Der Klinikarzt 2011; 40(1): 10-11
DOI: 10.1055/s-0031-1271917
Medizin & Management

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Emotionale Führung

Der Königsweg für Chefärzte?
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Prof. Dr. rer. pol. Ralph Tunder

EBS Business School

Health Care Management Institute (HCMI)

Hauptstraße 31

65375 Oestrich-Winkel

URL: http://www.ebs-hcmi.de

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Stefan Ruhl

ZeQ AG

Beratung im Gesundheitswesen

Am Oberen Luisenpark 7

68165 Mannheim

Fax: 0621/328850-50

Email: stefan.ruhl@zeq.de

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Publication Date:
24 January 2011 (online)

 
Table of Contents

Führung und Hierarchie sind zwei Begriffe die seit jeher sehr eng miteinander verbunden werden. Auch Führung und Emotion kennt eine Verknüpfung, die allerdings vielerorts einseitig negativ ausgelegt ist, etwa im Sinne von cholerischer Führung. Erst in jüngster Zeit erfährt die emotionale Führung eine Richtungsänderung und damit auch eine zunehmende Instrumentalisierung zur modernen, zeitgemäßen Mitarbeiterführung.

In vielen Branchen weiß man bereits um das besondere Potenzial der emotionalen Führung und der damit verbundenen Unternehmenskultur. Hier liegt neben den monetären und berufsperspektivischen Anreizen bei vielen Unternehmen der Schlüssel zur Mitarbeitergewinnung, -zufriedenheit und -loyalität. Dieser zentralen Botschaft sollten sich die Kliniken nicht entziehen, um in den kommenden Jahren im Wettbewerb um Nachwuchskräfte zu bestehen. Gleichwohl liegt hier aber auch die besondere Herausforderung an den Chefarzt von heute. Von ihm wird eine resonante, emotional intelligente und effektive Unternehmenskultur verlangt. Er soll souverän und motivierend mit Emotionen umgehen und sein Wirken auf eine positive Resonanz ausrichten. Emotionale Führung [1] zeigt hierfür einen neuen Weg.

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Ärzte- und Führungskräftemangel

Eine besondere Herausforderung für Chefärzte in den kommenden 10 Jahren ist die Bewältigung des bereits heute absehbaren massiven Fachkräftemangels. Bis 2020 ist damit zu rechnen, dass rund 56 000 Ärzte im ambulanten und stationären Bereich fehlen, obwohl 80 000 Studierende der Medizin ihr Studium abschließen [2]. Frauen stellen schon heute 40 % der Ärzteschaft und 63 % der Medizinstudenten, Tendenz steigend. Die Zunahme der Krankenhausärzte um 7 % in den letzten 10 Jahren ist allein auf den Beschäftigungsanstieg bei Ärztinnen zurückzuführen. Diese Zunahme hat jedoch nicht zu einer Erhöhung der verfügbaren ärztlichen Arbeitsstunden geführt, was vor dem Hintergrund von Fallzahlsteigerungen und Verweildauerkürzungen in einer deutlich höheren Arbeitsdichte resultierte.

Chefärzten, denen es gelingt, über organisatorische und medizinische Innovationen diese Arbeitsdichte zu reduzieren und dabei ihr ärztliches Personal auf die medizinischen Kerntätigkeiten zu fokussieren, werden die besten Fachexperten anziehen. Wer daneben noch eine Führungskultur schafft, die Mitarbeiter positiv motiviert und auch "weiblichen" Erwerbsbiografien über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausreichend Raum gibt, der erschließt sich künftig das mit Abstand größte Fachkräftepotenzial. Die Mitarbeiter für die anstehenden Veränderungen zu begeistern, heißt als Chef, mutig den ersten Schritt zu gehen.

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Emotionale Führung

Lange Zeit galt der Intelligenzquotient als der Maßstab für Erfolg. Nach neuesten Erkenntnissen ist die emotionale Intelligenz eines Menschen viel ausschlaggebender für sein persönliches und berufliches Weiterkommen. Mit emotionaler Intelligenz werden eine ganze Reihe von Fähigkeiten und Kompetenzen beschrieben, z. B. Mitgefühl, Kommunikationsfähigkeit, Menschlichkeit, Takt, Höflichkeit und auch eine Spur Demut gegenüber den Anderen. Wem es gelingt, mit den eigenen Emotionen und den Gefühlen anderer Personen klug umzugehen, und diese Haltung auch in seinen Führungsstil einfließen lässt, der praktiziert emotionale Führung - oder in Worten von Goethe: "Herzensbildung".

In der aktuellen Führungslehre wird zwischen resonanter und dissonanter Führung unterschieden: Dissonante Führungskräfte vermögen es nicht, Gefühle in einer Gruppe zu entschlüsseln und ihren Mitarbeitern die erforderliche Empathie entgegenzubringen. Das führt nicht selten zu Frustration und Ablehnung bei den Mitarbeitern. Eine resonante Führungskraft hingegen stellt sich auf die Gefühle der Mitarbeiter ein und lenkt sie in eine positive Richtung. Das ist die Grundlage für emotionale Führung.

Der Vorgang der Emotionalisierung, also dass Mitarbeiter ihre Aufgaben mit positiven Gefühlen verbinden, ist kein Ergebnis spontaner, intuitiver Maßnahmen des Chefs. Emotionalisierung braucht großes Vertrauen und Zutrauen innerhalb eines Teams sowie zur Führungsperson. Wer emotional führt, steuert die Gefühle - zunächst seine eigenen und dann die der Menschen in seiner Umgebung. Dies ist ein wichtiger Führungsprozess, der jeden einzelnen Mitarbeiter betrifft und sich positiv auf das gesamte Team auswirkt.

Eine wesentliche Voraussetzung für emotionale Führung ist die Selbstwahrnehmung. Sie beinhaltet die Fähigkeit, eigene Emotionen wahrzunehmen, diese im beruflichen Kontext zu verstehen und sich seiner eigenen Absichten und Gefühle bewusst zu sein. Wer sich über seine Gefühle nicht im Klaren ist, kann sie auch nicht als Energiequellen für sein Handeln nutzen. Stattdessen wird er von seinen Gefühlen gelenkt und oft sogar blockiert. Weniger schwierig ist in der Regel der Umgang mit "positiven" Gefühlen, wie Begeisterung, Leidenschaft und das Genießen von Erfolgen. Oft halten sich Führungskräfte jedoch auch hier an den Ausspruch "Gefühle haben im beruflichen Alltag nichts zu suchen" und geben ihrer Begeisterung oder Freude keinen Ausdruck. Damit wird viel Potenzial zur Motivation der Mitarbeiter verschenkt.

Problematisch wird es, wenn wir durch Gefühle wie Wut, Angst, Frustration, Ärger und Panik kontrolliert werden. Auch diese Gefühle stellen, wenn wir sie bewusst wahrnehmen und steuernd damit umgehen, eine große Energiequelle dar. Wut und Ärger verdeutlichen, "hier muss etwas geschehen" und geben Impulse für Veränderungen. Angst macht deutlich, "hier stimmt etwas nicht" und mahnt zur genaueren Betrachtung der Situation. Wichtig ist jedoch der steuernde Umgang mit diesen Gefühle. Mal "ordentlich auf den Tisch zu hauen" mag im ersten Moment Befreiung verschaffen. Doch dabei wird meistens das Problem, über das man sich geärgert hat, vergessen und der Impuls zur Veränderung bleibt aus. Wie sagte es in diesem Zusammenhang Willy Brandt so treffend: "Es hat niemanden beeindruckt, nicht einmal den Tisch".

Führungskräfte, die auch unter großem Veränderungsdruck eine positive Ausstrahlung bewahren können, indem sie mit ihren Emotionen verlässlich umgehen, schaffen eine Atmosphäre von Vertrauen, Sicherheit und Fairness. Zugleich können sie Missstände und Ärgernisse konstruktiv thematisieren und damit Veränderungsimpulse unterstützen. Das überträgt sich auch auf die Mitarbeiter. Keiner möchte auf Dauer als Miesepeter oder Choleriker auffallen, wenn der Chef stets ausgeglichen handelt und die Ruhe bewahrt.

Emotionalisierung ist auch eine Kunst der leisen Töne. Das Selbstvertrauen des Mitarbeiters kann in Einzelgesprächen individuell bestärkt werden, in denen ihm ruhig und sachlich beschrieben wird, worin seine besonderen Stärken bestehen, wie entscheidend er als Persönlichkeit für den Erfolg des interprofessionellen Teams ist.

Emotionale Führung basiert auf persönlichen und sozialen Kompetenzen. Zu den persönlichen Kompetenzen zählen Selbstwahrnehmung und Selbstmanagement; die sozialen Kompetenzen setzen sich aus sozialem Bewusstsein und Beziehungsmanagement zusammen (Abb. [1]). Die Verbindung dieser 4 Dimensionen erfordert ein hohes Maß eigener persönlicher Integrität, denn emotionale Führung ist vermutlich von allen Führungsvarianten die komplexeste und vielschichtigste. Die Führungskraft eignet sich ein aufwendiges Beobachtungssystem an, um die Stimmungen innerhalb des Teams aber auch die emotionale Ausgangslage eines jeden Mitarbeiters zu vergegenwärtigen. Gleichzeitig kann sie glaubwürdige Emotionen nur dann wecken, wenn sie eigene Gefühle in das System einspeist, Glück und Trauer nicht hinter einer Mauer vermeintlicher Autorität versteckt - und doch dabei nie vergisst, dass sie diejenige Führungsperson ist, die führen, die aufbauen, abfedern und lenken muss.

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Abb. 1 Konzeptionelles Modell der emotionalen Intelligenz (in Anlehnung an [4] ).

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Auswirkungen auf die Patientenversorgung

Im Bereich der pflegerischen und ärztlichen Patientenversorgung spielt die Übertragung von Stimmung - wahrscheinlich in vielen Fachabteilungen von Kliniken unterschätzt - eine wichtige Rolle. Die direkte Arbeit am Patienten gehört sicherlich zu den anspruchsvollsten Dienstleistungen in der Kundenbetreuung. Ärzte sind oft mit heftigen Emotionen von Patienten oder deren Angehörigen konfrontiert, übertragen ihre Stimmung aber auch auf diese. Schlecht gelaunte Mitarbeiter sind dabei wenig hilfreich. Schlechte Laune ist ansteckend, was dazu führt, dass die Patienten unzufrieden werden - unabhängig von der Qualität der medizinischen Leistung. Es ist auch anzunehmen, dass übellaunige Mitarbeiter mit Patienten und Kollegen schlechter umgehen, was unter Umständen verheerende Folgen haben kann: Untersuchungen ergaben, dass kardiologische Stationen, auf denen die allgemeine Stimmung der Krankenschwestern als "depressiv" bezeichnet wurde, eine 4-mal höhere Todesrate als vergleichbare Stationen mit einer besseren Stimmungslage verzeichneten [3].

Das zeigt, wie wichtig ein positives Arbeitsumfeld in der Patientenversorgung ist. In einem entspannten Umfeld können Ärzte auf alle Ressourcen uneingeschränkt zugreifen. Sie können ihre empathischen Fähigkeiten entfalten, d. h. sich in die Gefühle und Sichtweisen von Kollegen, Pflegekräften und Patienten hinein versetzen und angemessen darauf reagieren. Wenn Patienten und Angehörige die Kommunikation mit dem Fachpersonal als wohltuend und angenehm in einer schwierigen Lebenssituation empfinden, nehmen sie die Abteilung als einen sicheren Ort, der Lebensqualität gibt, wahr. Patienten kommen dann bei medizinischer Notwendigkeit nicht nur wieder, sondern empfehlen das Ärzteteam überregional weiter.

Die Empathie und Kommunikationsfähigkeit des Chefarztes im Sinne der emotionalen Führung haben eine Vorbildfunktion für alle ärztlichen Mitarbeiter. Wenn Chefärzte selbst motiviert, zuversichtlich und optimistisch sind, überträgt sich diese Stimmung auch auf die Belegschaft. Die Erkenntnis, dass motivierte Mitarbeiter höhere Leistungen erbringen, ist nicht neu und auch vielen Führungskräften - zumindest theoretisch - klar. Neben dem offensichtlichen Zusammenhang zwischen Klima, Arbeitsbedingungen und Gehalt spielen resonante Chef- und Oberärzte eine Schlüsselrolle. Die anspruchsvollste Führungsaufgabe besteht darin, positive Gefühle bei den Ärzten und Pflegekräften zu wecken und Resonanz zu erzeugen. Diese oft unsichtbare oder weniger entwickelte Seite von Führung wirkt sich auf den gesamten Bereich der Führungsbeziehung und damit auf die Leistung des Mitarbeiters, des Teams und der gesamten Abteilung aus. Abgesehen davon, dass das so geschaffene Arbeitsklima zur besseren Mitarbeitergewinnung und -bindung beiträgt, hat es auch positive Auswirkungen auf die Patientenversorgung.

Emotionale Führung bereitet somit den Weg zu einem erfolgreichen Umgang mit Mitarbeitern und Patienten. Sie führt aber auch dazu, dass sich die faktisch-normative Hierarchie zu einem wertschätzenden und wertstiftenden Miteinander wandelt. Hierarchie wird dann nicht mehr als ein trennscharfes "Oben und Unten" gesehen, sondern als ein partnerschaftliches Passspiel zwischen Chef und Mitarbeiter.

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Literatur

  • 01 Goleman D, Boyazis R, McKee A. Emotionale Führung. München: Econ Verlag; 2002
  • 02 Kopetsch T. Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus! Studie zur Arztstruktur- und Arztzahlentwicklung. Berlin: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung; 2010
  • 03 Schneider B, Bowen D E. Schlechte Stimmung führt zu schlechter Kundenbetreuung, Winning the Service Game. Boston: HBSP; 1995
  • 04 Chopra P K, Kanji G K. Emotional intelligence: A catalyst for inspirational leadership and management excellence.  Total Quality Management. 2010;  21 979
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Literatur

  • 01 Goleman D, Boyazis R, McKee A. Emotionale Führung. München: Econ Verlag; 2002
  • 02 Kopetsch T. Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus! Studie zur Arztstruktur- und Arztzahlentwicklung. Berlin: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung; 2010
  • 03 Schneider B, Bowen D E. Schlechte Stimmung führt zu schlechter Kundenbetreuung, Winning the Service Game. Boston: HBSP; 1995
  • 04 Chopra P K, Kanji G K. Emotional intelligence: A catalyst for inspirational leadership and management excellence.  Total Quality Management. 2010;  21 979
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Abb. 1 Konzeptionelles Modell der emotionalen Intelligenz (in Anlehnung an [4] ).

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