Geburtshilfe Frauenheilkd 2012; 72(2): 106-109
DOI: 10.1055/s-0031-1298250
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Stammzellen aus Nabelschnurblut. Öffentliche Stammzellbanken vs. private Einlagerung

Tamme W. Goecke
,
Michael P. Lux
,
Matthias W. Beckmann
,
Florian Faschingbauer
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Publication History

Publication Date:
05 March 2012 (online)

Stammzellen

Stammzellen sind die Vorläufer aller Körperzellen und somit auch aller Gewebe und Organe. Es werden 3 Arten von Stammzellen unterschieden:

  • embryonal,

  • neonatal,

  • adult.

Die embryonale Stammzelle ist aufgrund ihrer Totipotenz in der Lage, sich in alle Gewebstypen des Körpers zu differenzieren und vollständige Organismen hervorzubringen. Ethische Argumente, die dem deutschen Embryonenschutzgesetz zugrunde liegen, schränken ihre Verwendung für Forschungszwecke sowie für die regenerative Medizin in Deutschland ein.

Die adulte Stammzelle ist multipotent, d. h. sie kann verschiedene, aber nicht alle Gewebe bilden – auch keinen kompletten Organismus. Adulte Stammzellen haben vor allem regenerative Aufgaben. Mit zunehmendem Alter verringern sich Vitalität und Differenzierungsvermögen dieser Zellen. In der Regel werden adulte Stammzellen durch Knochenmarkspunktion und/oder nach medikamentöser Stimulation aus peripherem Blut (Stammzellapherese) gewonnen.

Neonatale Stammzellen, wie die Stammzellen im Nabelschnurblut auch genannt werden, entsprechen weitgehend den adulten Stammzellen, zeigen aber aufgrund ihres geringen ontogenetischen Alters eine höhere Vitalität und Differenzierungsfähigkeit und sind in der Regel kaum durch Umweltgifte, Medikamente oder Viren geschädigt. Werden neonatale Stammzellen eingesetzt, sind diese für fremde Empfänger besser verträglich und führen zu einer deutlich geringeren Graft-versus-Host-Reaktion (GvHD) als allogene Stammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut [1].

Nabelschnurblut, das in 4 von 6 HLA-Merkmalen mit dem Empfänger übereinstimmt, ist therapeutisch ebenso effektiv wie ein Knochenmarkstransplantat mit nur einem Mismatch, sofern im Präparat genügend kernhaltige Zellen enthalten sind [5]. Das frühe Entwicklungsstadium und die oft relativ geringe Anzahl an Stammzellen im Nabelschnurblut bedingen allerdings ein langsameres Anwachsen (Engraftment) im Empfängerorganismus [2].

Die Menge der bei einer Nabelschnurpunktion gewinnbaren Stammzellen ist limitiert und wird durch Schwangerschaftsparameter kaum beeinflusst. Aus diesem Grund können Nabelschnur-Stammzellpräparate heute überwiegend nur für Patienten bis zu einem Körpergewicht von 50 kg eingesetzt werden oder müssen gepoolt werden. Die in den letzten Jahren erzielten Erfolge bei der Ex-vivo-Expansion von adulten Stammzellen geben aber Anlass zur Hoffnung, dass Stammzellen in Kultur bald ausreichend vermehrt und im gewünschten Maße verfügbar gemacht werden können [3, 4].

Neonatale Stammzellen stellen aus den oben genannten Gründen eine für die Medizin besonders interessante und sowohl für die Forschung als auch für therapeutische Anwendungen ethisch unbedenkliche Gruppe von Zellen dar ([Tab. 1]).

Tab. 1 Vergleich neonataler Stammzellen mit adulten Stammzellen.

neonatale Stammzellen aus Nabelschnurblut

adulte Stammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut

geringes ontogenetisches Alter, dadurch bessere Vermehrbarkeit und höheres Differenzierungsvermögen

aufgrund ihres höheren Alters (Telomerverlust) eingeschränkte Vermehrbarkeit und Differenzierungsfähigkeit

in der Regel nicht durch Umweltgifte und Viren belastet

Belastung durch Umweltgifte, Medikamente und Viren entsprechend dem Lebensalter des Spenders

Gewinnung nur unmittelbar nach der Geburt möglich

Gewinnung bei gesunden Spendern jederzeit möglich

Gewinnung ohne Risiko für Kind oder Mutter

höheres Entnahmerisiko, da Gewinnung durch invasive Methoden und z. T. unter Narkose

einfache, schmerzfreie Gewinnung; Kind bereits abgenabelt

Dauer der Gewinnung bis zu 1,5 Stunden

geringes Transplantatvolumen (60–150 ml), dadurch begrenzte Anzahl an Stammzellen

großes Transplantatvolumen (bis 1,5 Liter) mit etwas höherer Stammzellzahl

auch bei geringerer Übereinstimmung von HLA-Merkmalen erfolgreiche Transplantation ohne GvHD möglich

möglichst genaue Übereinstimmung der HLA-Merkmale notwendig

geeignete Transplantate rasch auffindbar und sofort verfügbar

nur 70 % der erforderlichen Transplantationen können erfolgen, da geeignete Spender fehlen

längere Phase des Anwachsens der Zellen nach der Transplantation

besseres Anwachsen der Zellen nach der Transplantation

hohes Potenzial für die regenerative Medizin

wegen geringerer Vermehrbarkeit und Differenzierungsfähigkeit weniger gut für die regenerative Medizin geeignet