Z Sex Forsch 2010; 23(3): 268-276
DOI: 10.1055/s-0030-1262585
DEBATTE

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Wir gegen die Kinderschänder

Kritische Anmerkungen zur Einführung des erweiterten Führungszeugnisses für kinder- und jugendnah BeschäftigteGerhard Walentowitz
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Publication Date:
23 September 2010 (online)

Am 1. Mai 2010 trat das 5. Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes als Rechtsgrundlage für das erweiterte Führungszeugnis in Kraft. Es verdankt sich einer am 12. Juni 2008 zwischen Bundeskanzlerin Merkel und den Regierungschefs der Länder getroffenen Übereinkunft. Der Gesetzentwurf wurde noch unter Federführung der damaligen Bundesjustizministerin Zypries (SPD) von der schwarz-roten Koalition in den Bundestag eingebracht und am 14. Mai 2009 vom Bundestag beschlossen.[1] Sowohl die Öffentlichkeit als auch die Betroffenen haben die Einführung des erweiterten Führungszeugnisses eher am Rande zur Kenntnis genommen. Und dies, obwohl sich die Liste der Betroffenen durchaus sehen lassen kann: Sie reicht von verbeamteten Lehrer/innen über Hausmeister an Bildungseinrichtungen bis hin zu ehrenamtlichen Gruppenleiter/innen bei Freizeiten. Die Zahl derer, die damit einer gezielten Sonderüberwachung unterworfen wird, dürfte die Zwei-Millionen-Grenze überschreiten.

Laut Bundesregierung geht es um „mehr Kinder- und Jugendschutz“, speziell um den Schutz Minderjähriger vor Tätern, die bereits wegen Sexualdelikten einschlägig vorbestraft sind. Ein solches politisches Anliegen scheint auf den ersten Blick unstrittig. Wer würde im Ernst für eine Beschäftigung verurteilter Sexualstraftäter im Bereich der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen plädieren? Die Thematisierung sexuellen Missbrauchs an pädagogischen Einrichtungen birgt die Chance, endlich eine Grauzone zu enttabuisieren. Doch sollte man die unterschiedlichen Dimensionen der Debatte um sexuellen Missbrauch nicht aus dem Auge verlieren: 1) die Ursprungstat selbst, 2) das vielfach anzutreffende Schweigen des sozialen Umfelds und 3) die mögliche politische Funktionalisierung sexuellen Missbrauchs. Der letztgenannte Aspekt ist Gegenstand nachfolgender Ausführungen. Denn Opferschutz kann auch zum Abbau von Arbeitnehmerrechten, zur Aufweichung von Datenschutzbestimmungen und zur Formierung einer neuen Prüderie als Grundlage von Untertanenmentalität politisch instrumentalisiert werden.

Literatur

1 Aufgrund der damit notwendig gewordenen Umstellung der automatisierten Datenverarbeitung im Bundeszentralregister zu Bonn trat das Gesetz zeitlich verzögert in Kraft.

2 Vgl. http://www.gulli.com/news/neues-zentralregister-uk-harry-2009-07-16/

  • 1 Fegert J M, Wolff M Hrsg. Sexueller Missbrauch durch Professionelle in Institutionen. Weinheim: Juventa 2006
  • 2 Heyden S, Jarosch K. Missbrauchstäter. Stuttgart: Schattauer 2009
  • 3 Kind H. Kinderpornografie in den Medien. In: Haide A, Hrsg. Stoppt die Kinderschänder. Die Opfer – die Täter – das Millionengeschäft. Wolkersdorf: Kleindienst 2003; 170–193
  • 4 Kuhnen K. Kinderpornographie und Internet. Göttingen: Hogrefe 2007

G. Walentowitz

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