Aktuelle Dermatologie 2012; 38(03): 97-101
DOI: 10.1055/s-0031-1291552
Von den Wurzeln unseres Fachs
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Haut in der Medizin – Ein historischer Rückblick[*]

Skin in Medicine – A Historical View
C. E. Orfanos
Ehem. Direktor der Universitäts-Hautklinik und Poliklinik, Klinikum Benjamin Franklin der Freien Universität Berlin
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Prof. Dr. Dr. h. c. mult. C. E. Orfanos
Sybelstraße 37
10629 Berlin

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Publication Date:
13 January 2012 (online)

 

Zusammenfassung

In der Körperkultur der griechischen Antike spielte die nackte Haut eine wichtige Rolle, sie hatte kulturellen Symbolcharakter, denn der gesunde Körper wurde über eine gesunde Haut als solcher wahrgenommen. Früh wusste man gut damit umzugehen, sie zu reinigen und zu pflegen, man konnte Wunden fachgerecht verbinden und behandeln, wobei auch Frauen sich neben den gynäkologischen auch mit dermatologischen ärztlichen Aufgaben befassen durften.

Die hellenistische Ars medica wirkte über mehrere Jahrhunderte bis in die spätrömische Zeit nach, doch mit der Verbreitung des Christentums in der byzantinischen Welt änderte sich diese Wahrnehmung, die Haut wurde als unreines Organ und Hauterkrankungen als Ausdruck des Sündhaften angesehen. Im Mittelalter kümmerten sich Mönche und Nonnen sowie Laien (sog. unguentarii oder pharmakopoles) um die Hautkranken, während für die gelernten Medici die Haut lediglich als Ablageorgan für krankhafte Körpersäfte (Dyskrasie, Apostasis) betrachteten und sich mit inneren Krankheiten befassten. Erst nach dem Auftreten der sexuell übertragbaren Infektionen im 16. Jahrhundert änderte sich diese Sichtweise dramatisch. Während der Aufklärung entstand die Dermato-Venerologie als medizinische Disziplin, und mit dem definitiven Einzug der Naturwissenschaften in der Medizin im späten 19. und 20. Jahrhundert wurde die Bedeutung des Hautorgans mit seinen vielfältigen Funktionen erkannt und gewürdigt.

Heute wird die globale Dermato-Venerologie durch eine tiefe Spaltung bedroht: Während in den armen Entwicklungsländern primäre Versorgungsaufgaben sowie sexuell übertragbare Infektionen und lebensgefährliche, HIV-assoziierte Erkrankungen aller Art den Dermatologen herausfordern, sieht man in den reichen Ländern des Westens die Haut als Identitätsmerkmal und kommunikative Visitenkarte und befasst sich mit Kosmetik, wobei Unsummen für kosmetische Produkte und Verjüngungsprozeduren investiert werden.


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Abstract

Cleaning skin procedures and skin care played a important role in Greek antiquity, the skin had the character of a cultural symbol, since healthiness of body and mind was directly reflected into healthy skin. Even in mythology and later in hieratic and Hippocratic medicine lay men and physicians were able to manage skin wounds properly by bandaging and local treatments, whereas, in classical Greece also women, often responsible for female disorders and obstetrics, were allowed to treat skin conditions, such as Socrates’ mother Phainarete in Athens and others Samithra was mentioned by Galenus as being a first dermatologist.

The Hellenistic Ars medica was prevailing for long over the Roman times, and was transferred to the East by the Arabs, whereas, the widespread of Christianity in the Byzantine world changed the understanding of skin as a “dirty organ” reflecting the sin. During Middle Age monks and nuns were taking care of skin conditions, while educated physicians were addressing internal disorders only, regarding the skin as a deposit for fluids derived from internal disease (dyskrasia or apostasis).

The appearance of sexually transmitted diseases in the 16th century changed this approach dramatically. With the entering of scientific thought in the following centuries of Enlightenment Dermato-Venerology was gradually established as a field of scientific medicine, has been enriched scientifically during the 19th and 20th centuries, and the significance of skin and its various functions was understood and recognized.

Today, world-wide dermatology is clearly divided: In poor countries of the developing world dermatologists are challenged by primary skin care, sexually transmitted infections and life threatening disorders associated with HIV, whereas, in rich countries of the West the skin is seen as an expression of identity and mediator for communication, and dermatologists deal preferably with cosmetics, antiaging and rejuvenation.


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Einleitung

Wenn man versucht, die Bedeutung der Haut in der Gesamtmedizin in ihrer historischen Entwicklung zu erfassen, so stellt man fest, dass die Dermatologie in ihrer heutigen medizinischen Positionierung als Fach erst vor ca. 200 Jahren im Rahmen und als indirekte Folge der raschen Urbanisation und Industrialisierung Europas entstanden ist.


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Die Haut in der Medizin der griechischen Antike

In der frühen Medizingeschichte hat die Versorgung von Verletzungen und Krankheiten der Haut eine wichtige Rolle gespielt, zumal damals die Haut durch die zumeist leichte Kleidung allseits exponiert und sichtbar war. In den Gymnasien von Hellas übten sich die jungen Männer nackt. Die Bedeutung der nackten Haut war in der Antike groß, man betrieb daher eine gründliche Hautpflege, reinigte die gesunde Haut mit Wasser und pflegte sie gründlich mit aromatischen Ölen. Auch die Behandlung von Hautkrankheiten, von Wunden und Infektionen, die versorgt und verbunden werden mussten, war bereits in archaischer Zeit eine Aufgabe, die auch Laien beherrschten. In den Vasenmalereien begegnen uns immer wieder Szenen mit derartigen Themen ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Jünglinge haben ihren Chiton an einen Baum gehängt, sie waschen und pflegen ihre Haut mit aromatischen Ölen aus Tongefäßen. Hydria aus Vulci, 6. Jhd. v. Chr., Reijksmuseum van Oudheden, Leiden. Aus: K. Georgakopoulos „Griechische Ärzte der Antike“ (gr.), Ed. Iaso, Athen, 1998.

Krankhafte Veränderungen der Haut konnte man kaum verstecken, an Narben erkannte man Menschen, wie z. B. den wiederkehrenden Odysseus, der von seiner Dienerin Eurykleia an einer Narbe am Unterschenkel erkannt wurde, als sie ihm bei seiner Rückkehr als armer Bettler im Auftrag seiner Gattin Penelope die Füße waschen sollte. Bereits in vorbiblischer Zeit war die Behandlung von Hautkrankheiten, von Infektionen oder Wunden nach kriegerischen Auseinandersetzungen, die versorgt und verbunden werden mussten, eine wichtige Aufgabe für die damaligen Ärzte. Die Behandlung der Haut war geradezu ein Merkmal ärztlicher Tätigkeit, auch wenn die Bezeichnung „Dermatologie“ sich erst viel später, im frühen 19. Jahrhundert, etablierte und später als gesondertes medizinisches Fach selbstständig wurde.

Beim Trojanischen Krieg musste Achilles die Wunden seines Freundes Patroklos verbinden, und im klassischen Griechenland waren Hautkranke häufig unter denen, die Heilung in den Tempeln von Asklepios suchten. Das kann man an den Votivtafeln in den griechischen Museen erkennen, die heute noch erhalten und vereinzelt auch gut lesbar sind. Die Medizin von Hippocrates und seiner Schule, die über Jahrhunderte geschätzt und gesucht wurde und auf die wir uns noch bis heute als Ärzte berufen, war eine ganzheitliche Medizin, die auf den Menschen und die somatische und mentale Heilung des Kranken gerichtet war, einschließlich die seiner Haut ([Abb. 2]). Der Arzt stand in hohem Ansehen, die Patienten brachten ihm Geschenke, stifteten Preise oder Votivstelen, wo sie ihre Krankengeschichte und die Heilung beschrieben und seine Künste und die des Schutzgottes der Medizin Asklepios priesen.

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Abb. 2 Hippocrates nähert sich einer liegenden Patientin und ist dabei, ihren oberen Rücken zu behandeln. Hinter ihm seine Tochter Hygieia, die Angehörigen schauen gebannt zu. Votivstelle, 4. Jhd. v. Chr., Asklepieion in Piräus/Griechenland.

Die Ausstrahlung der Körperkultur der Antike war lange noch lebendig und gehörte zur Tradition und den Überlieferungen des römischen Imperiums. Sowohl im Osten wie auch im Westen pflegte man die Schule von Hippocrates, die Asklepieien blühten, die ärztliche Versorgung war lange in den Händen griechischer Ärzte ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Ein griechischer Arzt säubert mit einem Skalpell die keloidisch-hypertrophen Wunden von Aeneas, der aus dem brennenden Troja floh. Hinter ihm überwacht seine Mutter Aphrodite die Behandlung. Wandmalerei Pompej, 1. Jhd. n. Chr., Archäologisches Museum Neapel. Aus: K. Georgakopoulos „Griechische Ärzte der Antike“ (gr.), Ed. Iaso, Athen, 1998.

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Frauen als Ärztinnen

Am Rande möchte ich hier anführen, dass zur damaligen Zeit auch Frauen sich ärztlich betätigten. Neben ihrer Tätigkeit als Geburtshelferinnen behandelten sie meist Wunden oder andere Hautkrankheiten. Bekannt ist, dass Phainarete, die Mutter von Sokrates, Geburtshelferin im Athen des 5. Jahrhunderts war, manche betrachten sie als die erste Frauenärztin überhaupt. Wenig später, aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert, ist der Name der Athenerin Agnodike überliefert, die als Mann angezogen bei Herophilos in Alexandrien den Arztberuf erlernte und ihn ausübte, einen Beruf, der offiziell bis dahin Frauen verboten war. Sie wurde von ihren männlichen Kollegen angeklagt, doch vor dem Gericht verteidigte sie ihre Sache so geschickt, dass das Gesetz schließlich geändert und die Ausübung des Arztberufes in der folgenden hellenistischen Zeit auch Frauen erlaubt wurde.

Galen erwähnt später eine Samithra, die gar als „die Dermatologin“ in die Geschichte eingegangen ist. Es hat den Anschein, dass gerade Frauen als Ärztinnen sich bereits früh den Krankheiten der Haut widmeten.


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Die Haut während des frühen Christentums

In der jüdischen wie auch in der christlichen Religion wurden Erkrankungen der Haut zum Teil als Ausdruck des „Unreinen“ angesehen, die Heilung von krankhaften Hautveränderungen war mit einer Reinigung der Seele der Sünder gleichgesetzt und umgekehrt. In diesem Sinne betätigte sich Jesus Christus, als er den Lepra-Kranken heilte, als Erlöser, Heiler und Arzt zugleich.

Ein ausgesprochen glücklicher Umstand der Geschichte war, dass die Kirchenväter des frühen Christentums, von Eusebius im Osten bis Augustinus im Westen, keine Fundamentalisten, sondern intelligente, aufgeschlossene Geister gewesen sind und das naturwissenschaftlich fundierte medizinische Wissen der griechischen Antike schließlich als Christen akzeptierten, obwohl es letztlich einen heidnischen Ursprung hatte, also de facto „unchristlich“ war.

In späteren bildlichen Darstellungen des Mittelalters kommt die besondere Bedeutung der Haut wieder zum Ausdruck, viele Menschen mit Hautläsionen scharen sich um Jesus und bitten ihn um Heilung, wie die 10 Leprösen ([Abb. 4]). Dabei muss man hier erläuternd anführen, dass „Lepra“ damals das Schlagwort für diverse Hautleiden war, nur wenige der Kranken hatten wirklich Lepra. Schuppenflechte, Ekzeme und Infektionen durch Parasiten (z. B. Scabies) waren sicher häufiger.

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Abb. 4 Jesus segnet und heilt die 10 „Leprösen“. Aus dem Evangeliar von Echternach, Codex aureus (ottonisch). 1039 – 1043 n. Chr., Germanisches Nationalmuseum Nürnberg.

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Byzantinische Zeit

So blieb die griechische Medizin über die folgenden Jahrhunderte tonangebend. Während der frühen byzantinischen Zeit machte der einsetzende graeco-arabische Wissenstransfer die griechischen Philosophen und die griechische Medizin in der östlichen Welt bekannt und beliebt. Arabische Gelehrte tradierten die hellenistische Ars Medica über das Mittelalter bis zum Westen Europas, wobei im Osten Krankheiten der Haut nicht selten waren, im Westen nahmen sie durch den zunehmenden Verkehr und Warenaustausch zu. Die Namen von Hunain Ibn Is‘haq (808 – 873), eines Nestorianers, der am Hofe der Abbasiden als Arzt tätig war, Thabit Ibn Qurra (826 – 901), der in Babylon als Mathematiker, Astronom und Arzt bekannt wurde, Qusta Ibn Luga (830 – 910), der als Übersetzer griechischer Manuskripte einen Gesundheits-Ratgeber für Mekkapilger verfasst und auch den Sonnenbrand beschrieben haben soll, sind überliefert in der Geschichte.

Abu Ali Ibn Sina, in latinisierter Form Avicenna genannt (949? – 1037), wurde mit seinem „Kanon der Medizin“ im europäischen Raum neben Hippocrates und Galen als absolute Kapazität geschätzt, sein Kanon galt bis ins späte 16. Jahrhundert an den europäischen Medizinschulen als Standardwerk für alle angehenden Mediziner. Avicenna wird noch heute in Persien hoch verehrt, an der Universität Isfahan steht seine Büste an prominenter Stelle. Inzwischen war ja das Arabische die Sprache der Wissenschaften geworden, das Latein des Ostens, wenn man so will, die großen Bibliotheken des Mittelalters waren in der islamischen Welt zu finden.

Über all diese Jahrhunderte blieb die gesunde Haut stets der Ausdruck von allgemein körperlicher Gesundheit und Reinheit.


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Die Haut im ausgehenden Mittelalter

In der europäischen Renaissance und an den ersten medizinischen Fakultäten der europäischen Universitäten, die anfangs von theologischen Fakultäten beherrscht wurden, spielte die Haut bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine nur untergeordnete Rolle. Die Vorstellung des frühen Christentums, dass die Haut eben das „unreine Organ“ war und Hautkrankheiten generell mit Unreinheit gleichgestellt wurden, war haften geblieben, sie war in der Bevölkerung lebendig. In der Lehrmedizin glaubte man noch, dass Störungen bei der Durchmischung der Körpersäfte die wesentliche Ursache für das Auftreten von Krankheiten seien, und betrachtete die Haut als Ablage für krankhafte Körpersäfte. Die Haut sollte, wenn man so will, das Hinterzimmer aller Krankheiten sein; das Phänomen nannten die damaligen Ärzte Dyskrasie oder Apostasis (Linnaeus, von Plenck u. a.).

Für die Behandlung von Verletzungen durch kriegerische Auseinandersetzungen, Hautinfektionen bis zu Abszessen, gab es praktische Heiler, Wundärzte oder Salbenärzte, die sogenannten Unguentarii oder Pharmakopoles, also ambulante Händler mit medizinischen Kenntnissen, die ihre Waren (Salben, Kräutermischungen und sonstige Dinge zum Auftragen) ambulant anboten und selbst auf die erkrankten Stellen applizierten. Manchmal suchte man Hilfe in Klöstern, bei Nonnen oder Mönchen. Sie waren vor allem pflegerisch tätig, im Gegensatz zu der höheren Kaste der studierten Ärzte, den Medici, die sich mit dem „Inneren des Menschen“ befassten.


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Auftreten sexuell übertragbarer Infektionen

Für die Geburt der heutigen „Dermato-Venerologie“ sind im Prinzip die Epidemien der Geschlechtskrankheiten, von Tripper und Syphilis, verantwortlich, die erstmalig in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Europa auftraten und die Autorität des medizinischen Wissens aus der griechischen Antike erschütterten. Nach dem Fall von Neapel im Februar 1495 breiteten sich diese zwei Infektionen wie eine Plage über Mitteleuropa durch die französische Armee aus. Man sprach von der „französischen Krankheit“, und die damaligen Ärzte mussten sich zwangsläufig mit den Veränderungen der Haut doch noch befassen, da diese Infektionen sich an der Haut und den Schleimhäuten, oft am Genitale, bemerkbar machten. Derartiges hatten sie bis dahin nicht gesehen.

Im 16. und 17. Jahrhundert wurde über die französische Krankheit viel geschrieben, auch Erasmus von Rotterdam (1465 – 1536) schrieb einen ausführlichen Aufsatz darüber, wobei man damals die Syphilis von der Gonorrhoe nicht genauer unterscheiden konnte. Alles war neu und aufregend, denn bis dahin ging man davon aus, dass die Vorbilder und Lehrer der Antike alle Krankheiten schon kannten und man dürfte allenfalls nur neue Interpretationen des Althergebrachten wagen. Man konnte sich nicht vorstellen, dass es etwas Neues gab, das die alten Meister nicht gesehen hatten. Die neuen Krankheiten passten aber in kein überliefertes Schema, man kam nicht auf die Idee, dass die Reisen der Exploratoren in die neuen Länder, Columbus und die anderen, etwas damit zu tun hätten. So kamen langsam Medici/Ärzte auf, die sich mit der Haut und den neuen Krankheiten befassten, auch wenn sie nichts über ihre Ursachen wussten.


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Neuere Zeit: Die Geburt der Dermatologie

Die Aufklärung hat die Medizin revolutioniert. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts übernahmen Wiener Ärzte, darunter Ferdinand von Hebra, das Konzept der pathologischen Anatomie, also die Funktionsstörungen der einzelnen Organe, als Grundlage des Krankhaften und gaben damit dem dermatologischen Wissenskatalog eine neue Basis. Eine gewisse Katalogisierung und Systematisierung der Krankheiten der Haut hatte zwar schon stattgefunden, doch sie war unvollständig und theoretisch nicht untermauert.

In der Folgezeit wurde die Medizin allmählich in Fächern kanonisiert. Auf dieser Basis wuchs die Bedeutung der Hautmedizin, zumal mit der Industrialisierung der Gesellschaft die medizinische Versorgung und die medizinischen Sozialaufgaben bei der wachsenden Bevölkerung in den Vordergrund rückten. Die Ärzte hatten zunehmend auch damit zu tun, die Hautleiden von Militärangehörigen zu behandeln, weil sie sonst nicht einsatzfähig waren, ebenso die Geschlechtskrankheiten, die sich unter den Soldaten und den Fabrikarbeitern schnell ausbreiteten, und schließlich die Infektionen mit Parasiten, wie die Krätze, die in den Arbeitersiedlungen am Rande der Städte und in den Unterkünften der Soldaten eine richtige Plage waren.

Die bedeutenden Entdeckungen der diversen Krankheitserreger zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben zur weiteren Entwicklung der Dermatologie geführt und ermöglichten ihre Eingliederung in die moderne Medizin. Deutsche Ärzte haben hierzu Großes geleistet, nicht zuletzt durch die Entdeckung des Erregers der Gonorrhoe durch Albert Neisser und insbesondere der Syphilis hier in Berlin 1905 durch den Zoologen Friedrich Schaudinn und den Hautarzt Erich Hoffmann. Die Häufigkeit von Scabies und Psoriasis waren im I. Weltkrieg eine bedeutendes Problem für die Armee des deutschen Kaisers, nicht zuletzt auch die damit verbundenen sexuell übertragbaren Infektionen. Es ist allzu bekannt, dass im Jahre 1916 deutsche Militärärzte und Chemiker, unter der klinischen Leitung des Dermatologen Eugen Galewsky, auf Anordnung der Generalität bei der Firma Bayer das Cignolin synthetisierten, eine Substanz, die wir heute noch zur Behandlung der Schuppenflechte und von hartnäckigen Ekzemen verwenden. Das geschah innerhalb weniger Monate, weil viele Militärangehörige wegen ihrer Psoriasis ausfielen und die Armeeführung drängte. Bis dahin wurde die Schuppenflechte durch ein Pulver behandelt, das aus der portugiesischen Kolonie Goa importiert wurde, das Goa-Pulver, und die Seewege nach Goa waren für die Deutschen während des Krieges durch die allmächtige britische Marine versperrt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestimmte das Bild des Hautarztes somit die Vorstellung eines aufgeklärten, pragmatisch zupackenden Helfers, der nah an Krankheiten war, über die man in der Regel nicht gern sprach.


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Einzug der Naturwissenschaften: Primäre Hautversorgung in den Entwicklungsländern vs. Kosmetik im Westen

Der Einzug der Naturwissenschaften in die Medizin in den Jahren nach dem II. Weltkrieg änderte die Situation. Heute wird die Haut nicht mehr als „Abfalleimer“ des Körpers angesehen, ihre bedeutenden Funktionen wurden erkannt und aufgeschlüsselt; wichtige Stoffe für den Körper werden in der Haut synthetisiert, darunter Vitamine, Boten- und Abwehrstoffe, immunologisch wirksame Biomoleküle aller Art.  Darüber hinaus tritt unsere Haut mit unserer Umwelt in Kontakt, sie ist sozusagen unser Schutzschild und unser Mediator zugleich. Gleichzeitig wurde ihre emotional-kommunikative Bedeutung als unsere persönliche „Visitenkarte“ erkannt. Mit unserer Haut und unseren Haaren präsentieren wir uns doch unseren Mitmenschen und wirken auf sie körperlich-emotional. Im Rahmen dieser Entwicklungen kamen wir im Westen von der traditionellen klinischen Dermatologie zur die Kosmetik, die heute in den westlichen Ländern einen Boom erlebt. Werbung und Ökonomie im Gesundheitswesen taten dazu ihr Übriges.

Damit hat sich aber eine gefährliche Schere geöffnet:

Während in den armen Bevölkerungen dieser Welt das Hautorgan weiterhin lebensbedrohlichen Infektionen und Schäden aller Art ausgesetzt wird und der primär-medizinische Versorgungsbedarf groß ist, trat in den reichen Ländern des Westens während der letzten zwei Jahrzehnte vor allem die kosmetische Bedeutung der Haut zunehmend in den Vordergrund. Gegen eine bewusste Pflege unserer körperlichen Unversehrtheit oder Schönheit ist nichts einzuwenden, doch der polarisierte Aufgabenbereich zwischen Heilberuf und Kosmetik wird gerade in der Medizin im Verbund mit der Ökonomie zum Problem ([Tab. 1]).

Tab. 1

Spaltung der Betätigungsfelder der modernen Dermatologie: Kosmetische Anliegen in den industrialisierten Ländern des Westens im Vergleich zu wichtigen medizinischen Versorgungsaufgaben in den armen Ländern.

REICHE Länder

ARME Länder

  • Beratung zur Erhaltung der gesunden Haut

  • Alterungsprophylaxe (Antiaging)

  • Kosmetik (Botox-Inj., Filler, Liftings, kosmetische OPs etc.)

  • Primäre Versorgung der kranken Haut

  • Umweltschäden

  • Lebensgefährliche Infektionen

  • Sexuell übertragbare Krankheiten und HIV

Man muss der Wahrheit die Ehre geben:

Für den kosmetischen Bedarf, wofür wir in den industrialisierten Ländern des Westens Milliarden ausgeben, könnten wir existentielle ärztliche Probleme lösen. Der Verzicht auf ihre Lösung ist für viele ein ethischer Konflikt. Die Ärzte werden schleichend verführt, durch die höheren Einnahmen aus der kosmetischen Tätigkeit die wahren medizinischen Aufgaben zu vernachlässigen. Man muss es im Auge behalten: Bei der HIV-Epidemie und den vielen Infektionen in den warmen Klimazonen, bedingt durch mangelnde Aufklärung, schlechte hygienische Verhältnisse, Mangelernährung und Armut, ist die Haut entscheidend mit betroffen, womit dringende diagnostische und therapeutische Aufgaben für den Dermatologen im Vordergrund stehen.

Die Gewichte verschieben sich somit zunehmend von der sozialen Aufgabe des Arztes, der Heilkunst und der Betreuung von Kranken, in ein profitorientiertes Management, in dem der mit hohem Aufwand dermatologisch aus- und weitergebildete Arzt sich die kosmetische Beratung von Gesunden zur Aufgabe macht. Dazu kommt der hohe Forschungsaufwand, der hier betrieben wird, und die gewaltigen Kosten, die damit verbunden sind. Die Entwicklung kosmetischer Produkte bei uns im Westen stimmt einen skeptisch, wenn man mit den Problemen konfrontiert wird, die die Dermatologie in den afrikanischen Ländern hat. Diese offensichtliche Schere wird in der Praxis oft zum Konflikt. Aus diesen Überlegungen heraus fördert die Berliner Stiftung für Dermatologie die primäre Versorgung von Hautkrankheiten in den unterprivilegierten Ländern unserer wirtschaftlich zweigeteilten Welt und versucht nach Kräften zur Verbesserung der dermato-venerologischen Versorgung in diesen Ländern beizutragen.

Alle Dermatologen werden zu einer Spende ermuntert, um die dermato-venerologische Versorgung in bedürftigen Ländern zu unterstützen. Weitere Informationen unter http://www.stiftung-dermatologie.de

Spendenkonto: Berliner Stiftung für Dermatologie – Commerzbank AG, BLZ 12080000, Kto.-Nr. 4051733100. IBAN: DE 34120800004051733100 Swift Code (BIC): COBADEFFFür alle eingehenden Spenden ist das Kuratorium der Stiftung dankbar; Spendenbescheinigungen werden umgehend ausgestellt.


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Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

* Vortrag gehalten anlässlich eines Benefizkonzertes zugunsten der Berliner Stiftung für Dermatologie (BSD) in der Berliner Gemäldegalerie, in Verbindung mit dem 11. Jahressymposion der Stiftung am 1. – 2. Juli 2011 in Berlin.



Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. C. E. Orfanos
Sybelstraße 37
10629 Berlin


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Abb. 1 Jünglinge haben ihren Chiton an einen Baum gehängt, sie waschen und pflegen ihre Haut mit aromatischen Ölen aus Tongefäßen. Hydria aus Vulci, 6. Jhd. v. Chr., Reijksmuseum van Oudheden, Leiden. Aus: K. Georgakopoulos „Griechische Ärzte der Antike“ (gr.), Ed. Iaso, Athen, 1998.
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Abb. 2 Hippocrates nähert sich einer liegenden Patientin und ist dabei, ihren oberen Rücken zu behandeln. Hinter ihm seine Tochter Hygieia, die Angehörigen schauen gebannt zu. Votivstelle, 4. Jhd. v. Chr., Asklepieion in Piräus/Griechenland.
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Abb. 3 Ein griechischer Arzt säubert mit einem Skalpell die keloidisch-hypertrophen Wunden von Aeneas, der aus dem brennenden Troja floh. Hinter ihm überwacht seine Mutter Aphrodite die Behandlung. Wandmalerei Pompej, 1. Jhd. n. Chr., Archäologisches Museum Neapel. Aus: K. Georgakopoulos „Griechische Ärzte der Antike“ (gr.), Ed. Iaso, Athen, 1998.
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Abb. 4 Jesus segnet und heilt die 10 „Leprösen“. Aus dem Evangeliar von Echternach, Codex aureus (ottonisch). 1039 – 1043 n. Chr., Germanisches Nationalmuseum Nürnberg.