Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2010; 45(10): 626-634
DOI: 10.1055/s-0030-1267527
Fachwissen
Notfallmedizin
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Damage Control bei hämodynamisch instabilen Patienten – Eine Behandlungsstrategie für Schwerverletzte

Damage control in trauma patients with hemodynamic instabilityThorben Müller, Dietrich Doll, Frank Kliebe, Steffen Ruchholtz, Christian Kühne
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Publikationsdatum:
04. November 2010 (online)

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Zusammenfassung

Der Begriff der Damage Control (DC) beschreibt eine Behandlungsstrategie im Rahmen der Schwerverletzten- bzw. der Polytraumaversorgung. Hierbei werden die präklinische bzw. frühklinische Phase, die Phase der Notfalleingriffe, die Phase der Stabilisierung und die der geplanten Versorgungseingriffe unterschieden. Hintergrund ist eine traumabedingte Destabilisierung der physiologischen Kompensationsmechanismen. Diese Dekompensation des Organismus kann durch die Belastung einer definitiven, lange andauernden chirurgischen Versorgung in der Frühphase verstärkt werden. Die operative Erstversorgung dient in erster Linie der hämodynamischen Stabilisierung, der Kontrolle kurzfristig lebensbedrohlicher Verletzungen sowie der temporären Frakturstabilisierung. Nach (intensivmedizinischer) Stabilisierung des Patienten kann dann im zeitlichen Gefolge die definitive operative Versorgung erfolgen.

Abstract

The term “Damage-control” is borrowed from naval terminology. It means the initial control of a damaged ship. Because of the lethal triad in multiple injured patients the classical concept of definitive surgically therapy in the acute phase of the injury has a high rate of complications such as exsanguination, sepsis, heart failure and multiple organ failure. The core idea of the damage control concept was to minimize the additional trauma by surgical operations in these critical patients in the first phase. This means temporary control of a hemorrhage and measures for stopping abdominal contamination. After 24 - 48 hours in the intensive care unit and correction of physiological disturbances further interventions are perfomed for definitively treatment of the injuries. Summarized, the damage control strategy comprises an abbreviated operation, intensive care unit resuscitation, and a return to the operating room for the definitive operation after hemodynamic stabilisation of the patient.

Kernaussagen

  • Hoher Blutverlust, ein ISS (Injury Severity Score) über 35, andauernde Hypotension und/oder Koagulopathie stellen u.a. eine Indikation zur Damage Control dar. Die Entscheidung zur DC ist dabei so früh wie möglich zu treffen.

  • Wenn ein primärer Bauchdecken-/Faszienverschluss bei schwerverletzten Patienten nicht möglich oder sinnvoll ist, kann ein temporärer Verschluss mittels Vakuumversiegelung oder Abdichtung durch Bauchtücher erfolgen.

  • Hämorrhagische Leberblutungen können vorübergehend durch das Pringle-Manöver kontrolliert werden. Leber(-teil-)resektionen sind zu vermeiden; Blutungen sollten, wenn möglich, mittels Packing versorgt werden.

  • Bei kreislaufrelevanten Milzblutungen ist der Splenektomie der Vorzug zu geben.

  • Second-Look-Operationen nach Packing oder Segmentresektionen des Darms sollten 48–72 h postoperativ erfolgen.

  • Bei der anterolateralen Notfallthorakotomie erfolgt der Zugang im 5. ICR (Interkostalraum). Er kann ggf. bis auf die kontralaterale Seite erweitert werden.

  • Die Entscheidung zur DC / DCO wird durch den „Trauma Leader“ oder interdisziplinär getroffen.

  • Hämorrhagische Blutungen bei Beckenfrakturen müssen so früh wie möglich durch Kompression des knöchernen Beckens reduziert werden. Hierzu bieten sich (prä-) klinisch der Beckengurt, das straffe Umwickeln des Beckens bzw. die Fixateur-externe-Anlage oder eine Beckenzwinge an. Arterielle Blutungen können auch embolisiert werden.

Weiteres Material zum Artikel

Literaturverzeichnis

Dr. med. Thorben Müller
Dr. med. Dietrich Doll
Dr. med. Frank Kliebe
Prof. Dr. med. Steffen Ruchholtz
PD Dr. med. Christian A. Kühne

eMail: thmuelle@med.uni-marburg.de

eMail: kliebe@med.uni-marburg.de

eMail: ruchholt@med.uni-marburg.de

eMail: kuehnec@med.uni-marburg.de