Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0031-1280148
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Ärztemangel: Wird die Notfallmedizin selbst zum Notfall?
Publication History
Publication Date:
02 September 2011 (online)
Mit einem ähnlichen Ausspruch warnte bereits 2007 die Ärztekammer Westfalen-Lippe vor einer zunehmenden Verknappung der ärztlichen bzw. notärztlichen Ressourcen. Einerseits bedingt durch den allerorts spürbaren Ärztemangel, aber auch durch die im Vergleich zur Fachkunde Rettungsdienst gestiegenen Voraussetzungen für die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin, ist die Anzahl der aktiv tätigen Ärzte in der präklinischen Notfallmedizin in Deutschland rückläufig. Dementgegen steht eine kontinuierlich steigende Inanspruchnahme notärztlicher Leistungen: Die Zahl älterer und damit kranker Menschen nimmt ebenso wie die Anspruchshaltung im Allgemeinen zu – die zugehörigen Versorgungsstrukturen wachsen jedoch nicht in gleichem Maße. Der Hausarzt, der rund um die Uhr für seine Patienten erreichbar ist, wird immer seltener. Erschwerend kommen häufig unzeitgemäße Kommunikationssysteme hinzu, die eine sinnvolle Verteilung der Ressourcen behindern.
Luiz und Dörges geben in ihrem Beitrag eine Übersicht über die logistischen Herausforderungen, die sich im Notarztdienst zunehmend ergeben und gehen der Frage nach, wie sich die vorhandenen materiellen und strukturellen Voraussetzungen durch eine geeignete, sinnvolle Verzahnung optimal einsetzen lassen. Insbesondere für entlegene ländliche Bereiche, in denen nicht zu jeder Tageszeit ärztliche Backup-Strukturen vorhanden sind, könnte dabei der 24-h-Einsatz von Luftrettungsmitteln eine erweiterte Rolle spielen. Dem Aspekt der sinnvollen Verteilung knapper Ressourcen widmen sich auch Kaschwich und Seekamp in ihrem Beitrag über Triage-Systeme in der Notaufnahme. Die zunehmende Einführung zentraler Notaufnahmen in Deutschland bietet sowohl dem Patienten selber als auch den Rettungsdiensten eine vereinfachte, zentrale Anlaufstelle mit primär interdisziplinärer Versorgung. Große Herausforderung der einzelnen Notaufnahmen ist es jedoch, den vital bedrohten Patienten innerhalb des gesamten Patientenkollektivs zu identifizieren und schnellstmöglich einer suffizienten Therapie zuzuführen. Je nach Patientenandrang und personellen Ressourcen können dabei Triage-Systeme essenziell sein. Dabei stellen die Autoren aber auch eindrucksvoll dar, dass die etablierten Triage-Systeme nicht kritiklos einsetzbar sind: So variiert die Dringlichkeit der Versorgung desselben Patienten – je nach eingesetztem Triage-System – zwischen „unmittelbarer Versorgung“ und „Versorgung innerhalb von 30 Minuten“.
Logistische Herausforderungen ergeben sich ebenso bei der Rettung von Patienten aus großer Höhe. Dass dies auch außerhalb gebirgsreicher Regionen zunehmend relevant ist, zeigen Hossfeld et al. in dem Beitrag über den Einsatz der Höhenrettung. Als Beispiel sei dafür die Ausweitung der Windenergie mit Errichtung großer Windkraftanlagen (Plattformhöhe ca. 140 m) genannt. Höhenrettung ist Teamarbeit, entsprechend sind bei Einsatz einer Höhenrettungsgruppe alle Mitglieder des Rettungsteams gefordert. Welche Ausbildung und welches Material dabei hilfreich sein können, wird anhand von Kasuistiken abseits der Routine dargestellt.
Ebenfalls relativ selten, so gehören Verbrühungen und Verbrennungen neben Unfällen im Straßenverkehr oder durch Ertrinken dennoch zu den häufigsten Unfallursachen im Kindesalter. Hennenberger beschreibt die aktuell gültigen Konzepte zur Versorgung des thermisch verletzten Kindes. Erschreckend ist der nach wie vor hohe Anteil an kleinen Patienten, die ohne suffiziente analgetische Versorgung zur Klinikaufnahme kommen. Selbst wenn die Anlage eines peripher-venösen Zugangs in dieser Altersklasse dem weniger Geübten Probleme bereitet, sollte dies in Zeiten von einfach zu handhabenden intraossären Zugangssystemen (z. B. EZ‐IO) oder nasalen Applikationssystemen („Mucosal Atomization Device“, MAD Nasal) der Vergangenheit angehören. Neben der Analgesie nimmt die Flüssigkeitssubstitution einen großen Stellenwert in der präklinischen Therapie ein. Inwieweit neben balancierten Vollelektrolytlösungen auch kolloidale HES‐Lösungen einen Stellenwert in der Versorgung thermisch verletzter Kinder haben, ist aufgrund fehlender evidenzbasierter Daten derzeit (wieder) Gegenstand der Diskussion. Eine weitere schwerwiegende Komplikation des Verbrennungsunfalls ist das Inhalationstrauma. Jerrentrup und Kill setzen sich in ihrem Beitrag mit den Mechanismen und therapeutischen Optionen des Inhalationstraumas beim erwachsenen Patienten auseinander. Neueren Erkenntnissen nach ist bei einem Inhalationstrauma zusätzlich zur thermischen Schädigung immer von einer Mischintoxikation aus Zyanid-bildenden Gasen und Kohlenmonoxid (CO) auszugehen. CO lässt sich heutzutage einfach und zuverlässig pulsoxymetrisch messen, entsprechende Geräte gehören aber (noch) nicht zur DIN‐Ausstattung der notarztbesetzten Rettungsmittel. Dennoch sollte bei symptomatischen Patienten die früher gebräuchliche Gabe des Methämoglobinbildners 4-DMAP verlassen werden. Ob alternativ die Gabe von Hydroxycobalamin als Cyanokit eine gute Alternative darstellt, müssen Studien abschließend klären. Kein alleiniges Gegenargument sollten allerdings die Vorhaltungskosten von Hydroxycobalamin (Cyanokit, ca. 800 Euro) sein, die denen der etablierten Lysepräparate vergleichbar und aufgrund der medizinischen Notwendigkeit einer frühestmöglichen Applikation vernachlässigbar wären. Ebenfalls (noch) nicht Teil der DIN‐Ausstattung notarztbesetzter Rettungsmittel ist das Videolaryngoskop, welches allerdings gerade bei thermischer Schädigung mit Schwellungen der Atemwege ausgesprochen hilfreich sein kann und zusätzlich die Möglichkeit zur Dokumentation weiterer Befunde (z. B. Verrußung) ermöglicht.
Dr. med. Erol Cavus, Prof. Dr. med. Volker Dörges, Kiel
Dr. med. Erol Cavus, Kiel
Prof. Dr. med. Volker Dörges, Kiel