Der Klinikarzt 2011; 40(04): 172-173
DOI: 10.1055/s-0031-1279928
Medizin & Management
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Versorgung von Patienten mit seltenen Leiden

EU-weite Kooperation erforderlich
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Korrespondenz

Petra Spielberg
Fachjournalistin für Gesundheits- und Sozialpolitik
Köln/Brüssel
Christian-Gau-Straße 24
50933 Köln
Fax: 0221/97763151

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
16. Mai 2011 (online)

 
 

Die Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen ist in Deutschland wie auch andernorts in Europa häufig unzureichend. Aufgrund der geringen Patientenzahlen bei den einzelnen Krankheitsbildern fehlt es an Experten und spezialisierten Einrichtungen. Die EU erhofft sich von einer stärkeren elektronischen Vernetzung und einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen Spezialisten einen besseren Zugang der Patienten zu den Versorgungsmöglichkeiten. Viel hängt davon ab, inwieweit sich die EU-Staaten und die Ärzte auf diesem Gebiet engagieren.

In Deutschland leben rund 4 Millionen Menschen mit einer seltenen Erkrankung. Europaweit sind es schätzungsweise 27-36 Millionen. Genauer lässt sich ihre Zahl nicht beziffern, da bislang nicht alle seltenen Erkrankungen medizinisch erforscht und erfasst sind. Der europäischen Datenbank Orphanet zufolge sind von den derzeit rund 7000 bekannten seltenen Leiden bislang lediglich 250 nach ICD-10 codiert.

Seltene Krankheiten stellen ein ernstes Problem dar

Obwohl Krankheitsanzeichen schon bei der Geburt oder während der Kindheit erkennbar sein können, treten über die Hälfte der zumeist genetisch bedingten seltenen Krankheiten erst im Erwachsenenalter auf. Sie sind häufig lebensbedrohlich oder führen zu chronischer Invalidität. Für die meisten dieser Krankheiten gibt es überdies in der Regel keine wirksamen Behandlungsmöglichkeiten. Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung sowie eine angemessene Pflege können erfahrungsgemäß jedoch dazu beitragen, die Lebensqualität und Lebenserwartung der Patienten zu verbessern.


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Mitunter jahrelange Odyssee von Arzt zu Arzt

Da die Patientenzahlen bei den einzelnen Leiden in der Regel klein sind - als selten gilt eine Erkrankung, wenn weniger als einer von 2000 Menschen an ihr leidet -, mangelt es in Deutschland, aber auch in den meisten anderen europäischen Ländern, an Spezialisten beziehungsweise spezialisierten Einrichtungen für die Versorgung der Betroffenen. Die Folge ist eine mitunter jahrelange Odyssee von Arzt zu Arzt, bis die richtige Diagnose gestellt wird.

"Vielen Ärzten fehlt das Bewusstsein, dass der Patient an einer seltenen Erkrankung leiden könnte", so Dr. med. Christine Mundlos von der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE), einem deutschen Netzwerk von Patientenorganisationen. Bei rund 40 % der Betroffenen werde mindestens eine Falschdiagnose gestellt, bis feststeht, woran sie tatsächlich leiden. Im Schnitt dauert es 7 Jahre bis zur korrekten Diagnose. "Das ist für die Patienten sehr frustrierend", so Mundlos.

"Damit die betroffenen Menschen eine gute Versorgung erhalten, muss sich im deutschen Gesundheitssystem einiges ändern", ergänzt Mirjam Mann, Geschäftsführerin der ACHSE.


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EU fördert Initiativen zur Erforschung seltener Leiden

Auch die EU hat inzwischen erkannt, dass seltene Krankheiten für die öffentliche Gesundheit ein ernstes Problem darstellen. Initiativen zur Erforschung seltener Leiden sowie Aktionen und Projekte, die zu einer besseren Versorgung der Betroffenen beitragen können, genießen daher bei den Förderprogrammen der EU einen hohen Stellenwert.

So soll eine bereits vor 11 Jahren in Kraft getretene EU-Verordnung dafür sorgen, dass die Pharmaindustrie die Entwicklung von Arzneimitteln für seltene Krankheiten, sogenannte Orphan Drugs, voranbringt. Darüber hinaus fördert die Union Forschungs- und Entwicklungsprojekte in diesem Bereich, wie das EU-Expertennetzwerk zu Mukoviszidose unter Federführung des Frankfurter Uni-klinikums (ECORN-CF).

Im Rahmen des Netzwerks, das im Oktober 2007 an den Start ging, tauschen europäische Experten auf einer qualitätsgesicherten Grundlage Informationen über die Krankheit sowie deren Diagnose- und Therapieoptionen aus. "Indem sie auf diese Weise ihr Wissen auf die Reise schicken, kann dem Patienten der Besuch eines Zentrums im Ausland erspart bleiben", so Prof. Dr. Thomas Wagner, Leiter der Abteilung für Pneumologie, Allergologie und Mukoviszidose an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Fran kfurt.


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Zusammenarbeit über europäische Referenznetze

ECORN-CF könnte zum Vorbild für eine engere EU-weite Zusammenarbeit zwischen Spezialisten für seltene Erkrankungen allgemein werden. Denn eine neue EU-Richtlinie sieht vor, den freiwilligen Zusammenschluss von nationalen Fachzentren zu sogenannten europäischen Referenznetzen zu fördern. Das Fachwissen über die einzelnen Erkrankungen soll mithilfe elektronischer Tools zwischen Fach- und Hausärzten sowie spezialisierten Einrichtungen in der gesamten EU verbreitet werden.

Im Juni letzten Jahres hat der Rat der 27 EU-Gesundheitsminister in einer Empfehlung zudem dazu aufgerufen, nationale Aktionspläne für eine bedarfsgerechte Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen zu verabschieden. Vorbild ist Frankreich, das bereits 2005 eine entsprechende Strategie verabschiedet hat. Das Modell hat inzwischen in einigen EU-Staaten Nachahmer gefunden, darunter in Deutschland.

Im März letzten Jahres hat das Bundesgesundheitsministerium das "Nationale Aktionsbündnis für seltene Erkrankungen" (NAMSE) ins Leben gerufen. "Das Bündnis soll ausgehend von bereits bestehenden Strukturen und anhand europäischer Erfahrungen Vorschläge für einen nationalen Aktionsplan für seltene Erkrankungen erarbeiten", betonte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler anlässlich des Startschusses.


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Europäische Initiative hilft bei Umsetzung von Aktionsplänen

Eine europäische Initiative, kurz Europlan, soll bei der Umsetzung der nationalen Aktionspläne helfen. Europlan verfolgt das Ziel, die besten einzelstaatlichen Ansätze zum erforderlichen institutionellen Rahmen, zur medizinischen Versorgung der Patienten sowie zur Qualitätskontrolle und zur Unterstützung von Selbsthilfegruppen zu finden und zu verbreiten.

Die Bemühungen weisen nach Ansicht von Mann in die richtige Richtung. "Wichtig ist eine systematische Herangehensweise an das Thema und eine Vernetzung aller Beteiligten." Nur so sei es möglich, auch im föderalen deutschen Gesundheitssystem eine bedarfsgerechte Versorgung für Patienten mit seltenen Krankheiten anzubieten.


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