Zeitschrift für Palliativmedizin 2011; 12(04): 136-137
DOI: 10.1055/s-0031-1284754
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interdisziplinäres Projekt in Aachen und Bonn – Theologie und Palliativmedizin

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Publication Date:
21 July 2011 (online)

 

Warum ist es von Vorteil, wenn sich Mitarbeiter auf der Palliativstation bereits im Rahmen ihrer Grundausbildung mit philosophisch-ethischen Themen auseinander setzen? Kann die Philosophie überhaupt einen Beitrag zur Verbesserung der Versorgung Sterbender leisten? Die Deutsche Krebshilfe meint: Ja. Und fördert derzeit ein interdisziplinäres Projekt an der RWTH Aachen und der Universität Bonn.

In dem interdisziplinären Projekt erarbeitet ein Forscherteam aus philosophisch-theologischer Wissenschaft und Palliativmedizin Unterrichtsmaterialien für den Ausbildungsunterricht von Krankenpflegepersonal und Ärzten, die eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema "selbstbestimmtes Sterben" zum Ziel haben.

Die meisten Pallativeinrichtungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine ganzheitliche Versorgung der Patienten durch enge Verzahnung der verschiedenen eingebundenen Berufsgruppen in multidisziplinären Teams gewährleisten. Neben der Verzahnung der beteiligten Berufsgruppen dient es aber auch der ganzheitlichen Versorgung, wenn die einzelnen Berufsgruppen möglichst umfassend gebildet und ausgebildet sind. Daher ist es für Krankenschwestern und -pfleger und Ärztinnen und Ärzte wichtig, nicht nur pflegefachlich bzw. medizinisch kompetent zu sein, sondern zu einem – zumindest vorläufig tragfähigen – eigenen Standpunkt gefunden zu haben, um mit dem sterbenden Patienten in Beziehung treten zu können. Diese Beziehungen bedürfen einer gesunden Mischung von Anteilnahme und Distanz, die gelernt und reflektiert werden muss.

Ein eigener Standpunkt erwächst einerseits aus Lebens- und Berufserfahrung, andererseits aber auch aus Wissen und Nachdenken. Daher fordert auch die 2010 verabschiedete "Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland", dass alle professionell oder ehrenamtlich an der palliativen Versorgung beteiligten Menschen so ausgebildet werden, dass sie ihre eigene Betroffenheit reflektieren und den Bedürfnissen der Schwerkranken und Sterbenden gerecht werden können.

An dieser Stelle kommt die Philosophie ins Spiel und kann wichtige Impulse für die Ausbildung der beteiligten Berufsgruppen geben. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit bereichert sowohl die Medizin als auch die Theologie – erstere durch das Angebot, die Herausforderungen der Praxis in der Theorie einzuholen und zu reflektieren, letztere durch eine verstärkte Einbeziehung der Praxis in den theologischphilosophischen Diskurs.

Von der interdisziplinären Forschergruppe wird dabei die Entwicklung eines philosophischen Curriculums angestrebt, das nicht nur ethische Argumentationen vermittelt, sondern den Menschen am Ende in einer umfassenderen Weise in den Blick nimmt, indem es anthropologische Grundbegriffe klärt, die im Sterben besonders relevant werden: Würde, Selbstbestimmung, Identität, Schmerz, Sinn – was den Menschen ausmacht, was ihn bestimmt und was zentrale Kategorien seines Selbstentwurfes sind.

So ist etwa das Verständnis von dem, was Identität ausmacht bzw. ausmachen kann einerseits so abstrakt, dass sich eine theoretische Herangehensweise lohnt, um ein Grundverständnis davon zu bekommen. Andererseits sind Begegnungen mit den Ausdrucksformen von Identität konkrete alltägliche Erfahrungen, die im Umgang mit Sterbenden eine besondere Stellung einnehmen. Menschen, die im Sterben liegen, haben ein letztes Mal die Gelegenheit, sich selbst zu bestimmen und sich mit dem, was sie ausmacht, in ihrer Lebenswelt zu situieren. Daher ist es besonders wichtig, sie in den Ausdrucksformen ihrer eigenen Identität zu unterstützen und die Signale der Patienten verstehen und interpretieren zu können. Sowohl die Schulung der Wahrnehmung als auch das Einordnen dieser Wahrnehmung in ein philosophisch reflektiertes Verständnis vom Menschen und dem, was seine Identität ausmacht, ist daher Ziel der Lesetexte und der Unterrichtsmaterialien, die von Mitarbeiterinnen der Forschergruppe entworfen werden.

Als Angebot für den Ausbildungsunterricht an Krankenpflegeschulen wie auch – im Fall der Lesetexte – für das Selbststudium von Medizinstudierenden kann die interdisziplinäre Forschung daher zur Verbesserung der palliativen Versorgung beitragen.

Das Projekt "Herausforderung Sterbehilfe. Theoretische und praktische Studienhilfen zum Thema Selbstbestimmtes Sterben" wird von der Deutschen Krebshilfe gefördert, Projektnummer 108407.

Annette Jantzen, Nicole Godolt, Frank Elsner, Lukas Radbruch

Korrespondenzautor:
Prof. Frank Elsner, Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Aachen,
E-Mail:
felsner@ukaachen.de