PPH 2011; 17(1): 4-5
DOI: 10.1055/s-0030-1270689
PPH Szene
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Auf ein Wort mit …

Michael Schulz
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Publication Date:
22 January 2011 (online)

Roland van de Sande, Sekretär von HORATIO, Organisation für Psychiatrische Pflege in Europa

Roland van de Sande. Foto: Autor

Michael Schulz: Guten Tag Roland. Was ist HORATIO?

Roland van de Sande: HORATO ist eine Dachverbandsorganisation für Psychiatrische Pflege auf europäischer Ebene. Viele Länder verfügen über Organisationen für Psychiatrische Pflege oder haben Verbände für Psychiatrische Pflege. Über diese Organisationen können Länder Mitglied bei HORATIO werden. Die meisten europäischen Länder sind bereits Mitglied in HORATIO, einige arbeiten daran. Jüngstes ist die Türkei, (assoziiertes Mitglied) und Russland (Vollmitglied) die gerade eben Mitglied geworden sind. Deutschland ist sehr früh nach der Gründung von 2005 über den Deutschen Verband für Krankenpflege – DBFK – Mitglied von HORATIO geworden. HORATIO ist also noch eine junge Organisation. Wir wissen nicht genau, wie viele Psychiatrisch Pflegende sie in Europa vertritt, weil hier belastbare Statistiken fehlen. Die Zahl liegt irgendwo zwischen 300.000 und 500.000.

Michael Schulz: Was sind die Aufgaben von HORATIO? Roland van de Sande: Eine wichtige Aufgabe von HORATIO ist es, Psychiatrische Pflege fachlich weiter zu entwickeln. Hier funktioniert HORATIO als ein großes Netzwerk, in dem sich Pflegeforscher, Praktiker und Politiker begegnen und Wissen austauschen. Dies geschieht z. B. über Konferenzen, wie wir sie in Malta in 2008 oder Prag 2010 durchgeführt haben. Dies geschieht aber auch über die Beteiligung an größeren Forschungsprojekten, wie jetzt z. B. im Falle von „E-PsychNurseNet”. Hier handelt es sich um ein onlinegestütztes Lernprogramm für Psychiatrisch Pflegende, welches in England und Finnland entwickelt worden ist und mit Erfolg angewendet wurde. Nun soll dieses Programm in anderen acht Ländern – unter anderem in Deutschland – ebenfalls ausprobiert werden. Michael Schulz: Wie können Psychiatrisch Pflegende an diesem Netzwerk teilhaben? Roland van de Sande: Natürlich über den Besuch von Konferenzen oder aber über unsere Internetseite, auf der wir viele wichtige Materialien zur Verfügung stellen. Hier findet man z. B. die Powerpointfolien der HORATIO-Konferenz in Prag. Michael Schulz: HORATIO ist auch eine pflegepolitische Organisation. Kannst Du ein Beispiel aus den letzten Jahren nennen, woran man erkennen kann, welche Themen für HORATIO interessant sind und wie die Organisation Einfluss nimmt? Roland van de Sande: Vor 2006 gab es keine Organisation für Psychiatrische Pflege, an die sich die Europäische Union hätte wenden können. Seit es nun HORATIO gibt, ist die Organisation mit vielen Interessengruppen in Austausch getreten und wurde in wichtige politische Prozesse miteinbezogen. Ein Beispiel dafür ist der „European pact for mental health” (http://ec-mental-health-process.net/implementation.html). In die Entwicklung dieses Paktes für Psychische Gesundheit sind die Gesundheitsministerien aller Mitgliedstaaten einbezogen. Gleichzeitig hat sich aber auch die Arbeitsweise der EU dahingehend verändert, dass es weniger um große politische Ziele geht, sondern vielmehr um praxisbezogene und praxisrelevante Fragen. Aus diesem Grund wurden viele kleinere Organisationen und sog. Nichtregierungsorganisationen („NGO’s”) in den Prozess einbezogen. Und eben auch HORATIO. HORATIO war auch in die Entwicklung von sogenannten Konsensuspapieren eingebunden, wie z. B. zum Thema „Depression und Suizid” oder zum Thema „Psychische Gesundheit bei älteren Menschen”. Diese Veröffentlichungen haben eine Vielzahl neuer Projekte und Vernetzungsaktivitäten zur Folge gehabt. HORATIO arbeitet jetzt z. B. viel enger mit der europäischen Organisation für Familienangehörige bei Psychischer Erkrankung zusammen. Michael Schulz: Wenn Du nun aus einer europäischen Perspektive auf die Psychiatrische Pflege schaust: wo liegen aus Deiner Sicht die Herausforderungen? Roland van de Sande: Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass es in Europa um die Leistungsfähigkeit Psychiatrischer Pflege nicht so gut bestellt ist. So gibt es Länder, in denen es keine spezielle Aus- oder Weiterbildung für den Psychiatrischen Bereich gibt. In diesen Ländern wird diese Arbeit dann von Sozialarbeitern oder allgemein ausgebildeten Pflegenden übernommen. Hier gilt es, eine qualitativ hochwertige Psychiatrische Pflege durch entsprechende Ausbildung sicherzustellen und einheitliche Standards zu definieren. Ein weiteres Problem ist der zunehmende Personalmangel, der die Psychiatrische Pflege besonders trifft. Für Europa bedeutet dies auch, dass Pflegende in Länder abwandern, in denen es ihnen vielleicht ökonomisch besser geht. Obwohl die berufliche Freizügigkeit eines der großen Ziele der EU ist, geht mit einer solchen Entwicklung immer auch ein ethisches Problem einher, da durch den Abzug die Leistungsfähigkeit eines Landes gesenkt wird. Solche Entwicklungen beobachten wir momentan vor allen in Osteuropa. Als weitere Herausforderung sehe ich, dass deutlich mehr Psychosoziale Interventionen von Psychiatrisch Pflegenden durchgeführt werden können, als das heute der Fall ist. Es gibt z. B. sehr gute Erfahrungen mit Psychiatrisch Pflegenden, die Psychotherapie durchführen. Studien zeigen, dass die Effektivität der Intervention im Vergleich zu anderen Berufsgruppen darunter nicht leidet. So arbeitet man z. B. in Finnland mit einer so genannten „Depressionspflegekraft”, welche mit den Patienten effektiv Verhaltenstherapie durchführt. Allerdings ist es wichtig, dass Pflegende dann auch vergleichbare Trainings durchlaufen. Michael Schulz: In Deiner Funktion als Sekretär von HORATIO kommst Du viel rum und beobachtest die Psychiatrische Pflege in allen Mitgliedsländern. Nun hast Du den Dreiländerkongress für Psychiatrische Pflege 2010 in Bielefeld besucht. Was war Dein Eindruck von der Veranstaltung und von der Psychiatrischen Pflege in Deutschland? Roland van de Sande: Verschiedene Aspekte sind mir aufgefallen: zunächst einmal empfand ich beim Kongress eine perfekte Balance zwischen Theorie und Praxis: Es gab Vorträge zu wissenschaftlichen Themen ebenso wie zu Praxisprojekten. Außerdem gab es viele Diskussionen auf hohem Niveau und so bildet der Kongress wunderbar die verschiedenen Ebenen und Aspekte Psychiatrischer Pflege ab. Ich war beeindruckt von der Freundlichkeit und der Fachlichkeit, die ich bei den Psychiatrisch Pflegenden gespürt habe. Außerdem bleibt mir der Dreiländerkongress in Bielefeld als ein Ort in Erinnerung, der zu Experimenten einlädt. Für mich war es ein großes Experiment, einen Vortrag in deutscher Sprache zu halten und das Publikum hat außerordentlich empathisch reagiert. Nach meiner Einschätzung handelt es sich bei dem Dreiländerkongress um die größte Veranstaltung für Psychiatrische Pflege in Europa. Mein Besuch in Deutschland hat mir wieder einmal vor Augen geführt, dass dem restlichen Europa sehr viel verloren geht, wenn aufgrund der Sprachbarriere so viel Psychiatrisches Pflegewissen außerhalb des deutschen Sprachraums nicht wahrgenommen wird. Hier müssen wir in der Zukunft einige Tricks entwickeln, damit wir die Sprachgrenzen besser überwinden können. Gleichwohl denke ich, dass die Psychiatrische Pflege beim Ausbau der gemeindeorientierten Versorgung eine wichtige Rolle spielen kann. Hier sehe ich noch große Entwicklungsmöglichkeiten, z. B. den Aufbau pflegegeleiteter interdisziplinärer Teams zur Versorgung von Patienten und angehörigen im häuslichen Umfeld. Damit machen wir in Holland gute Erfahrung. Michael Schulz: Vielen Dank für das Gespräch!

HORATIO im Netz:

http://www.horatio-web.eu