Dialyse aktuell 2010; 14(7): 355
DOI: 10.1055/s-0030-1267372
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Quo vadis, Pflege?

Christian Schäfer
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Publication Date:
20 September 2010 (online)

Im Juli geisterte es durch die Medien: Das Bundeskabinett hat den Pflegemindestlohn mit 7,50 Euro (Ost) und 8,50 Euro (West/Berlin) mit Wirkung ab dem 1. August 2010 beschlossen. Diesen hatte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf der Grundlage der Einigung einer Findungskommission im März gefordert. Der Bundestag musste die Rechtsverordnung nicht mehr billigen und somit stand der Umsetzung nichts mehr entgegen: alles zentral geregelt, kein willkürlich niedriger Lohn mehr – das klingt doch eigentlich alles ganz positiv. Aber schauen wir mal hinter die Kulissen: Wie war denn eigentlich der Weg dahin und was sind die Stundensätze im Vergleich zu anderen Branchen wert?

Das Bundesarbeitsministerium hatte das Gremium 2009 eingesetzt, damals noch unter der Leitung von Olaf Scholz (SPD). Der Kommission gehörten Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, sowie Vertreter kirchlicher Dienste und Dienstnehmer an. Nachdem sich diese im März einstimmig auf den Pflegemindestlohn geeinigt hatten, folgte zunächst einmal ein monatelanges Hin und Her mit Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Hierdurch verzögerte sich die Einführung der Regelung um einen Monat – ursprünglich war der 1. Juli angedacht. Streitpunkt war die Laufzeit, Brüderle wollte den Mindestlohn auf Ende 2011 begrenzen.

Schließlich einigte man sich auf die ursprüngliche Forderung von der Leyens, nämlich auf Ende 2014. Allerdings wird der Pflegemindestlohn wie alle Mindestlöhne 2011 auf seine Wirkung überprüft. Was hat Brüderle gegen einen Pflegemindestlohn bzw. was waren seine grundlegenden Einwände gegen eine längere Laufzeit? Seine Argumente zielen in Richtung „steigende Personalkosten“ und malen das Bild des „Stellenwegfalls“ an die Wand. Man könne sich das nicht leisten.

Betrachten wir die Sache etwas genauer: Die Folgen einer „überalterten“ Gesellschaft kommen unausweichlich auf uns zu und sind schon heute zu spüren – das ist kein Geheimnis. Die Qualität und Anerkennung der Pflege mindestens zu erhalten bzw. zu verbessern (nicht zuletzt durch eine Vermeidung von Dumpinglöhnen) ist daher elementar.

Schon heute fehlt es an Nachwuchs – der Beruf ist für Schulabgänger nicht attraktiv genug. Ein großer Teil der Auszubildenden in der Pflege hat bereits gesundheitliche Probleme, wie eine Untersuchung des Bremer „Institut für Public Health und Pflegeforschung“ zeigt (siehe Seite 368 in dieser Ausgabe). Das Burn-out-Syndrom ist unter Pflegenden erschreckend weit verbreitet (über Burn-out-Prävention hat Dr. Felicitas McCarthy, München, in der vorherigen Ausgabe, Dialyse aktuell 6/2010, geschrieben). Das Image des Berufs ist wahrlich nicht das beste. Einen Pflegemindestlohn fest zu etablieren ist vor diesem Hintergrund daher ein guter Anfang, auch wenn dies in erster Konsequenz steigende Personalkosten bedeuten sollte. „Der Mindestlohn gibt jetzt allen Sicherheit, die in dieser Zukunftsbranche arbeiten und arbeiten wollen“, äußerte sich von der Leyen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Zurück zu den Einzelheiten: Für 560 000 Pflegekräfte in Deutschland gilt jetzt also eine Lohnuntergrenze. Die ist mit 7,50 Euro bzw. 8,50 Euro nun nicht sonderlich hoch angesetzt. 2012 und 2013 sind zwar Erhöhungen um je 25 Cent geplant, aber vor allem im Vergleich zu anderen Branchen relativiert sich das wieder: So verdienen derzeit beispielsweise Ungelernte im Bauhauptgewerbe mindestens 9,25 Euro (Ost) bzw. 10,80 Euro (West/Berlin) in der Stunde, und für Dachdecker gilt ein Mindestlohn von 10,60 Euro. Aber trotz dieser Einschränkung: Es ist zumindest ein Ansatzpunkt, eine erste Grundlage, um die Anerkennung für die Arbeit der Pflegekräfte zu verbessern.

Quo vadis, Pflege? Das ist noch nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Hoffnung gibt es – der Mindestlohn könnte sich als Schritt in die richtige Richtung herausstellen. Insgesamt muss aber noch viel passieren, damit die in Deutschland stiefmütterlich behandelte Pflege auf ihre Kosten kommt – etwa bei den Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte und der Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften. Das wäre letztendlich im Sinne aller.

Christian Schäfer

Stuttgart