Dtsch Med Wochenschr 2011; 136(28/29): 1493
DOI: 10.1055/s-0031-1281542
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
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Verbesserte ambulante Demenzversorgung

Improving general practitioners guided dementia careG. Egidi
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Publication Date:
05 July 2011 (online)

Zum Beitrag aus der DMW Nr. 44/2010

In ihrem Artikel zur hausärztlichen Versorgung von Demenzkranken konstatieren die Autoren, eine Mehrheit der Hausärzte würde die Diagnose einer Demenz verspätet stellen und wüsste nicht genügend über eine Leitlinien-gerechte Diagnostik und Therapie einer Demenz Bescheid [9]. Nach einer Schulungsintervention wurde die Leitlinientreue der teilnehmenden Hausärzte gemessen.

Dabei wurden im Wesentlichen die Leitlinien der AKdÄ [1] sowie der DGPPN [6] für die Überprüfung dieser Leitlinentreue zugrunde gelegt. Bereits an dieser Stelle verwundert es, warum Hausärzte überhaupt daran gemessen werden, ob sie Empfehlungen einer fachfremden Leitlinie befolgen, wenn ihre eigene Fachgesellschaft in ihrer Demenz-Leitlinie [5] durchaus von den neuropsychiatrischen Leitlinien abweichende Empfehlungen zu Diagnose und Therapie einer Demenz gibt. Beispielsweise gibt es für eine generalisiert durchzuführende Bildgebung bei Verdacht auf Demenz keine hinreichende Studienevidenz [3]. In einer Metaanalyse wird auf einen nur geringen Anteil potenziell unter Therapie reversibler Demenzen hingewiesen [4]. Die hausärztliche DEGAM empfiehlt darum, auch um Überdiagnostik (Inzidentalome) und Übertherapie (unerwünschte Ereignisse z. B. im Zusammenhang mit Shunt-Eingriffen) zu vermeiden, wie die kanadische Ärztegesellschaft CMJ [10] eine Bild gebende Diagnostik nur gezielt bei Kriterien wie einer raschen Progredienz des kognitiven Abbaus, rezenter Kopfverletzung, laufender Antikoagulation etc.

Generell geht die hausärztliche DEGAM-Leitlinie vorsichtiger mit dem Postulat einer möglichst frühen Diagnostik einer Demenz um: Vorteilen wie die Möglichkeit und Notwendigkeit, bei Zeiten eine entsprechende Versorgung zu ermöglichen, werden klare Nachteile wie eine Stigmatisierung der Patienten oder aber Signale seitens der Patienten selbst ausgewogen gegenüber gestellt. Insofern trifft die DEGAM-Leitlinie viel eher das Spezifikum hausärztlicher Tätigkeit, Kranke in ihrem Krankheitsprozess zu begleiten und nicht in jedem Fall eine Diagnostik zu erzwingen.

Korrespondierend zu den kurz angerissenen Differenzen bei der Diagnostik stehen sich in der Einschätzung der therapeutischen Optionen ebenfalls erhebliche Divergenzen gegenüber. Mitarbeiter der Abteilung für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf haben in einer weiterhin nicht widerlegten Metaanalyse [8] die methodischen Mängel der Antidementiva-Studien und den im Mittelwert irrelevanten Wert dieser Medikamente nachgewiesen – was auch nach den Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses [2] einen kontrollierten Behandlungsversuch mit Antidementiva erlaubt, um den Betroffenen eine potenzielle Option nicht einfach vorzuenthalten, nicht aber einen generalisierten Einsatz dieser Substanzen. Zumal es sich hier nicht um inerte Stoffe handelt, sondern um Medikamente mit einem nicht unerheblichen Schadens-Potenzial [7].

Aus diesen Gründen erscheint es nicht gerechtfertigt, die mangelnde Folgsamkeit von Hausärzten gegenüber den neuropsychiatrischen Leitlinien wie implizit gefordert zu kritisieren.

Literatur

  • 1 Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (Hrsg) .Therapieempfehlungen Demenz der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Demenz. 2004
  • 2 Bundesministerium der Justiz .Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Neufassung der Arzneimittel-Richtlinie. Bundesanzeiger 2009; 61 Nr. 49 a. http://www.g-ba.de/downloads/39–261–769/2009–01–22-AMR-Neufassung-2_BAnz.pdf
  • 3 Clarfield M. Assessing dementia: the Canadian consensus. Organizing Committee, Canadian Consensus Conference on the Assessment of Dementia.  CMAJ. 1991;  144 851-853
  • 4 Clarfield M. The decreasing prevalence of reversible dementias: an updated meta-analysis.  Arch Intern Med. 2003;  163 2219-2229
  • 5 Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) (Hrsg) .Demenz. DEGAM-Leitlinie Nr. 12; 2008. http://leitlinien.degam.de/uploads/media/LL-12_Langfassung_gekuerzt.pdf (14.04.2010)
  • 6 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) (Hrsg) .S3-Leitlinie „Demenzen”; 2009. http://www.dgn.org/images/stories/dgn/pdf/s3_leitlinie_demenzen.pdf (14.4.2010)
  • 7 Gill S, Anderson G, Fisher H. et al . Syncope and its consequences in patients with dementia receiving cholinesterase inhibitors.  Arch Intern Med. 2009;  169 867-873
  • 8 Kaduszkiewicz H, Zimmermann T, Beck-Bornholdt H P, van den Bussche H. Cholinesterase inhibitors for patients with Alzheimer’s disease: systematic review of randomised clinical trials.  BMJ. 2005;  331 321-327
  • 9 Laux N, Melchinger H, Scheurich A. Verbesserte ambulante Demenzversorgung. Das hausarztbasierte rheinland-pfälzische Modellprojekt „start-modem”.  Dtsch Med Wochenschr. 2010;  135 2175-2180
  • 10 Patterson C, Gauthier S, Bergman H. et al . Canadian Consensus Conference on dementia: a physician’s guide to using the recommendations.  CMAJ. 1999;  160 1738-1742

Dr. med. Günther Egidi

Arzt für Allgemeinmedizin

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