Kasuistik
Die 71-jährige Patientin stellte sich vor aufgrund des
Verdachtes auf einen therapieresistenten, nekrotisierenden Herpes zoster der
Kopfhaut. Die hautfachärztliche Konsultation erfolgte wegen
persistierender Schmerzen sowie einer Progredienz der Hautveränderungen
trotz 11-tägiger stationärer Behandlung in einem heimatnahen
Krankenhaus. Zusätzlich berichtet die Patientin über seit 2 Monaten
aufgetretene Sehstörungen. So habe sie beim Autofahren die
Fahrbahnmarkierung teilweise doppelt gesehen. Eine augenärztliche
Untersuchung, ein CCT sowie ein EEG hätten keinen richtungsweisenden
Befund ergeben. Seit mehreren Wochen bestünden auch starke Kopfschmerzen
(„tausend Nadelstiche im Kopf”).
Vor ca. einem Monat sei an der Stirn links zunächst ein
Hämatom, dann eine Krustenbildung mit Nässen aufgefallen. Es erfolgte
eine heimatnahe 11-tägige stationäre antivirale Therapie und
Analgesie unter der Verdachtsdiagnose eines nekrotisierenden Herpes zoster.
Nach der Entlassung hätten sich der Hautbefund und die Schmerzen
zusätzlich weiter verschlechtert.
Die dermatologische Eigen- und Familienanamnese war
unauffällig. An Vorerkrankungen waren eine absolute Arrhythmie (mit
Marcumar-Therapie), eine arterielle Hypertonie, ein Z. n. intraorbitaler
Gefäßverschluss rechts 2005 und Myokardinfarkt 2002 bekannt.
Bei Aufnahme sah man im Bereich der gesamten Kopfhaut
unregelmäßig-bizarr konfigurierte, großflächige, teils
blutig-krustös belegte tiefe Ulzerationen mit Überschreitung der
Mittellinie von links nach rechts ([Abb. 1]).
Abb. 1 Links und Mitte:
unregelmäßig konfigurierte, großflächige, teils
blutig-krustös belegte tiefe Ulzerationen mit Überschreitung der
Mittellinie. Rechts: Verlaufskontrolle nach 16 Wochen.
Temporal ließen sich pulslose, strangartige Resistenzen
tasten. Das gesamte übrige Integument und die Schleimhäute waren
unauffällig.
Dermatohistologie
Nach Doppler-sonograpfischer Sicherung pulsloser strangförmiger
Gefäßstrukturen temporal erfolgte eine Exzisionsbiopsie aus der A.
temporalis links. Der histologische Befund zeigte eine komplette Thrombosierung
des arteriellen Gefäßlumens mit transmuraler Durchsetzung der
Gefäßwand durch ein lymphoplasmazelluläres
Entzündungsinfiltrat mit deutlicher histiozytärer Beteiligung und
zahlreichen mehrkernigen Riesenzellen mit Phagozytose von elastischen Fasern
(„Elastophagozytose”) ([Abb. 2]).
Abb. 2 Längsschnitt durch
die Arteria temporalis links mit vollständiger Okklusion des
Gefäßlumens sowie mehrkernigen Riesenzellen in der
Gefäßwand (Hämatoxylin/Eosin 100 × und
400 ×).
Weitere Diagnostik, Therapie und Verlauf
Wir stellten die Patientin konsiliarisch in der Augenklinik vor. Es
zeigten sich an der peripheren Netzhaut am linken Auge kleine Blutungen ohne
Handlungsbedarf. Die Patientin wurde aufgrund der Doppelbilder zudem in der
Klinik für Neurologie vorstellig. In der Kernspintomografie zeigten sich
die bekannten Weichteildefekte, zudem bestand der Verdacht auf eine
knöcherne Beteiligung links, diese wurde jedoch durch ein CCT
ausgeschlossen. In der Duplexsonografie stellte sich die Arteria temporalis
links im temporalen bis frontalen Verlauf vollständig ohne Fluss dar.
Wir initiierten eine interne Therapie mit Methylprednisolon
(Urbason®) 80 mg/d i. v. und eine interne
Antibiose mit Ciprofloxacin bei bakterieller Superinfektion der kutanen
Ulzerationen. Zur Schmerzmedikation wurden Targin® (Oxycodon,
Naloxon), Sevredol® (Morphinsulfat) und
Novalgin®-Tropfen (Metamizol) verabreicht. Hierunter kam es zu
einer zügigen Abheilungstendenz sowie einer guten Kontrolle der
Schmerzsymptomatik. Das Kortikosteroid konnte langsam auf 10 mg/d im
täglichen Wechsel mit 5 mg/d reduziert werden (im Verlauf von 16
Wochen).
Lokal behandelten wir initial mit Lavasept-Umschlägen sowie mit
Diprogenta®-Creme (Betamethasondiproprionat und
Gentamicinsulfat) in der Umgebung. Im Verlauf Wunddébridement und
Applikation von Fucicort®-Creme (Fusidinsäure). Hierunter
zeigte sich eine sehr gute Befundbesserung mit Zunahme der Wundgranulation ([Abb. 1]).
Diskussion
Bei der vorgestellten Patientin liegt eine Riesenzellarteriitis der
Arteria temporalis links vor. Synonym werden die Bezeichnungen Arteriitis
temporalis, Arteriitis cranialis, Morbus Horton, Horton-Syndrom oder
Horton-Magath-Brown-Syndrom verwendet. Die Erstbeschreibung der Erkrankung
erfolgte in den Jahren 1890 (Hutchinson) bzw. 1934 (Horton).
Es handelt sich um eine relativ seltene segmentale,
granulomatöse, obliterierende Vaskulitis. Die jährliche Inzidenz
beträgt ca. 90/1 000 000 Einwohner, bei
> 50-Jährigen jedoch bis 170/1 000 000 Einwohner
[1]. Ätiologisch werden ein T-Zell-abhängiges
(Auto-)Immungeschehen bei genetischer Prädisposition und Störungen im
Endothelin-System [2], möglicherweise durch Infekte
ausgelöst, diskutiert. Pathogenetisch findet sich eine granulomatöse
Riesenzellarteriitis im Bereich von Media und Adventitia der befallenen
Arterienabschnitte. Klinisch imponieren Hautrötungen und Schwellungen
über geschlängelter, druckschmerzhaft verhärteter, pulsloser
Temporalarterie [4]. Später können
Kopfhautnekrosen hinzutreten. Die Diagnose ist klinisch oft nicht leicht zu
stellen. Klinische Differenzialdiagnosen umfassen v. a. den Herpes
zoster bzw. Zosterneuralgie, Arteriosklerose, Thrombangitis obliterans und
Ergotismus (durch Migränetherapeutika) [1].
Die Diagnose ist durch folgende ACR-Kriterien (American College of
Rheumatology) (Hunder et al. 1990) zu erhärten (bei 3 von 5 zutreffenden
Kriterien: Sensitivität 75 – 90 %,
Spezifität 90 – 93 %):
-
Alter > 50 Jahre
-
(Schläfen-)Kopfschmerzen, evtl. Kauschmerzen
(„Masseterschmerz”)
-
Auffällige A. temporalis (Druckschmerz u./o.
Pulsabschwächung/Pulslosigkeit)
-
BSG > 50 mm in der ersten Stunde
-
Histologisch Veränderungen der A. temporalis: segmentale
Vasculitis („skip lesions”) [3]
Allgemeinsymptome wie Fieber, neu aufgetretene ein- oder
doppelseitige Kopfschmerzen (v. a. temporal und im Stirnbereich (ca.
50 %), Arthralgien, Myalgien (Polymyalgia rheumatica bei
50 % der Patienten) und Gewichtsverlust [3]
sind beschrieben. Ein Erythema nodosum oder eine Urtikaria kommen in etwa
15 % der Fälle vor sowie Rötungen im Bereich der
strangartig verdickten A. temporalis. Bei Zungenbeteiligung (Arteriitis
lingualis) werden Nekrosen, Blasen und Erytheme angegeben [1].
Extrakutane und diverse atypische Manifestationen kommen vor,
z. B. mit Armclaudicatio (50 %), Augenbeteiligung
(30 %), orthostatisch bedingtem Schwindel (40 %),
Krampfanfällen und Hemiparesen (< 10 % der
Fälle) oder in etwa 10 % der Fälle eine Claudicatio der
unteren Extremitäten sowie Aorteninsuffizienzen und Aortenaneurysmen
[1]
[4].
In etwa 30 % der Fälle treten Sehstörungen
auf, ein Hauptrisiko der Arteriitis temporalis ist (bei Mitbeteiligung der
Arteria ophthalmica) die Erblindungsgefahr (unbehandelt ca.
30 %). Warnzeichen sind die oft zitierte Amaurosis fugax oder
Augenschmerzen.
Therapieziel ist die Reduzierung der
Gefäßwandentzündung. Therapeutisch ist ein gutes Ansprechen
häufig nur auf Glukokortikosteroide mit Erhaltungsdosis über
1 – 2 Jahre zu sehen. Es kommt in der Regel zu kompletten
Remissionen nach 6 – 24 Monaten, Rezidive und chronische
Verläufe sind selten. Bereits bei einseitiger Augensymptomatik ist die
Steroiddosis zu erhöhen auf 1,5 – 2 mg/kg
KG/Tag Prednisolonäquivalent (im Vergleich zu
1,0 – 1,5 mg ohne Augenbeteiligung). Bei Rezidiven
unter der Behandlung ist u. U. die zusätzliche Gabe von
Cyclophosphamid (2 mg/kg KG/Tag) notwendig, bei etwa 4 %
der Patienten tritt daraufhin eine Besserung ein. Statt Cyclophosphamid kann
eine additive Therapie mit Methotrexat erwogen werden [1]. Als kortikosteroidsparende Alternative wird künftig
eine Hemmung des Endothelin-(ET-)Rezeptors erwartet. Eine Studie mit 10 an GCA
erkrankten Patienten zeigte eine Korrelation zwischen der Aktivität des
ET-Rezeptors und dem Grad der systemischen Entzündung [2].
Zum Monitoring der Krankheitsaktivität bieten sich Kontrollen
von BSG und CRP an [3], wobei das C-reaktive Protein als
Verlaufsparameter aussagekräftiger ist.
Danksagung
Besonderer Dank gilt der ltd. MTA, Frau Anne Kerber, für die
vorzüglichen Schnittpräparate.