Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11(5): 195-198
DOI: 10.1055/s-0030-1265274
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8. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin

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Publication Date:
03 September 2010 (online)

 

Prof. Dr. R. Sabatowski

PD Dr. B. Schubert

PD Dr. U. Schuler

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

zum diesjährigen 8. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin vom 9. bis 11. September möchten wir Sie sehr herzlich in Dresden begrüßen.

"Grenzen überwinden" - unter dieses Motto haben wir unseren Kongress gestellt.

Grenzen haben zunächst einmal die Funktion zu trennen - sie können identitätsbildend sein, aber, wenn sie unüberwindbar sind, die Weiterentwicklung verhindern.

Identität geriete in die Gefahr der Selbstgefälligkeit, wenn wir neben der Betrachtung des eigenen Handelns nicht auf das schauen würden, was Fachkollegen jenseits geografischer Grenzen beschäftigt. Es ist uns eine besondere Freude, dass wir Palliativmediziner aus unseren östlichen Nachbarländern Polen, der Tschechischen und der Slowakischen Republik gewinnen konnten, einen aktiven Beitrag in Dresden zu leisten und mit uns den Austausch zu suchen.

Doch wir wollen nicht nur auf das verbindende und vielleicht immer noch trennende zu unseren direkten östlichen Nachbarländern schauen, auch Deutschland hat eine lange Periode der politischen Trennung hinter sich. In seinem Festvortrag wird Herr Dr. h. c. Joachim Gauck gemeinsam mit uns - jenseits der Medizin - einen Blick auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung nach der Vereinigung Deutschlands werfen. Im 20. Jahr der Wiedervereinigung Deutschlands wollen wir diesen Kongress mit Teilnehmern aus West und Ost auch dafür nutzen, die politische Entwicklung und deren Einfluss auf die gesellschaftliche und auch gesundheitspolitische Situation zu reflektieren. Wir hoffen dadurch, den Blick auf den Kreis der Menschen, die eine andere Sozialisation erfahren haben, zu öffnen und jenseits der vielleicht noch bestehenden "ideologischen" Grenzen miteinander ins Gespräch zu kommen.

Das Motto "Grenzen überwinden" bedeutet für uns auch, dass wir vermeintlich fest stehende und unverrückbare Meinungen, die es auch in unserem Fachgebiet gibt, kritisch zu hinterfragen und auch "andere" Ansichten und Meinungen anzuhören und miteinander in einem offenen Gespräch zu diskutieren. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion unter dem Titel "Patientenautonomie - Bis in den Tod?" sollen verschiedene Aspekte der Patientenautonomie von sehr unterschiedlichen Standpunkten und Erfahrungen ausgehend, kritisch, durchaus kontrovers und offen miteinander diskutiert werden. Wichtig ist uns, dass auch Positionen "jenseits der Grenze" angehört, respektiert und reflektiert werden. Diese Grundhaltung eines kritischen Diskurses wünschen wir uns für den gesamten Kongress.

Die Begrenztheit des Lebens ist ein Thema, das gern verdrängt und tabuisiert wird - auch in der Medizin. Die Palliativmedizin hat sich dieses Grenzbereichs angenommen, ihre Identität darin gefunden, Leiden zu lindern und ein Sterben unter menschenwürdigen Bedingungen zu ermöglichen, wie es in den Grundsätzen der Bundesärztekammer gefordert wird. Auch wenn die Begleitung der letzten Lebensphase ein wichtiger und sicherlich zu wenig beachteter Aspekt in der Medizin ist: es geht in der Palliativbetreuung nicht nur um Sterbebegleitung und Leidenslinderung, wenn kurative Konzepte versagen. Vielmehr geht es um einen Ansatz, der die Prävention des Leidens im Blickfeld hat, Prävention durch frühzeitige Berücksichtigung palliativer Möglichkeiten und Prinzipien.

Dieser Anspruch kann nur erfüllt werden, wenn Grenzen zu anderen medizinischen Fachgebieten geöffnet werden; Palliativbetreuung darf nicht eine Insellösung am Ende eines therapeutischen Weges sein, sondern muss integraler Bestandteil aller medizinischen Fachrichtungen sein, in denen lebensbedrohlich erkrankte Menschen betreut werden.

Während des Kongresses suchen wir den intensiven Austausch mit Fachvertretern der Intensiv- und Notfallmedizin, der Geriatrie, der Neurologie und Onkologie. Wir wollen ihre Sicht auf die gemeinsam zu betreuenden Patienten und ihre Behandlungskonzepte kennen lernen und Wege entwickeln, palliativmedizinische Konzepte und eine palliativmedizinische Grundhaltung zu implementieren. Palliativmedizin kann nicht nur ein Fach sein, dass in meist kleinen und wenigen hoch spezialisierten Einheiten stattfindet. Hier muss die Palliativmedizin helfen, Grenzen zu überwinden und palliativmedizinische Konzepte auch auf z.B. onkologischen oder geriatrischen Stationen zulassen bzw. unterstützen.

Unsere Fachgesellschaft strebt daher eine breite Basisqualifikation aller Berufsgruppen an, die unheilbar erkrankte Menschen, unabhängig von deren Alter, Grunderkrankung und Betreuungsort, versorgen, und will zu einer bestmöglichen allgemeinen Palliativversorgung befähigen. Wann aber geraten allgemeine Betreuungsangebote für Palliativpatienten an ihre Grenzen, wann ist eine spezialisierte Unterstützung angezeigt? Und wie definieren wir die Indikationen für die allgemeine und die spezialisierte ambulante und stationäre Palliativbetreuung?

Dies wird umso besser gelingen, wenn der Bedarf an spezialisierter Betreuung nicht allein dadurch bestimmt wird, dass die Basisbetreuer nicht ausreichend palliativmedizinisch qualifiziert sind. Dafür ist die Etablierung der Palliativmedizin in der akademischen Wissenschaft und Lehre weiterhin und wachsend ein Thema, dem besondere Aufmerksamkeit zukommt. Auch hier geht es darum, die Grenzen etablierter Curricula in der Ausbildung zu überwinden und neue Ideen für Wissensvermittlung, für das Erlernen palliativmedizinischer Fertigkeiten und die Formung von Haltungen zu entwickeln. Es ist folgerichtig, dass die Palliativmedizin als Querschnittsbereich im Jahr 2009 in die Approbationsordnung eingeführt wurde. Kaum ein Bereich in der Medizin wird angesichts der demografischen Entwicklung, angesichts der Grenzen medizinischer Möglichkeiten und den Bedürfnissen der Betroffenen umfassend gerecht zu werden in der Aus- Fort- und Weiterbildung als so notwendig und wichtig angesehen wie die Palliativmedizin. Ein Zeichen dieser besonderen Wertschätzung unserer Arbeit setzt Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler mit der Übernahme der Schirmherrschaft für unseren Kongress und seiner Teilnahme an der Abendveranstaltung am 10. September in der Dresdner Frauenkirche.

Palliativmedizin versucht den Blickwinkel in der Medizin zu erweitern. Grenzen überwinden bedeutet auch, die Erfahrungen des Krankseins, des kranken Menschen wieder mehr zu beachten und nicht nur die Pathophysiologie einer Erkrankung. Grenzen überwinden bedeutet, sich zu öffnen und sich in neuen oder sogar fremden Bereichen zu begegnen, Anerkennung und Zukunftsperspektiven zu finden. Grenzen überwinden bedeutet vor allem auch, mit anderen zu kommunizieren. Wir möchten durch unser Kongressprogramm die Kommunikation mit anderen Geisteswissenschaften wie der Theologie, der Philosophie und der Kunstwissenschaften anregen, ihre Bilder von Leiden und Sterben befragen und nach möglichen Antworten auch für unsere Patienten suchen.

Und natürlich wollen wir Ihnen auch Dresden im 20. Jahr der Wiedervereinigung zeigen. Sie können den kulturellen Reichtum der Stadt mit ihren Kunstschätzen, ihrer vielfältigen Architektur von Barock bis hin zum Jugendstil, ihrer Theater-, Konzert- und Opernszene kennenlernen. Aber Sie sehen auch, welche Wunden der Zweite Weltkrieg und die Zeiten der politischen Trennung hinterlassen haben und wie es den Dresdner Bürgern gelungen ist, Trennendes zu überwinden.

Im Namen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin wünschen wir Ihnen einen anregenden Kongress und einen schönen Aufenthalt in Dresden.

Prof. Dr. Rainer Sabatowski

PD Dr. Barbara Schubert

PD Dr. Ulrich Schuler

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