Aktuelle Dermatologie 2011; 37(1/02): 24-26
DOI: 10.1055/s-0030-1256124
Eine Klinik im Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Riesenzellarteriitis der Arteria temporalis links – Ausgedehnte Skalpnekrose bei einer 71-jährigen Patientin

Giant-Cell Arteriitis-Horton (Magath-Brown Disease) in an 71-Year Old FemaleK.  Braunert1 , S.  Weimann1 , C.  S.  L.  Müller1 , J.  Reichrath1 , T.  Vogt1
  • 1Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
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Karin Braunert

Universitätsklinikum des Saarlandes
Klinik für Dermatologie,
Venerologie und Allergologie

Kirrberger Str. 1
66421 Homburg/Saar

Email: karin.braunert@uks.eu

Publication History

Publication Date:
03 February 2011 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die Arteriitis temporalis ist eine relativ seltene segmentale, granulomatöse, obliterierende Vasculitis. Pathogenetisch findet sich eine granulomatöse Riesenzellarteriitis im Bereich von Media und Adventitia der kleinen und mittleren Arterien. Die Diagnose ist klinisch oft nicht leicht zu stellen. Wir stellen einen Fall einer Riesenzellarteriitis der Arteria temporalis links bei einer 71-jährigen Patientin vor, welche zuvor unter der Verdachtsdiagnose eines Herpes zoster behandelt wurde.

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Abstract

The Giant-cell arteritis-Horton (GCA, -Magath-Brown disease) is a rather rare segmental, granulomatous obliterating vasculitis. Pathogentically a granulomatous inflammation of the media and adventitia of small to medium sized arteries is found. The diagnosis might be missed and can be difficult. Here we present the case of a 71-year old patient, who was presenting to our outpatient clinic as „herpes zoster”.

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Kasuistik

Die 71-jährige Patientin stellte sich vor aufgrund des Verdachtes auf einen therapieresistenten, nekrotisierenden Herpes zoster der Kopfhaut. Die hautfachärztliche Konsultation erfolgte wegen persistierender Schmerzen sowie einer Progredienz der Hautveränderungen trotz 11-tägiger stationärer Behandlung in einem heimatnahen Krankenhaus. Zusätzlich berichtet die Patientin über seit 2 Monaten aufgetretene Sehstörungen. So habe sie beim Autofahren die Fahrbahnmarkierung teilweise doppelt gesehen. Eine augenärztliche Untersuchung, ein CCT sowie ein EEG hätten keinen richtungsweisenden Befund ergeben. Seit mehreren Wochen bestünden auch starke Kopfschmerzen („tausend Nadelstiche im Kopf”).

Vor ca. einem Monat sei an der Stirn links zunächst ein Hämatom, dann eine Krustenbildung mit Nässen aufgefallen. Es erfolgte eine heimatnahe 11-tägige stationäre antivirale Therapie und Analgesie unter der Verdachtsdiagnose eines nekrotisierenden Herpes zoster. Nach der Entlassung hätten sich der Hautbefund und die Schmerzen zusätzlich weiter verschlechtert.

Die dermatologische Eigen- und Familienanamnese war unauffällig. An Vorerkrankungen waren eine absolute Arrhythmie (mit Marcumar-Therapie), eine arterielle Hypertonie, ein Z. n. intraorbitaler Gefäßverschluss rechts 2005 und Myokardinfarkt 2002 bekannt.

Bei Aufnahme sah man im Bereich der gesamten Kopfhaut unregelmäßig-bizarr konfigurierte, großflächige, teils blutig-krustös belegte tiefe Ulzerationen mit Überschreitung der Mittellinie von links nach rechts ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Links und Mitte: unregelmäßig konfigurierte, großflächige, teils blutig-krustös belegte tiefe Ulzerationen mit Überschreitung der Mittellinie. Rechts: Verlaufskontrolle nach 16 Wochen.

Temporal ließen sich pulslose, strangartige Resistenzen tasten. Das gesamte übrige Integument und die Schleimhäute waren unauffällig.

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Dermatohistologie

Nach Doppler-sonograpfischer Sicherung pulsloser strangförmiger Gefäßstrukturen temporal erfolgte eine Exzisionsbiopsie aus der A. temporalis links. Der histologische Befund zeigte eine komplette Thrombosierung des arteriellen Gefäßlumens mit transmuraler Durchsetzung der Gefäßwand durch ein lymphoplasmazelluläres Entzündungsinfiltrat mit deutlicher histiozytärer Beteiligung und zahlreichen mehrkernigen Riesenzellen mit Phagozytose von elastischen Fasern („Elastophagozytose”) ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Längsschnitt durch die Arteria temporalis links mit vollständiger Okklusion des Gefäßlumens sowie mehrkernigen Riesenzellen in der Gefäßwand (Hämatoxylin/Eosin 100 × und 400 ×).

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Weitere Diagnostik, Therapie und Verlauf

Wir stellten die Patientin konsiliarisch in der Augenklinik vor. Es zeigten sich an der peripheren Netzhaut am linken Auge kleine Blutungen ohne Handlungsbedarf. Die Patientin wurde aufgrund der Doppelbilder zudem in der Klinik für Neurologie vorstellig. In der Kernspintomografie zeigten sich die bekannten Weichteildefekte, zudem bestand der Verdacht auf eine knöcherne Beteiligung links, diese wurde jedoch durch ein CCT ausgeschlossen. In der Duplexsonografie stellte sich die Arteria temporalis links im temporalen bis frontalen Verlauf vollständig ohne Fluss dar.

Wir initiierten eine interne Therapie mit Methylprednisolon (Urbason®) 80 mg/d i. v. und eine interne Antibiose mit Ciprofloxacin bei bakterieller Superinfektion der kutanen Ulzerationen. Zur Schmerzmedikation wurden Targin® (Oxycodon, Naloxon), Sevredol® (Morphinsulfat) und Novalgin®-Tropfen (Metamizol) verabreicht. Hierunter kam es zu einer zügigen Abheilungstendenz sowie einer guten Kontrolle der Schmerzsymptomatik. Das Kortikosteroid konnte langsam auf 10 mg/d im täglichen Wechsel mit 5 mg/d reduziert werden (im Verlauf von 16 Wochen).

Lokal behandelten wir initial mit Lavasept-Umschlägen sowie mit Diprogenta®-Creme (Betamethasondiproprionat und Gentamicinsulfat) in der Umgebung. Im Verlauf Wunddébridement und Applikation von Fucicort®-Creme (Fusidinsäure). Hierunter zeigte sich eine sehr gute Befundbesserung mit Zunahme der Wundgranulation ([Abb. 1]).

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Diskussion

Bei der vorgestellten Patientin liegt eine Riesenzellarteriitis der Arteria temporalis links vor. Synonym werden die Bezeichnungen Arteriitis temporalis, Arteriitis cranialis, Morbus Horton, Horton-Syndrom oder Horton-Magath-Brown-Syndrom verwendet. Die Erstbeschreibung der Erkrankung erfolgte in den Jahren 1890 (Hutchinson) bzw. 1934 (Horton).

Es handelt sich um eine relativ seltene segmentale, granulomatöse, obliterierende Vaskulitis. Die jährliche Inzidenz beträgt ca. 90/1 000 000 Einwohner, bei > 50-Jährigen jedoch bis 170/1 000 000 Einwohner [1]. Ätiologisch werden ein T-Zell-abhängiges (Auto-)Immungeschehen bei genetischer Prädisposition und Störungen im Endothelin-System [2], möglicherweise durch Infekte ausgelöst, diskutiert. Pathogenetisch findet sich eine granulomatöse Riesenzellarteriitis im Bereich von Media und Adventitia der befallenen Arterienabschnitte. Klinisch imponieren Hautrötungen und Schwellungen über geschlängelter, druckschmerzhaft verhärteter, pulsloser Temporalarterie [4]. Später können Kopfhautnekrosen hinzutreten. Die Diagnose ist klinisch oft nicht leicht zu stellen. Klinische Differenzialdiagnosen umfassen v. a. den Herpes zoster bzw. Zosterneuralgie, Arteriosklerose, Thrombangitis obliterans und Ergotismus (durch Migränetherapeutika) [1].

Die Diagnose ist durch folgende ACR-Kriterien (American College of Rheumatology) (Hunder et al. 1990) zu erhärten (bei 3 von 5 zutreffenden Kriterien: Sensitivität 75 – 90 %, Spezifität 90 – 93 %):

  • Alter > 50 Jahre

  • (Schläfen-)Kopfschmerzen, evtl. Kauschmerzen („Masseterschmerz”)

  • Auffällige A. temporalis (Druckschmerz u./o. Pulsabschwächung/Pulslosigkeit)

  • BSG > 50 mm in der ersten Stunde

  • Histologisch Veränderungen der A. temporalis: segmentale Vasculitis („skip lesions”) [3]

Allgemeinsymptome wie Fieber, neu aufgetretene ein- oder doppelseitige Kopfschmerzen (v. a. temporal und im Stirnbereich (ca. 50 %), Arthralgien, Myalgien (Polymyalgia rheumatica bei 50 % der Patienten) und Gewichtsverlust [3] sind beschrieben. Ein Erythema nodosum oder eine Urtikaria kommen in etwa 15 % der Fälle vor sowie Rötungen im Bereich der strangartig verdickten A. temporalis. Bei Zungenbeteiligung (Arteriitis lingualis) werden Nekrosen, Blasen und Erytheme angegeben [1].

Extrakutane und diverse atypische Manifestationen kommen vor, z. B. mit Armclaudicatio (50 %), Augenbeteiligung (30 %), orthostatisch bedingtem Schwindel (40 %), Krampfanfällen und Hemiparesen (< 10 % der Fälle) oder in etwa 10 % der Fälle eine Claudicatio der unteren Extremitäten sowie Aorteninsuffizienzen und Aortenaneurysmen [1] [4].

In etwa 30 % der Fälle treten Sehstörungen auf, ein Hauptrisiko der Arteriitis temporalis ist (bei Mitbeteiligung der Arteria ophthalmica) die Erblindungsgefahr (unbehandelt ca. 30 %). Warnzeichen sind die oft zitierte Amaurosis fugax oder Augenschmerzen.

Therapieziel ist die Reduzierung der Gefäßwandentzündung. Therapeutisch ist ein gutes Ansprechen häufig nur auf Glukokortikosteroide mit Erhaltungsdosis über 1 – 2 Jahre zu sehen. Es kommt in der Regel zu kompletten Remissionen nach 6 – 24 Monaten, Rezidive und chronische Verläufe sind selten. Bereits bei einseitiger Augensymptomatik ist die Steroiddosis zu erhöhen auf 1,5 – 2 mg/kg KG/Tag Prednisolonäquivalent (im Vergleich zu 1,0 – 1,5 mg ohne Augenbeteiligung). Bei Rezidiven unter der Behandlung ist u. U. die zusätzliche Gabe von Cyclophosphamid (2 mg/kg KG/Tag) notwendig, bei etwa 4 % der Patienten tritt daraufhin eine Besserung ein. Statt Cyclophosphamid kann eine additive Therapie mit Methotrexat erwogen werden [1]. Als kortikosteroidsparende Alternative wird künftig eine Hemmung des Endothelin-(ET-)Rezeptors erwartet. Eine Studie mit 10 an GCA erkrankten Patienten zeigte eine Korrelation zwischen der Aktivität des ET-Rezeptors und dem Grad der systemischen Entzündung [2].

Zum Monitoring der Krankheitsaktivität bieten sich Kontrollen von BSG und CRP an [3], wobei das C-reaktive Protein als Verlaufsparameter aussagekräftiger ist.

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Danksagung

Besonderer Dank gilt der ltd. MTA, Frau Anne Kerber, für die vorzüglichen Schnittpräparate.

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Literatur

  • 1 Cantini F, Niccoli L, Nannini C. et al . Diagnosis and treatment of giant cell arteritis.  Drugs Aging. 2008;  25 281-297
  • 2 Dimitrijevic I, Andersson C, Rissler P, Edvinsson L. Increased tissue endothelin-1 and endothelin-B receptor expression in temporal arteries from patients with giant cell arteritis.  Ophtalmology. 2010;  117 (3) 628-636
  • 3 Ness T, Auw-Hädrich C, Schmidt D. Temporal arteritis (giant cell arteritis). Clinical picture, histology and treatment.  Ophtalmologe. 2006;  103 (4) 296-301
  • 4 Serrano-Falcón C, Del Mar Serrano-Falcón M, Callejas-Rubio J L, Serrano-Ortega S. Scalp necrosis as a manifestation of temporal arteritis.  International Journal of Dermatology. 2010;  49 466-467

Karin Braunert

Universitätsklinikum des Saarlandes
Klinik für Dermatologie,
Venerologie und Allergologie

Kirrberger Str. 1
66421 Homburg/Saar

Email: karin.braunert@uks.eu

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Literatur

  • 1 Cantini F, Niccoli L, Nannini C. et al . Diagnosis and treatment of giant cell arteritis.  Drugs Aging. 2008;  25 281-297
  • 2 Dimitrijevic I, Andersson C, Rissler P, Edvinsson L. Increased tissue endothelin-1 and endothelin-B receptor expression in temporal arteries from patients with giant cell arteritis.  Ophtalmology. 2010;  117 (3) 628-636
  • 3 Ness T, Auw-Hädrich C, Schmidt D. Temporal arteritis (giant cell arteritis). Clinical picture, histology and treatment.  Ophtalmologe. 2006;  103 (4) 296-301
  • 4 Serrano-Falcón C, Del Mar Serrano-Falcón M, Callejas-Rubio J L, Serrano-Ortega S. Scalp necrosis as a manifestation of temporal arteritis.  International Journal of Dermatology. 2010;  49 466-467

Karin Braunert

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Klinik für Dermatologie,
Venerologie und Allergologie

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66421 Homburg/Saar

Email: karin.braunert@uks.eu

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Abb. 1 Links und Mitte: unregelmäßig konfigurierte, großflächige, teils blutig-krustös belegte tiefe Ulzerationen mit Überschreitung der Mittellinie. Rechts: Verlaufskontrolle nach 16 Wochen.

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Abb. 2 Längsschnitt durch die Arteria temporalis links mit vollständiger Okklusion des Gefäßlumens sowie mehrkernigen Riesenzellen in der Gefäßwand (Hämatoxylin/Eosin 100 × und 400 ×).