Neuroradiologie Scan 2011; 1(1): 6-7
DOI: 10.1055/s-0030-1256898
Diskussion

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schlaganfall – „Time to Microcatheter” bei der endovaskulären Therapie

Die aktuellen Leitlinien empfehlen für ausgewählte Patienten die endovaskuläre Intervention. Im Unterschied zur konservativen Behandlung fehlen klare Aussagen zum Zeitablauf.
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Publication Date:
10 October 2011 (online)

J Neuroimag 2011; 21: 159–164

Bei einem akuten Schlaganfall muss es schnell gehen, denn die Therapie ist umso erfolgreicher, je kürzer das Intervall zwischen dem Auftreten der Symptome und der Behandlung ist. Es gibt klare Vorgaben: Nach 15 min sollte ein Spezialist am Bett sein, innerhalb von 25 min die bildgebende Diagnostik und Befundung erfolgen und nach 60 min die intravenöse Applikation des rekombinanten Plasminogenaktivators (rt-PA) stattfinden. Für den Beginn einer endovaskulären Intervention liegen solche Angaben nicht vor.

Miley et al. haben in 91 Fällen die Zeiten analysiert. Die Patienten waren durchschnittlich 68 Jahre alt und 43 waren Frauen. Sie wurden in 3 Zentren behandelt, die über ausgewiesene Spezialisten verfügten. Der initiale NIHSS-Score (NIHSS = National Institutes of Health Stroke Scale) betrug 15 (Range: 4 – 42). 38,1 % der Patienten, die sich direkt in der neurologischen Notfallambulanz vorstellten und 27,7 % überwiesen aus anderen Krankenhäusern erhielten vor der Katheterisierung rt-PA. Eine systemische Thrombolyse erfolgte nicht. Angiografisch war überwiegend die A. cerebri media betroffen (n = 63), seltener die A. carotis interna (n = 17), A. cerebri anterior (n = 4), A. basilaris (n = 6) und A. cerebri posterior (n = 1).

Die durchschnittliche Zeit von der Diagnose in der CT bis zur Platzierung des Katheters betrug 174 min. Bei nur 7 % der Patienten lag die Zeit unter 90 min. Während das Intervall in 2 Institutionen durchschnittlich 167 und 164 min lang war, betrug es in der 3. Abteilung 218 min. Außerdem schien der initiale NIHSS-Score Einfluss zu haben: Bei Werten von 10 – 19 ergaben sich durchschnittlich 192 min, bei geringerer Punktzahl 157 min und 143 min bei einem Wert > 20. Eine eventuelle Intubation, rt-PA-Administration, ergänzende MRT oder Perfusions-CT beeinflussten die Zeitabläufe nicht. Die Gesamtmortalität betrug 23,1 %. Bei 60 % der Patienten besserte sich im Verlauf der NIHSS-Score um mindestens 4 Punkte.

Die interinstitutionellen Unterschiede führten die Autoren auf die verschiedene Methodik im Umgang mit Schlaganfallpatienten zurück. Während das endovaskuläre Interventionsteam in den beiden „schnellen” Abteilungen mit ständiger Präsenz eines Neurologen sofort nach der CT verständigt wurde, war in der 3. Klinik zunächst die Kontaktaufnahme mit dem nicht anwesenden Facharzt erforderlich, der dann kam und das Katheterteam informierte. Die Relevanz der NIHSS-Score-Einstufung sei aufgrund der ungleichmäßigen Patientenzahlen in den Gruppen fraglich.

Fazit

Die Dauer bis zur endovaskulären Behandlung war unterschiedlich, aber nach Ansicht der Autoren in allen Fällen zu lang. Sie plädieren für ein besseres Zeitmanagement und vor allem für die Festlegung von anzustrebenden Zeitfenstern.

Dr. Susanne Krome, Melle

1. Kommentar

Prof. Jens Fiehler

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Martinistr. 52

22391 Hamburg

Die Autoren berichten über die Erfahrungen bei 91 endovaskulär behandelten Schlaganfallpatienten in 3 akademischen Schlaganfallzentren in den USA. Der Fokus der Analyse liegt auf der Zeit zwischen der Durchführung eines CT-Scans und der ersten Mikrokatheterinjektion („time to microcatheter”). Die Daten wurden zu einer Zeit akquiriert, als die mechanischen Drehkanalisationssysteme noch keine derart dominierende Rolle in der endovaskulären Schlaganfallbehandlung spielten (2005 – 2008), wie sie das heute tun. Dennoch sind die Ergebnisse auch für heutige Verhältnisse relevant, weil genau die Zeit analysiert wird, die vergeht, bevor ein solches Rekanalisations-Device zum Einsatz kommt. Die Kohorte ist dennoch leider eingeschränkt repräsentativ, weil das Vertebralis-Stromgebiet mit nur 7/91 Fällen eingeht und damit im Vergleich zur täglichen Praxis unterrepräsentiert ist.

Es werden verschiedene klinische und organisatorische Daten analysiert, die einen Einfluss auf diese „time to microcatheter” haben könnten. Als alles entscheidende Einflussgröße stellte sich das Zentrum heraus, in dem die Untersuchung ablief. Interessanterweise verzögerten weder die Durchführung einer Intubationsnarkose noch eines MRT bzw. eines Perfusions-CT die Behandlung. Als einziger weiterer Einflussfaktor neben dem Zentrum war der Grad des klinischen Defizits erkennbar, wobei gerade die mittelschweren Schlaganfälle die längste Zeit benötigten (NIHSS-Score 10 – 19).

Es zeigt sich aber klar, dass noch erheblicher Nachholbedarf hinsichtlich der Optimierung der Prozesse in der intraarteriellen Schlaganfallbehandlung besteht.

Die mittlere absolute Zeit zwischen Symptombeginn und der ersten Mikrokatheterinjektion betrug 320 min. Die „time to microcatheter” variierte in den Zentren zwischen 164 und 218 min. Diese sämtlich weit jenseits von 2 h gelegene Zeit, die innerhalb des Krankenhauses vergeht, bis die eigentliche Therapie beginnt, sind insgesamt ernüchternd. In Zentren mit gut etablierten Prozessen sind Zeiten vom Eintreffen im Krankenhaus bis zum Beginn einer intravenösen Fibrinolysebehandlung von 30 min und weniger regelhaft erreichbar („door-to-needle time”). Idealerweise sollte bis zur Initiierung der intraarteriellen Therapie 1 h nicht überschritten werden. Dies scheint aber selbst in spezialisierten Institutionen im Mittel nicht erreichbar zu sein. Neben organisatorischen Abläufen wird die „time to microcatheter” aber auch durch die schwierigere Anatomie der oft schwer gefäßkranken älteren Patienten beeinflusst. Hier hilft nur tägliche Interventionspraxis an anderen intrakraniellen Eingriffen. Auch hierdurch ist ein gutes Zentrum charakterisiert. Leider werden in der Analyse nicht die Zeiten zwischen Legen der Schleuse und der ersten Mikrokatheterinjektion beschrieben. Es bleibt insgesamt unklar, warum einzelne Zentren besser oder schlechter waren.

Es zeigt sich aber klar, dass noch erheblicher Nachholbedarf hinsichtlich der Optimierung der Prozesse in der intraarteriellen Schlaganfallbehandlung besteht. „Die üblichen Verdächtigen”, wie Durchführung eines MRT und die Intubation, scheinen hierbei allenfalls eine untergeordnete Rolle zu spielen. Das Zentrum und die Abstimmung der gesamten dortigen Organisation sind entscheidend. Die Herausforderung besteht in der meist mühsamen interdisziplinären Abstimmung und Organisation (Radiologie-Neurologie-Notaufnahme-Anästhesie-Intensivstation). Der Schlüssel für einen individuell guten Ablauf ist nach meiner Erfahrung die Begleitung des Patienten durch den (Neuro-)Radiologen von dem Zeitpunkt an, an dem der Patient in der Klinik eintrifft.

E-Mail: fiehler@uke.de

2. Kommentar

Prof. Olav Jansen

Institut für Neuroradiologie

UKSH Campus Kiel

Arnold-Heller-Str. 3

24105 Kiel

Die intraarterielle Neurothrombektomie bei großen akuten Schlaganfällen stellt zunehmend eine akzeptierte Therapie in den größeren neurovaskulären Zentren dar. Dabei überzeugen nicht nur die hohen Rekanalisationsraten, sondern vor allem auch die sehr guten klinischen Ergebnisse. In der hier vorgelegten Arbeit von Miley und Mitarbeitern wird die große Zeitspanne dokumentiert, die für „time to microcatheter” benötigt wird, immerhin im Mittel 170+/– 60 min. Das heißt, es dauert mehr als 2 h, bis ein Schlaganfalls-Patient nach der CT-Diagnostik einer interventionellen Therapie zugeführt wurde. Die Autoren selbst weisen darauf hin, dass diese Zeitspanne inakzeptabel lang ist und diskutieren dann, dass das generelle Ziel sein sollte, innerhalb von 90 min nach erstem Klinikkontakt die interventionelle Therapie zu beginnen.

Die Arbeit von Miley und Mitarbeitern zeigt darüber hinaus aber auch die hohe Variabilität der „time to microcatheter” zwischen einzelnen Zentren mit unterschiedlichem Versorgungslevel. Das Ergebnis dieser Auswertung spricht dafür, interventionelle Therapien primär an den Zentren höchster Versorgungsstufe zu etablieren und durchzuführen. Es ist bei dieser Argumentation auch einleuchtend, dass Zentren mit einer hohen Patientenzahl die komplizierten logistischen Abläufe einer interventionellen Schlaganfalltherapie besser und v. a. schneller organisieren können als kleinere Zentren.

Zusammenfassend zeigt diese Arbeit, wie wichtig es ist, sich mit dem Thema „time to microcatheter” intensiv auseinanderzusetzen.

Etwas überraschend war für mich das Ergebnis, dass Patienten mit einem NIHSS-Score zwischen 10 und 19 einer längere Zeit bis zum Therapiebeginn bedurften als Patienten mit einem größeren NIHSS-Score oder auch kleinerem NIHSS-Score. Die Erklärung der Autoren für diesen Sachverhalt ist, dass in der Gruppe der Patienten mit einem NIHSS-Score von 10 bis 19 häufig ein höherer Diskussionsbedarf über den richtigen Therapieweg besteht (Therapie ja – nein, Intubation ja – nein etc.), was letztlich für eine Standardisierung der Therapie sprechen muss.

Zusammenfassend zeigt diese Arbeit, wie wichtig es ist, sich mit dem Thema „time to microcatheter” intensiv auseinanderzusetzen. Analog der aus der Lysetherapie geprägten Begrifflichkeit „door-to-needle-time” muss es auch hier darum gehen, Zeitstandards zu definieren, in denen die interventionelle Therapie eingeleitet werden muss. Die von den Autoren propagierte 90-min-Zeit vom Erstkontakt im Krankenhaus und Beginn der interventionellen Therapie scheint mir dabei realistisch zu sein und sollte bei der zukünftigen Definition von Qualitätskriterien für z. B. neurovaskuläre Zentren diskutiert und ggf. aufgenommen werden.

E-Mail: o.jansen@neurorad.uni-kiel.de

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