (schwere strukturelle chronische Lungenerkrankung mit Antibiotikavortherapie oder vorausgegangener Hospitalisierung, bekannte Kolonisation, Bronchiektasien, Mukoviszidose) sowie bei der schweren ambulant erworbenen Pneumonie empfohlen wird. Die Autoren empfehlen zur Diagnose einer nosokomialen Pneumonie neben klinischen Kriterien die Ergebnisse frühzeitig invasiv gewonnener mikrobiologischer Proben heranzuziehen. Ein verspäteter Beginn der antibiotischen Therapie bei kritisch kranken Patienten sollte jedoch vermieden werden. Da die Interpretation mikrobiologischer Befunde gerade aus dem Respirationstrakt häufig einen großen Spielraum lässt, wird versucht, mit objektiven Kriterien wie einer quantitativen Keimzahlbestimmung in bronchoalveolärer Lavageflüssigkeit besser zwischen Kolonisation und Infektion unterscheiden zu können. Leider ist die Variabilität zwischen einzelnen Untersuchungen sehr groß. Zudem konnte bislang nicht gezeigt werden, dass die Verwendung quantitativer im Gegensatz zu qualitativen mikrobiologischen Untersuchungen einen Einfluss auf die Mortalität, die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation, die Beatmungsdauer oder die Notwendigkeit, die antibiotische Therapie umzustellen, hat. Die Autoren stellen aber fest, dass durch die bessere Unterscheidung zwischen Kolonisierung und Infektion weniger häufig unnötige Antibiotikatherapien begonnen werden. Die empirische Therapie der nosokomialen Pneumonie wird entscheidend durch die Länge des Krankenhausaufenthalts vor Symptombeginn bestimmt. Patienten, die bereits länger als 5 Tage im Krankenhaus waren, haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Infektionen mit multiresistenten Bakterien, sodass eine Breitspektrum-Antibiotikatherapie begonnen werden sollte. In jedem Fall muss nach 48 – 72 Stunden eine kritische Therapieevaluation durchgeführt werden. Die Autoren empfehlen, für unkomplizierte beatmungsassoziierte Infektionen eine kurze Therapiedauer von 8 Tagen. Bei Infektionen mit Nonfermentern, wie z. B. P. aeruginosa, sollten nach Ansicht der Autoren Antibiotika 15 Tage verabreicht werden.
Bakteriämien treten sehr häufig im Zusammenhang mit zentralvenösen Kathetern auf und gehen mit einer hohen Mortalität einher. Ursächlich können auch Infektionen an anderen Körperstellen sein, allen voran Infektion der Lunge, des Urogenitaltrakts und des Abdomens. Etwa 30 % aller Bakteriämien auf Intensivstationen in den USA sind durch gramnegative Bakterien verursacht. Am häufigsten werden Klebsiella spp., E. coli, Enterobacter spp. und P. aeruginosa isoliert. Problematisch ist auch hier die zunehmende Verbreitung multiresistenter Erreger mit Resistenzen gegen Cephalosporine der Gruppe 3 und Carbapeneme. In jüngster Zeit verbreiteten sich v. a. Carbapenemase-tragende Stämme von K. pneumoniae (KPC), die eine Resistenz gegen alle Cephalosporine, Monobactame und Carbapeneme zeigen. Gene, die für Betalaktamasen kodieren, liegen auf mobilen genetischen Elementen, meist Plasmiden und Transposons, und sind deshalb leicht übertragbar. Zudem kommen sie häufig gemeinsam mit anderen Resistenzgenen vor, die Aminoglykoside oder Chinolone unwirksam werden lassen, sodass die therapeutischen Optionen noch weiter limitiert werden.
Gramnegative Bakterien sind die vorherrschenden Erreger von Harnwegsinfektionen, die überwiegend mit Harnwegskathetern im Zusammenhang stehen. Ab dem 2. Tag der Katheterisierung steigt das Risiko einer Bakteriämie um 5 – 10 % pro Tag. Die effektivste Maßnahme besteht im Entfernen des Katheters. Der am häufigsten isolierte Erreger ist nach wie vor E. coli, gefolgt von P. aeruginosa, Klebsiella spp., Enterobacter spp. und A. baumannii. Ein zunehmendes Problem stellen auch hier ESBL-bildende Keime dar, deren molekulare Epidemiologie sich in den letzten 20 Jahren deutlich verändert hat. ESBLs vom CTX-M-Typ sind heute am weitesten verbreitet.
Für die Wahl der empirischen Antibiotikatherapie ist die Kenntnis und Berücksichtigung der lokalen Resistenzsituation von größter Bedeutung. So sollten für häufig zu behandelnde Infektionen klinikeigene Leitlinien ggf. unter Hinzuziehung eines Infektiologen erarbeitet werden. Für die Behandlung von Infektionen mit multiresistenten Erregern werden zunehmend ältere Antibiotika angewendet, die aufgrund ihres Nebenwirkungsspektrums bereits aus dem klinischen Alltag verschwunden waren. Hierzu zählen die Polymyxine Colistin und Polymyxin B, die vor allem bei Carbapenem-resistenten Erregern mit Erfolg eingesetzt werden. Zu den neueren Antibiotika mit Aktivität gegen gramnegative Bakterien gehören das Minocyclin-Derivat Tigecyclin, das für die Behandlung komplizierter Haut-, Weichteil- und intraabdomineller Infektionen zugelassen ist, sowie das Carbapenem Doripenem. Tigecyclin ist wirksam gegen viele gramnegative Erreger einschließlich ESBL- und Carbapenemase-produzierende Enterobacteriaceae. P. aeruginosa und Proteus spp. sind jedoch intrinsisch resistent. Die Konzentrationen im Urin sind sehr niedrig, sodass es nicht für die Behandlung von Harnwegsinfektionen eingesetzt werden kann. Darüber hinaus ist es Imipenem-Cilastatin zur Behandlung der beatmungsassoziierten Pneumonie deutlich unterlegen. Aufgrund seiner raschen Diffusion ins Gewebe ist es für die Therapie von Bakteriämien nicht geeignet.
Die Autoren diskutieren auch die Rolle von Kombinationstherapien gegenüber Monotherapien für gramnegative Infektionen. Sie kommen zu dem Schluss, dass eine empirische Kombinationstherapie die Wahrscheinlichkeit einer gegen den ursächlichen Erreger gerichteten antimikrobiellen Wirksamkeit erhöht. Dieser Effekt ist bei multiresistenten Bakterien besonders ausgeprägt. Bei einer gezielten Therapie mit bekanntem Erreger ist der Behandlungserfolg von Monotherapien und Kombinationstherapien vergleichbar. Die Autoren empfehlen daher, bei schweren nosokomialen gramnegativen Infektionen mit einer Kombinationstherapie zu beginnen und nach Vorliegen der Sensibilitätstestung auf eine Monotherapie umzustellen (Deeskalation).
Abschließend gehen die Autoren auf weitere Strategien zur Behandlung von Infektionen durch multiresistente gramnegative Erreger ein. Bei der Therapie beatmungsassoziierter Pneumonien zeigen vor allem verlängerte Infusionszeiten oder kontinuierliche Gaben von Betalaktam-Antibiotika sowie die Anwendung inhalierbarer Antibiotika Vorteile. Für alle 3 genannten Infektionsarten betonen die Autoren in ihrem Artikel mehrfach die Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen. Diese werden in übersichtlicher Form in einer Tabelle dargestellt.
Fazit:Der vorliegende Übersichtsartikel fasst wichtige Informationen zu im Krankenhaus erworbenen Infektionen durch gramnegative Bakterien zusammen. Dabei werden sowohl diagnostische und therapeutische, als auch präventive Aspekte berücksichtigt und klinisch relevant dargestellt.
Dr. med. Patrick Weißgerber, Tübingen