Dialyse aktuell 2010; 14(10): 562
DOI: 10.1055/s-0030-1270662
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nephrologie hat eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung globaler Leitlinien

Kai-Uwe Eckardt
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Publication Date:
17 January 2011 (online)

Durch eine systematische, objektive und transparente Erfassung und Analyse der publizierten Literatur sind Leitlinien ein Kernbestandteil evidenzbasierter Medizin. Die Gründlichkeit und methodische Qualität muss dabei ähnlich sein wie bei klinischen Studien – ein aufwendiger, professionell durchzuführender Prozess. Ein alleiniger Meinungs- und Erfahrungsaustausch von Experten kann sicherlich ebenfalls sinnvollen Rat hervorbringen, den systematischen Prozess der Evidenzaufarbeitung aber nicht ersetzen. Neben Empfehlungen für die klinische Praxis sollen Wissenslücken klar beschrieben und Empfehlungen zur Dringlichkeit zukünftiger Studien gegeben werden, um diese Lücken zu füllen.

In der Nephrologie begann der Prozess professioneller Leitlinienentwicklung in den USA mit der DOQI („Dialysis Outcome Quality Initiative“), aus der dann die KDOQI („Kidney Disease Outcome Quality Initiative“) wurde. Beide Initiativen haben das Fachgebiet nachhaltig geprägt, indem sie auf die Behandlungsheterogenität hingewiesen, den Literaturstand zu einigen zentralen Themen zusammengefasst und im Bereich der chronischen Nierenerkrankung erstmalig eine Definition und Stadieneinteilung vorgeschlagen haben. In Europa und in anderen Regionen entstanden ähnliche Initiativen. Schnell kam es dazu, dass dieselben Themen mehrfach bearbeitet wurden, nicht zuletzt auch unter dem direkten Einfluss der Industrie.

Vor diesem Hintergrund wurde 2002 die Stiftung KDIGO („Kidney Disease: Improving Global Outcomes“) gegründet. Ziel war es, Redundanzen in der Leitlinienentwicklung in der Nephrologie zu vermeiden: Der Evidenzreview wird auf globaler Ebene mit der bestmöglichen Methodik optimiert, um daraus Empfehlungen abzuleiten, die gegebenenfalls auf lokaler Ebene angepasst werden müssen, um sie dann zielgerichtet zu implementieren. KDIGO hat mit dem Management der Organisation die NKF („National Kidney Foundation“) in den USA beauftragt und führt den Evidenzreview mit einem professionellen Expertenteam für evidenzbasierte Medizin am „Tufts New England Center“ in Boston durch. Über 50 Nephrologen aus der ganzen Welt bilden zusammen mit einigen Kollegen aus Nachbardisziplinen und Patientenvertretern das Board von KDIGO und bestimmen die Ausrichtung und Projekte der Organisation. Ein Exekutivkomitee und 2 Vorsitzende sind für die Umsetzung zuständig.

KDIGO hat sich seit seiner Gründung sehr erfolgreich entwickelt: Mittlerweile sind 3 Leitlinien publiziert (Hepatitis C, Knochen- und Mineralstoffwechsel und Transplantation), 5 weitere sind in Vorbereitung (Glomerulonephritis, akutes Nierenversagen, Blutdruckbehandlung, Anämie und chronische Nierenerkrankung). Zwischen 15 und 20 Themen sollen es nach den bisherigen Vorstellungen insgesamt werden, mit regelmäßigen Updates nach etwa 5 Jahren. Dieses Ziel ist ehrgeizig, aber erreichbar. Was KDIGO bis heute dank des unermüdlichen Einsatzes einer Vielzahl von Kollegen geschafft hat, ist bereits beispielhaft. In keinem anderen Fachgebiet ist es meinem Wissen nach bislang in ähnlicher Art und Weise gelungen, den Leitlinienprozess durch Zentralisierung so effizient zu gestalten.

KDIGO-Leitlinien werden üblicherweise in „Kidney International“ publiziert. Eine deutsche Übersetzung der Empfehlungen findet sich auf www.kdigo.org. In dieser Ausgabe der Dialyse aktuell stellen ausgewiesene deutsche Experten die 3 bereits publizierten Leitlinien zusammenfassend vor und kommentieren sie. Gleichzeitig sollen die Beiträge helfen, die notwendige Umsetzung in die Praxis zu erreichen. Zwischen strikter Evidenzbasiertheit und praktischem Nutzen ergibt sich ein Spannungsfeld, das im Bereich der Nephrologie angesichts der vergleichsweise geringen Evidenz von besonderer Bedeutung ist. Je strikter Empfehlungen nur dann formuliert werden, wenn harte Evidenz vorhanden ist, umso weniger wird der Kliniker darin Rat für die meisten Alltagssituationen finden. „As much evidence as possible – as much judgement as necessary“ – mit diesem Statement versucht KDIGO seinen Mittelweg in diesem Spannungsfeld zu umschreiben. Das Wissen um diese Unsicherheit aufgrund der oft fehlenden Evidenz ist eine Voraussetzung für verantwortungsvolles Handeln und vor allem auch für Fortschritt durch neue Studien.

Prof. Dr. Kai-Uwe Eckardt

Erlangen

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