Der Klinikarzt 2011; 40(05): 226-228
DOI: 10.1055/s-0031-1280707
Medizin & Management
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Auf dem Weg zur lernenden Organisation

Changemanagement am Universitätsklinikum Ulm
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 May 2011 (online)

 
 

Das Management von Veränderungen ist zur zentralen Herausforderung für Führungskräfte geworden, die Veränderung selbst Überlebensstrategie. Die Dynamik des Wandels hat auch deutsche Kliniken erreicht. Neben der ständigen Anpassung an den medizinischen Fortschritt rücken immer stärker Fragestellungen der Organisationsentwicklung und Veränderungsfähigkeit in den Vordergrund, um den sich wandelnden Marktmechanismen gerecht werden zu können. Die z.T. dramatischen Umwälzungen im Gesundheitswesen erfordern ein Umdenken der Kliniken.

Die Einführung von Fallpauschalen, die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung sowie der Rückgang der Investitionsfinanzierung durch die Länder stehen u.a. für Veränderungsprozesse, die ein Umdenken in Kliniken erfordern. In der Konsequenz bedeuten Veränderungsprozesse vor allem mehr Wettbewerb um stationäre und ambulante Patienten und die Notwendigkeit einer Steigerung der Wirtschaftlichkeit bei gleichzeitig hohen Qualitätsstandards.

Strukturen einer "lernenden Organisation"

Das, was schon seit Jahrhunderten fester Bestandteil des Arbeitsalltags ist, nämlich das kontinuierliche Lernen und Weiterentwickeln der medizinischen Fachinhalte, muss nun in der Organisationsstruktur verankert werden: Krankenhäuser müssen sich auf den Weg machen, Strukturen einer "lernenden Organisation" zu entwickeln und zu integrieren. Vision, Steuerungssysteme und die Kultur lernender Organisationen schaffen Rahmen und Anreize für Veränderungen. Der Wandel ist in einer lernenden Organisation nichts Außergewöhnliches und keine Bedrohung, sondern fester Bestandteil des Tagesgeschäftes. Doch gerade die Weiterentwicklung der Veränderungskompetenz und Etablierung notwendiger Strukturen geht in Unternehmen angesichts des Veränderungsdrucks, der Ad hoc-Entscheidungen und der vielen daraus resultierenden Projekte oft unter. Und so sollten sich Kliniken Zeit nehmen, ihre eigene Veränderungskompetenz auf den Prüfstand zu stellen und zu bewerten.

Lernende Organisationen zeichnen sich durch ein hohes Veränderungsvermögen aus. Dieses Vermögen umfasst erstens die Fähigkeit zur Diagnose nach außen, also insbesondere Einschätzung aktueller Marktmechanismen und -trends, Wettbewerber, Kunden oder Markthemmnisse, aber auch nach innen in Bezug auf Strategie, Strukturen, Prozesse, Kernkompetenzen oder Innovationspotenzial. Zweitens umfasst es die Fähigkeit, bewerten zu können, wo Kontinuität und Stabilität wichtig sind, wo langsames Wachstum in Form von evolutionärer Weiterentwicklung sinnvoll ist und wo radikale Veränderungen notwendig sind. Letztlich tragend ist die Veränderungskompetenz der Führungskräfte, ihre persönliche, inhaltliche und soziale Kompetenz, Veränderungen zu gestalten und eine veränderungsfreundliche Kultur zu schaffen [1].


#

Potenzial des Dialogs und des gemeinsamen Denkens

Peter Senge, dessen Standardwerk zur lernenden Organisation "Die fünfte Disziplin" [2] diejenigen 5 Disziplinen beschreibt, die lernende Organisationen auszeichnen, zählt zu einer dieser Disziplinen das Team-Lernen. Er beschreibt hierbei, dass die Intelligenz des Teams die Intelligenz des Einzelnen bei weitem überschreitet und Teams außergewöhnliche Fähigkeiten zum koordinierten Handeln entwickeln. Seiner Auffassung nach beginnt die Disziplin des Team-Lernens mit dem "Dialog", mit der Fähigkeit der Teammitglieder, eigene Annahmen aufzuheben und sich auf ein echtes gemeinsames Denken einzulassen. Dazu gehört auch, dass ein Team bestimmte Interaktionsstrukturen erkennt und z.B. gegenseitige Abgrenzungs- oder Abwehrmechanismen abbaut, sodass die vielseitigen Perspektiven und die unterschiedlichen Expertisen erfolgreich eingebracht werden können.

Gerade im Krankenhaus führen Vorbehalte, alte Rollenbilder und Vorurteile der Berufsgruppen untereinander, aber auch der einzelnen Fachdisziplinen dazu, dass unterschiedliche Perspektiven und auch berufsgruppenspezifische Stärken nicht als Ergänzung und Bereicherung des Gesamtbildes gesehen werden, sondern zu Abgrenzung oder Konflikten führen. Damit wird ein großes Potenzial an Innovations- und Veränderungskraft nicht genutzt.


#

Strukturierter Veränderungsprozess am Universitätsklinikum Ulm

Das Universitätsklinikum Ulm hat sich mit der Fragestellung der eigenen Veränderungsfähigkeit sowie Nutzung der unternehmenseigenen Expertise auseinandergesetzt und darauf aufbauend einen strukturierten Veränderungsprozess ini-tiiert. Verantwortlich für die Konzeption der initialen "Changearchitektur" war die Stabsstelle Struktur- und Organisationsentwicklung. Um berufsgruppenbezogene Betrachtungsweisen zu überwinden und den Dialog zu stärken, wurden von Beginn an Mitarbeiter verschiedener Abteilungen, Hierarchieebenen und Berufsgruppen in den Veränderungsprozess einbezogen.


#

Mitarbeiter aktiv in verantwortlicher Rolle eingebunden

Zielsetzung des Veränderungsmanagements war es zudem, die Mitarbeiter in einer aktiven und verantwortlichen Rolle im Veränderungsprozess einzubinden sowie eine schrittweise Übertragung der Verantwortung für den Gesamtprozess in das Unternehmen hinein zu erreichen (Abb. [1]). Darüber hinaus sollte am Universitätsklinikum vereintes Wissen, Expertise und die Kreativität im Sinne einer lernenden Organisation zur Entwicklung von Zukunftsoptionen genutzt und eine stärkere Identifikation der Mitarbeiter mit den Zielen des Klinikums erreicht werden.

Zoom Image
Abb. 1 Basisarchitektur der Veränderung am Universitätsklinikum Ulm.

Die Architektur des von der Stabsstelle Struktur- und Organisationsentwicklung konzipierten Changemanagement-Prozesses gliederte sich in die 3 Teilprozesse Zukunftswerkstatt, Resonanzveranstaltung und Entscheidungsphase (Abb. [2]). Kern des gesamten Veränderungsmanagements waren die Mitglieder einer Entwicklergruppe. Darüber hinaus maßgeblich beteiligt waren die obere Führungsebene (Klinik- und Institutsleiter, Pflegedienstleitungen) sowie der Klinikums- und Fakultätsvorstand. Die Entwicklergruppe setzte sich aus ca. 15 Vertretern verschiedener Berufsgruppen und Hierarchieebenen zusammen. Persönliche Voraussetzung für die Berufung in die Entwicklergruppe durch den Vorsitzenden des Klinikumsvorstands war die Fähigkeit zum selbstständigen, kreativen Denken.

Zoom Image
Abb. 2 Struktur des Changemanagement-Prozesses am Universitätsklinikum Ulm.

#

Teilprozess 1: Zukunftswerkstatt

Die Entwicklergruppe wurde zu einer dreitägigen Zukunftswerkstatt (Abb. [3]) eingeladen. Mitglieder des Klinikumsvorstands waren lediglich bei der Auftaktveranstaltung zur Zukunftswerkstatt vertreten und im Rahmen eines Kaminabends, jedoch nicht in der eigentlichen Arbeitsphase.

Zoom Image
Abb. 3 Strategieetappe: Zukunftswerkstatt und Resonanzveranstaltung.

Zunächst wurde das Universitätsklinikum in Arbeitsgruppen, die im Wesentlichen aus den Angehörigen einer Berufsgruppe zusammengestellt waren, beleuchtet und damit die "Familienexpertise" eingebracht. Ziel war die Diskussion der aktuellen Problemlagen und des sich daraus ergebenden Entwicklungsbedarfs, die Herausforderungen, die Chancen und Risiken sowie Stärken und Schwächen des Universitätsklinikums. Es fand somit eine Diagnose der externen Marktfaktoren sowie der internen Potenziale statt. Arbeitsauftrag war die Formulierung 5 zentraler Trends in jeder Arbeitsgruppe. Ergebnis dieser Diskussionsphase aus der Familienperspektive waren – wie zu erwarten – sehr unterschiedliche Bilder des Universitätsklinikums.

Um diese in ein stimmiges Gesamtbild einzubinden, wurden in einer zweiten Arbeitssequenz die berufsgruppenbezogene Perspektive aufgelöst und gemischte, interdisziplinäre Arbeitsgruppen zusammengestellt. Aufgabe dieser Arbeitsgruppen war es, unter Nutzung der vorher ausgearbeiteten Trends unterschiedliche, an zentralen Prozessen (beispielsweise von der Patientenaufnahme bis zur Rechnungsstellung) orientierte Szenarien zu entwickeln.

Nach der Familienexpertise war nun die "Organisationsexpertise" der einzelnen Mitglieder gefragt. Die entstandenen, unterschiedlichen Szenarien wurden einer "Rüttelstrecke" unterworfen, bei der die "Außenexpertise", also die Erwartungen des Patienten oder des zuweisenden Arztes, im Rollenspiel eingebracht wurde.

In der vierten Arbeitssequenz wurden in den Arbeitsgruppen strategische Optionen, Pläne und Konzepte entwickelt (Leadershipexpertise). Die Leitfrage war:

  • Welchen Weg wollen wir gehen?

Die einzelnen Fragen waren:

  • Wo gibt es aus heutiger Sicht Veränderungsbedarf?

  • Wie muss der Weg der Veränderung aussehen?

  • Wer entscheidet mit wem, wann, was?

  • Wie sehen die konkreten nächsten Schritte aus?

Die in den Arbeitsgruppen erstellten Zukunftsbilder eines Universitätsklinikums 2020 als Antwort auf die sich ändernden Rahmenbedingungen wurden von den Gruppen als Text zusammengestellt und in den späteren Veranstaltungen von einem Mitglied der Gruppe vertreten. Bemerkenswert an den Ergebnissen war das hohe Maß an Kreativität und das Aufbrechen gewachsener und früher heftig verteidigter Strukturen. Beispiele der neuen Zukunftsbilder waren:

  • Neue duale Führungsmodelle mit ärztlicher und administrativer Leitung einer Einrichtung.

  • Verlagerung der Zuständigkeiten von Geräten und Ausstattung in Allmende-Strukturen.

  • Aufwertung der Ambulanz als Portalambulanz, gestaffelt in eine eher allgemeinärztlich ausgerichtete Ambulanz und nachgeschalteten Spezialambulanzen.

  • Aufbau neuer Versorgungsstrukturen mit Integration der gesamten Versorgungskette von der Primärprävention über die ambulante und stationäre Behandlung bis zur stationären und ambulanten Rehabilitation.

  • Aufbau umfassender Konzepte zur Gewinnung qualifizierter Mitarbeiter.


#

Teilprozess 2: Resonanzveranstaltung

Die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt wurden anschließend in eine Resonanzveranstaltung eingebracht. Beteiligt an dieser Resonanzveranstaltung waren im Wesentlichen die Ärztlichen Direktorinnen und Direktoren der Kliniken und Institute, Pflegedienstleitungen sowie die Bereichsleiter der Verwaltung. In der Resonanzveranstaltung wurden "No-Go-Areas", also Bereiche der Stabilität und Kontinuität, ebenso definiert wie Prioritäten des Handelns.


#

Teilprozess 3: Entscheidungsphase

Im letzten Abschnitt dieser Strategieentwicklung wurden die Konzepte den Vorständen von Klinikum und Fakultät, dem Aufsichtsratsvorsitzenden des Universitätsklinikums und dem Präsidenten der Universität vorgestellt und in die interne Strategiesitzung eingebracht. Daraus wurden strategische Maßnahmen und Veränderungsprojekte abgeleitet, Aktionen zur Information der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschlossen und – den Schwung nutzend – Projekte und Maßnahmen umgesetzt.


#

Ableitung strategischer Maßnahmen

Ein Beispiel einer solchen strategischen Maßnahme war die Etablierung des Programms zur Führungskräfteentwicklung (FKE). 16 Teilnehmer aus der Verwaltung (Abteilungsleiter), der Pflege (Pflegedienstleitungen) und des Ärztlichen Dienstes (Oberärzte) konnten sich über einen Zeitraum von 22 Monaten an 11 Seminarwochenenden zu sehr unterschiedlichen Führungsthemen weiterqualifizieren. Es waren Seminare zum Projekt- und Konfliktmanagement ebenso eingeplant, wie zu Changemanagement und Mitarbeiter-Coaching.

Auch hier war der klinikübergreifende und interdisziplinäre Ansatz sehr gewinnbringend für die Mitarbeiter und ihre tägliche Arbeit. Die Teilnehmer nutzten die Chance, sich innerhalb weniger Monate intensiv zu vernetzen. Tägliche Probleme wurden zunehmend "auf dem kleinen Dienstweg" unbürokratisch, aber sachlich angegangen. Die gemeinsame Projektarbeit schaffte Vertrauen und stärkte die interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Die Dynamik, die durch Einführung eines solch strukturierten Veränderungsprozesses entsteht, lässt sich eindrucksvoll am Beispiel der Planung für Umzug und Inbetriebnahme des Chirurgie-Neubaus aufzeigen. Dieses zurzeit laufende Großprojekt ist nicht ohne externe Expertise zu bewältigen. Die Etablierung des sogenannten Kernprojekt-Teams mit 5 Klinikmitarbeitern aus verschiedenen Bereichen (Verwaltung, Pflege- und Ärztlicher Dienst) und 2 externen Beratern kombiniert vorhandene Kompetenzen mit externem Sachverstand für eine nicht alltägliche Aufgabe. Von den klinikeigenen Mitarbeitern waren 4 zugleich Teilnehmer am Programm zur Führungskräfteentwicklung.

Die Dynamik, die durch Einführung eines solch strukturierten Veränderungsprozesses entsteht, lässt sich eindrucksvoll am Beispiel der Planung für Umzug und Inbetriebnahme des Chirurgie-Neubaus aufzeigen.

Dieses zurzeit laufende Großprojekt ist nicht ohne externe Expertise zu bewältigen. Die Etablierung des sogenannten Kernprojekt-Teams mit 5 Klinikmitarbeitern aus verschiedenen Bereichen (Verwaltung, Pflege- und Ärztlicher Dienst) und 2 externen Beratern kombiniert vorhandene Kompetenzen mit externem Sachverstand für eine nicht alltägliche Aufgabe. Von den klinikeigenen Mitarbeitern waren 4 zugleich Teilnehmer am Programm zur Führungskräfteentwicklung.


#

Veränderungsprozess mit hoher Dynamik

In der Rückschau ist festzustellen, dass mit der Zukunftswerkstatt ein Veränderungsprozess mit hoher Dynamik in das Universitätsklinikum eingebracht wurde, dass tradierte "Feindbilder" aufgelöst wurden und neue Formen der berufs- und abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit gefunden wurden. Die Notwendigkeit von Veränderungsprozessen und das Hinterfragen von bisherigen Strukturen sind in das Unternehmen eingedrungen. Der Veränderungsprozess zeigt ein hohes Maß an Nachhaltigkeit und erleichtert das Konsensverfahren.


#

Korrespondenz

Zoom Image

Stefan Ruhl
ZeQ AG
Eastsite II
Harrlachweg 1
68163 Mannheim
Tel.: 0621/328850-0
Fax: 0621/328850-50
stefan.ruhl@zeq.de

Zoom Image

Prof. Dr. med. Reinhard Marre
Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Ulm
Albert-Einstein-Allee 29
89081 Ulm
Tel.: 0731/500-43001
Fax: 0731/500-43002
vorstand.vorsitzender@uniklinik-ulm.de

Zoom Image

Dr. Michael Ruoff
Inbetriebnahmeteam Neubau Chirurgie
Universitätsklinikum Ulm
Albert-Einstein-Allee 29
89081 Ulm
Tel.: 0731/500-60020
michael.ruoff@uniklinik-ulm.de


#
#
  • Literatur

  • 1 Heitger B, Doujak A. Harte Schnitte, Neues Wachstum – Die Logik der Gefühle und die Macht der Zahlen im Change Management. Frankfurt / Wien: Redline Wirtschaft; 2002: 27ff
  • 2 Senge P. Die fünfte Diziplin. Stuttgart; Schäffer-Poeschel: 2008. 19. 284ff

  • Literatur

  • 1 Heitger B, Doujak A. Harte Schnitte, Neues Wachstum – Die Logik der Gefühle und die Macht der Zahlen im Change Management. Frankfurt / Wien: Redline Wirtschaft; 2002: 27ff
  • 2 Senge P. Die fünfte Diziplin. Stuttgart; Schäffer-Poeschel: 2008. 19. 284ff

 
Zoom Image
Abb. 1 Basisarchitektur der Veränderung am Universitätsklinikum Ulm.
Zoom Image
Abb. 2 Struktur des Changemanagement-Prozesses am Universitätsklinikum Ulm.
Zoom Image
Abb. 3 Strategieetappe: Zukunftswerkstatt und Resonanzveranstaltung.
Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image