Z Sex Forsch 2010; 23(3): 283-284
DOI: 10.1055/s-0030-1262582
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Zum Tod von Ulrike Brandenburg (1954–2010)

Ulrich Clement
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Publication Date:
23 September 2010 (online)

Am 24. Mai 2010 erlag Ulrike Brandenburg im Alter von 56 Jahren ihrer Krankheit.

Ich hatte das Glück, in den letzten Jahren viel mit ihr zusammenzuarbeiten. Seit wir 2006 das Institut für Sexualtherapie Aachen / Heidelberg gegründet hatten, waren die Weiterbildungskurse immer besondere Highlights. Wie Ulrike Leichtigkeit mit Substanz, Tiefe mit Humor gepaart hat, ist unerreicht. Mit ihr im Duo zu arbeiten – das war einfach Spaß. Sie war selbstbewusst, aber nicht kompetitiv. Was sie auf beneidenswerte Weise ausstrahlte, war ihre unglaubliche Präsenz. Besonders für viele Frauen in unseren Kursen stellte sie ein bewundertes Vorbild dar, für manche fast ein Idol. Sie hatte das Flair einer Königin, ohne dabei arrogant zu sein. Es gibt nur wenige Menschen, die all das in einer Person vereinen, was sie ausgemacht hat: Ulrike war so ein Mensch. Klugheit und Empathie, Schönheit und Menschlichkeit verband sie mit einer ungeheuren Lebensfreude.

Bücher, Artikel, Arbeiten, die das einsame Schreiben erfordern, waren ihre Sache nicht. Sie hat einige schöne Buchbeiträge und Zeitschriftenartikel veröffentlicht. Aber gemessen an dem, was sie zu sagen hatte, war ihre Publikationsliste klein. Sie wollte es eben auch sagen, nicht aufschreiben. In Kursen, im Fernsehen, in Therapiesitzungen. Sie brauchte das Gegenüber. Und da spielte sie die ganze Klaviatur ihrer Interaktionslust, konfrontierte, wenn es nötig war, erleichterte, wenn es gar zu schwer zuging, beruhigte die Ängstlichen, informierte die Ahnungslosen und verführte – wenn es der Wahrheitsfindung diente – die Zögernden.

Gerade in Zeiten der konkurrierenden sexualtherapeutischen Konzepte ist Ulrike für mich die Verkörperung der Einsicht, dass alle Interventionen nur so viel wert sind, wie sie persönlich getragen sind. Sexualtherapie ist eben etwas anderes als Sexualtherapie bei Ulrike Brandenburg. Die Person macht den Unterschied.

Als Erste Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung hatte sie keinen einfachen Job. Das ist angesichts der markanten Akteure in diesem Feld keine reibungsfreie Angelegenheit. Die Fachgesellschaften und ihre Repräsentanten sind einander nicht nur herzlich verbunden. In dieser Umgebung gehörte sie maßgeblich zu denen, die sich auf die anderen zu bewegt hat, die die Zusammenarbeit und Vernetzung nicht der konkurrierenden Profilierung opfern wollte. Dabei nahm sie die in der Binnenkultur der kritischen Sexualwissenschaft starken Vorbehalte gegenüber pharmakologischen Behandlungen gelassen. Sie kooperierte im Scientific Board mit verschiedenen sexualmedizinisch aktiven Pharmaherstellern. Die gesponserten Ärztefortbildungen sah sie gerade als Chance, ihre Haltung und ihr Vorgehen zu verbreiten und weniger als eine Relativierung der Psychosexualtherapie.

Als gefragte TV-Therapeutin, Interviewpartnerin und Talkshow-Gast war Dr. Ulrike Brandenburg auch eine öffentliche Person. In den Medien war ihr vor allem ein aufklärerischer und humaner Zugang zu Sexualität und all den damit einhergehenden Problemen ein Anliegen. Ob es sich um das Thema Sexualität und Krankheit, Sex im Alter oder um Probleme von Jugendlichen mit Sexualität drehte – sie sprach immer die menschliche Seite der Sexualität an – nicht „menschelnd“, aber zutiefst von ihrer Mission der Humanität und Empathie überzeugt.

Sie hatte aber auch eine andere Seite: So sehr sie es liebte, sich auf ihren Bühnen zu zeigen, so reserviert war sie oft, wenn die Scheinwerfer aus waren. Sie gab es nicht zu erkennen, aber Smalltalk lag ihr nicht. Meist waren ihr Parties und die Gesellschaft vieler Menschen einfach zu viel. Sie war auch scheu und hat sich in solchen Situationen oft unbemerkt zurückgezogen.

Ulrike hat es geschafft, vielen Menschen das Gefühl zu geben, von ihr gemeint zu sein und gesehen zu werden. Bei aller Herzlichkeit und Offenheit blieb doch eine letzte Reserve, zu der sie nur wenigen Menschen Zugang gestattete. Diese Reserve in Kombination mit einem energiezehrenden Zeitplan schuf den feinen Kokon von Abgrenzung, mit dem sie sich schützend umgab: „Im Moment ist es ungünstig. Du kannst mich morgen vor halb acht anrufen, dann bin ich durchgehend bis acht in der Praxis und habe danach noch eine Supervisionsgruppe bis zehn. Übermorgen ist es so ähnlich…“ So schaffte sie es – da war sie auch Queen –, dass man meist ein bisschen mehr von ihr wollte als umgekehrt.

Privat war Ulrike ein Familien- und Freundesmensch. Sie lebte in einer glücklichen Partnerschaft mit dem Gynäkologen Wolf Lütje, letztes Jahr haben die beiden geheiratet. Ihre Kinder hatten trotz ihres beruflichen Ehrgeizes immer eine ansprechbare Mutter. Eine freundschaftliche Großtat ist unvergessen: Als sie vor Jahren den Sohn einer verstorbenen Freundin zu sich nahm, war das auch eine Entscheidung, dafür auf eine akademische Karriere zu verzichten.

„Unglaublich, dass ihr alle da wart!“ Mit diesem Satz zitiert sie ihre Familie in der Traueranzeige. So war ihre Haltung. Sie hat sich bis zuletzt gefreut, ein gutes Leben zu haben – und das Leben hat sich an ihr gefreut.