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DOI: 10.1055/s-0030-1267870
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Interdisziplinäre Tumorkonferenz - Fälle aus dem Tumorboard – Lebensbedrohliche Nebenwirkungen unter Kombinationstherapie bei einer DPYD*2A-Mutationsträgerin
Publication History
Publication Date:
04 October 2010 (online)
Unter dieser Rubrik werden Patientinnen vorgestellt, die in einem interdisziplinären Tumorboard tatsächlich diskutiert worden sind. Wir laden Sie ein, mit uns unsere Fälle zu begutachten! Wir erlauben uns, explizit darauf hinzuweisen, dass durch die Individualität einer jeden Erkrankung, unterschiedliche onkologische Erfahrungen der Therapeuten und subjektive Gewichtungen von Forschungsergebnissen auch andere Empfehlungen als die unseren zustande kommen und richtig sein können. Ein Tumorboard lebt von divergierenden Meinungen! J. Reinhardt-Klötzke, A. Schneeweiss, C. Sohn, F. Marmé, Universitätsfrauenklinik Heidelberg, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen
Kasuistik: 63-jährige Patientin, geboren in Deutschland
Erstdiagnose: 2006 war die Diagnose eines triple-negativen Mammakarzinoms mit einem TNM-Stadium von pT1c pN2a (7/19) M0 G2 L1 R0 gestellt worden.
Adjuvante Therapie:
brusterhaltende Therapie mit axillärer Lymphonodektomie dosisdichte adjuvante Chemotherapie mit sequenziell verabreichtem Epirubicin, Paclitaxel und Cyclophosphamid 1 Radiatio der operierten Brust und der Lymphabflusswege
Die Chemotherapie war unter der obligaten GCS-F Gabe ohne höhergradige Nebenwirkungen und ohne Dosisreduktion oder Zyklusverschiebungen durchgeführt worden.
Nebendiagnostisch: mit Metoprolol gut eingestellter Hypertonus
Familienanamnese: Mutter Mamma-CA beidseits, Ersterkrankung mit 53 Jahren, Zweiterkrankung mit ca. 60 Jahren
Vorstellung in der onkologischen Ambulanz: Ende 2009 stellt sich die Patientin mit Appetitlosigkeit, zunehmender Belastungsdyspnoe, trockenem Husten und Schmerzen am Rippenbogen vor.
Staging: Im CT-Thorax finden sich Pleuraverdickungen beidseits sowie ein einzelner Lungenrundherd im rechten Unterlappen. Im CT-Abdomen zeigt sich eine diffuse Lebermetastasierung. Das Knochenszintigramm ist unauffällig.
Empfehlung des Tumorboards: Aufgrund der viszeralen Metastasierung wird eine 1st-line-Kombinationstherapie mit Capecitabine (2x 1000 mg/m2 p.o. pro Tag d1-14, q3w) und Bevacizumab (15 mg/kg i.v. q3w) eingeleitet.
Verlauf: An Tag 10 des ersten Zyklus stellt sich die Patientin notfallmäßig in stark reduziertem Allgemeinzustand mit febriler Panzytopenie (niedrigste gemessene Werte: Leukozyten: 0,5/nl; Thrombozyten: 10/nl; Hb 6,1 g/dl) und schwerer äußerst schmerzhafter, seit 3 Tagen bestehender Stomatitis Grad IV mit oraler Candidose vor und wird stationär aufgenommen. Die Thrombozytopenie und die Anämie wurden durch wiederholte Transfusionen ausgeglichen und eine Therapie mit Ceftazidim und Nystatin sowie therapeutischer Gabe von G-CSF eingeleitet; aufgrund der Schwere der Stomatitis waren neben der lokalen Therapie eine parenterale Ernährung über mehr als 3 Wochen sowie eine Opioid-basierte Schmerztherapie notwendig.
Trotz dieser Maßnahmen entwickelte die Patientin am 5. Tag des Aufenthaltes eine Sepsis mit Hypotonie (90/50 mmHg) und Tachykardie (125 spm) bei einer Körpertemperatur von über 39°C ohne nachweisbaren Infektfokus, die eine Verlegung auf die Intensivstation notwendig machte, wo sich nach Eskalation der Infektionstherapie auf Meropenem und Fluconazol der kritische Zustand der Patientin rasch besserte. Überraschenderweise entwickelte die Patientin nun eine ausgeprägte fleckige Alopezie, die so bei dieser Therapiekombination bisher noch nicht beobachtet wurde, und dies nach weniger als einem verabreichten Zyklus.
Erst an Tag 35 konnte die Patientin in die ambulante Weiterbetreuung entlassen werden.
Hintergrund und Diskussion: In der Literatur sind etliche Fälle lebensbedrohlicher Nebenwirkungen aufgrund 5-Fluorouracil (5-FU)-basierter Therapien beschrieben, die mit einer verminderten Dihydropyrimidindehydrogenase (DPD)- Enzymaktivität in Verbindung gebracht werden. Kasuistiken zu ähnlicher Toxizität im Zusammenhang mit Capecitabine, einem 5-FU-Prodrug, sind deutlich seltener und meist in Kombination mit anderen Chemotherapeutika [2], [3]. Die Dihydropyrimidindehydrogenase (DPD) katalysiert den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt im Abbau von 5-FU, Mutationen im DPD-Gen bedingen einen partiellen oder kompletten Verlust der Enzym-aktivität, wodurch es zur Akkumulation von 5-FU und seinen aktiven Metaboliten kommt [4].
Die häufigste Mutation ist die Exon-14-Skipping-Mutation (DPYD*2A-Mutation), die bei ca. 1 % der kaukasischen Bevölkerung vorkommt. Ein G>A-Basenaustausch in Intron 14 führt zum Exonskipping und dadurch zu einer 165bp-Deletion in der DPD-mRNA und zu einem kompletten Verlust der Enzymaktivität; in heterozygoten Mutationsträgern beobachtet man einen partiellen Verlust der Enzymaktivität [5]. Neben der Stärke der beschriebenen Nebenwirkungen bei DPYD*2A-Mutation ist gerade auch das frühe Einsetzen charakteristisch [4], so dass in dem hier geschilderten Fall eine Bestimmung des DPD-Genotyps veranlasst wurde, um die möglichen Ursachen einzugrenzen. Der Verdacht bestätigte sich: die Patientin ist heterozygote DPYD*2A-Mutationsträgerin.
Bei Patienten, die infolge einer 5-FU-Therapie eine Grad-3/4-Toxizität entwickeln, liegt die Prävalenz der DPYD*2A-Mutation bei 25 %, im Gegensatz zu 0,5-1 % in der deutschen Bevölkerung. Allerdings treten solch gravierende Nebenwirkungen nicht bei allen Mutationsträgern auf, was auf weitere mitverantwortliche Faktoren hindeutet.
Die einzige prospektive Studie [6], die den Einfluss von genetisch bedingter DPD-Defizienz und auch nicht genetischen Faktoren auf die Toxizität von 5-FU untersuchte, konnte einen deutlichen Zusammenhang zwischen DPD-Defizienz und 5-FU-Toxizität nur in der männlichen Studienpopulation nachweisen, nicht aber bei Frauen. Eine befriedigende Erklärung hierfür gibt es allerdings bislang nicht, so dass aktuell unklar bleibt, ob hier weitere gonosomal determinierte Faktoren, Geschlechtshormone oder gar erbliche Varianten im Metabolismus von Capecitabine bei dessen Aktivierung (z. B. die Cytidindeaminase) eine Rolle spielen.
Glücklicherweise werden solch ausgeprägte Nebenwirkungen im Rahmen der insgesamt sehr verträglichen Therapie mit Capecitabine nur selten beobachtet, dennoch zeigt der hier beschriebene Fall, dass im Hinblick auf die Pharmakogenetik von 5-FU/Capecitabine zumindest bei weiblichen Patienten noch viele offene Fragen bestehen bleiben. Aufgrund der bisherigen Datenlage kann eine genetische Testung vor Therapiebeginn bei Frauen nicht gefordert werden.
Judith Reinhardt
Universitätsfrauenklinik Heidelberg
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen
Voßstr. 9
69115 Heidelberg
Email: Judith.Reinhardt@med.uni-heidelberg.de
Literatur
- 01 Moebus V , Jackisch C , Lueck H J, et al . Intense dose-dense sequential chemotherapy with epirubicin, paclitaxel, and cyclophosphamide compared with conventionally scheduled chemotherapy in high-risk primary breast cancer: mature results of an AGO phase III study. J Clin Oncol. 2010; 28 2874-80
- 02 Ciccolini J , Mercier C , Dahan L , et al . Toxic death-case after capecitabine + oxaliplatin (XELOX) administration: probable implication of dihydropyrimidine deshydrogenase deficiency. Cancer Chemother Pharmacol. 2006; 58 272-5
- 03 Lazar A , Mau-Holzmann U A, Kolb H , et al . Multiple organ failure due to 5-fluorouracil chemotherapy in a patient with a rare dihydropyrimidine dehydrogenase gene variant. Onkologie. 2004; 27 559-62
- 04 van Kuilenburg A B. Dihydropyrimidine dehydrogenase and the efficacy and toxicity of 5-fluorouracil. Eur J Cancer. 2004; 40 939-50
- 05 Saif M W, Ezzeldin H , Vance K , et al . DPYD*2A mutation: the most common mutation associated with DPD deficiency. Cancer Chemother Pharmacol. 2007; 60 503-7
- 06 Schwab M , Zanger U M, Marx C , et al . Role of genetic and nongenetic factors for fluorouracil treatment-related severe toxicity: a prospective clinical trial by the German 5-FU Toxicity Study Group. J Clin Oncol. 2008; 26 2131-8