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DOI: 10.1055/s-0031-1298660
Verifikationen, Falsifikationen, klinische Symptome
Publication History
Publication Date:
28 September 2012 (online)
Symptomenverifizierung: Vipera berus (Kreuzotter)
Das Gift der Kreuzotter, die in Europa heimisch ist, wurde durch Constantin Herings Monografie Wirkungen des Schlangengiftes [6] erstmalig in seiner Wirkung auf den Menschen und andere Lebewesen für die Homöopathie nutzbar gemacht. In die Guiding symptoms [5] wurde Vipera jedoch bemerkenswerterweise nie aufgenommen, und deshalb wird es auch von J. T. Kent in dessen Lectures [8] nicht erwähnt. T. F. Allen nennt in seiner Enzyklopädie [1] insgesamt 55 Literaturquellen zu Bissfolgen, aber keine einzige homöopathische Prüfung.
Terminologisch herrscht eine gewisse Verwirrung. Anders als G. H. G. Jahr in seinem auf Hering beruhenden Kodex [7], trennt Allen nicht mehr symptomatisch die Vipera berus (sive torva, sive deutsche Otter) von der Vipera aspis (sive redi, der südeuropäischen, „italienischen“ Variante). Auch W. Boericke [3] gerät hier durcheinander und meint, die „deutsche Otter“ mit der Vip. berus „vergleichen“ zu müssen, obwohl es sich um die gleiche Schlange handelt. Und selbst seine neueren deutschen Übersetzer [3] verheddern sich, indem sie kritisch anmerken, T. F. Allen habe die deutsche Otter mit der gewöhnlichen Viper (Vipera berus) gleichgesetzt, obwohl dies vollkommen richtig war. Das eigentliche Problem aber ist die Gleichsetzung der V. berus mit der V. aspis, die zwar enge Verwandte sind, deren homöopathische Identität jedoch noch nicht ausreichend geklärt und schon gar nicht bewiesen ist.
Durch das Internet geistern heutzutage weiterhin noch zahlreiche andere „Expertisen“ zu Vipera, überwiegend von homöopathischen Heilpraktikern verfasst. Es erscheint dabei fast so, als würden sich manche dieser Autoren vorkommen wie Bergsteiger, die voller Ehrgeiz als erste den Gipfel erreicht haben wollen, dabei aber nur vorgeben, bereits oben zu stehen und den Überblick zu haben. Es handelt sich durchgehend um „tiefenpsychologisch“ aufgemachte, rein spekulative und laienhafte Deutungen von Patientengeschichten, die vollkommen unkritisch zu einem angeblichen „Arzneimittelbild“ geformt werden.
Dies ist bedauerlicherweise auch ein generelles Problem neuerer „Prüfungen“, deren Autoren sich vorschnell zu Beschreibungen über das „Arzneimittelbild“ der geprüften Substanz hinreißen lassen, ohne die fundamentale Tatsache zu berücksichtigen, dass eine Prüfung nichts anderes darstellt als eine hypothetische Annäherung an jene Symptomatik, die einer späteren erfolgreichen klinischen Verschreibung zugrunde liegen kann. Diese ergibt sich jedoch hinwiederum erst durch eine möglichst wiederholte Verifizierung durch Heilung dieser Prüfsymptome im klinischen Gebrauch.
Es wäre mittlerweile dringend an der Zeit, dieses wertvolle Schlangengift einer ausgedehnten Prüfung mittels potenzierter Arznei zu unterziehen, da seine heilkräftige Wirkung, wie an dem folgenden Fall gezeigt wird, bereits auf der Grundlage „bloß“ toxikologischer Symptome außerordentlich eindrucksvoll ist.
Ein Beispiel: Ausgangssituation
In meine Behandlung kam eine 33-jährige, verheiratete Arzthelferin, die folgende Geschichte erzählte:
Es begann an einem Dienstag mit Muskelkatergefühl im linken Oberarm. Am Donnerstag traten dann während der Arbeit plötzlich nach einer ruckartigen Rückwärtsbewegung furchtbare Schmerzen in eben diesem Oberarm auf, und sie konnte den Arm nicht mehr bewegen. Am Freitag wurde es noch schlimmer, und am Samstag schwollen ihre linke Hand und der Arm an, und die Finger wurden blau. Sie konnte den Arm nur noch angewinkelt halten, jedes Herabhängenlassen des Armes verschlimmerte, und sie hatte dabei die Empfindung, als würde er ihr „abfallen“. Gleichzeitig verspürte sie eine Art von Luftnot, die dazu führte, dass sie häufig und oft vergeblich versuchte zu gähnen, um mehr Luft in ihre Lungen einzuatmen. Dies ging einher mit einer merkwürdigen, linksthorakalen Schwellung, so dass das linke Schulterblatt herausstand.
Da sich die Situation derart dramatisch entwickelt hatte, suchte sie zunächst einen Orthopäden auf, der eine Ruptur der Bizepssehne vermutete und ihr ein schmerzstillendes Medikament verabreichte sowie Kortison in das Schultergelenk injizierte, was aber gar nichts bewirkte. Daraufhin ging sie zu einem Internisten, der wiederum eine Thrombose diagnostizierte und sie ins Krankenhaus einwies, wo sie sofort wegen dieses Verdachts Heparininfusionen erhielt und eine Phlebografie durchgeführt wurde − jedoch ohne positiven Befund.
Mittlerweile waren 2 Wochen vergangen, und die Schmerzen ließen nur nach, wenn sie Schmerzmittel nahm. Die Zyanose des linken Armes hielt jedoch unverändert an und ebenso die eigenartige Schwellung des linken Brustkorbs mit dem Gefühl der Luftknappheit.
Als ich den Fall aufnahm, konnte ich in der Vorgeschichte zunächst keinen wirklichen Grund für diese Symptomatik finden außer der Tatsache, dass sie und ihr Ehemann ziemliche Probleme miteinander hatten. Aber diese bestanden schon länger, und nach Angaben der Patientin hatte es in letzter Zeit keine „akuten“ Vorfälle in dieser Hinsicht gegeben und auch keinerlei Hinweise auf ein Trauma am Arm selbst. Die Anamneseerhebung erbrachte neben einer Eisenmangelanämie lediglich, dass sie 9 Monate zuvor, ohne ersichtlichen Grund, eine plötzliche Ohnmacht erlitten hatte.
Weil ich den Fall in einem Kurs vor Kollegen aufgenommen hatte und dabei eine gewisse und verständliche Zurückhaltung bei der Patientin zu spüren glaubte, über ihr Privatleben zu sprechen, forschte ich nicht weiter nach, zumal ich gute Gründe für eine Verschreibung erkannte, so dass ich an dieser Stelle das Gespräch beendete und 2 Glob. Vipera C 30 (Gudjons) verschrieb.
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Begründung der Verschreibung
Welche Gründe für diese Verschreibung lagen nun vor?
Es ist zunächst anzumerken, dass Vipera berus im Repertorium aufgrund fehlender Prüfungen und mangels ausreichender klinischer Erfahrung nur sehr wenig repräsentiert ist und lediglich über 503 Einträge verfügt. Es ist deshalb auch nicht zu erwarten, dass man das Mittel über eine „übliche“ Repertorisation erfasst, es sei denn, man kennt die signifikanten Rubriken. Glücklicherweise hatte ich das Mittel bereits schon einmal studiert und kannte deshalb die Modalität „Herabhängenlassen der Extremität verschlimmert“ [11],[2] bei Vipera.
Der allgemeine Charakter der Krankheit konnte folgendermaßen beschrieben werden: Plötzlichkeit, Schmerzhaftigkeit, ödematöse Schwellung, bläuliche, zyanotische Verfärbung, Linksseitigkeit und behinderte Atmung – alles Elemente der Wirkung des Gifts unserer am besten bekannten Schlange: Lachesis [6]! Aber der auf Lachesis passende Zustand wird nicht durch Hängenlassen der Extremität verschlimmert, sondern im Gegenteil, er wird hierdurch gebessert [11]!
Wenn man aber aufgrund der anderen Merkmale des Falles an der Idee eines Schlangengifts festhält und diese besondere Modalität von Vipera kennt, dann wird die Auswahl schon deutlicher. Noch überzeugender wird sie allerdings, wenn man in Vermeulens praktischer Zusammenstellung Konkordanz der Materia Medica [10] den Nachtrag von A. C. Cowperthwaite [4] „Gefühl, als würde die Extremität abfallen“ liest und dann noch bei T. F. Allen in der Enzyklopädie [1], aber auch in dem wohl besten Artikel zu Vipera berus in seinem Textbook of Materia Medica [2] das Symptom entdeckt „Ödem der oberen Extremität, erstreckt sich zur Schulter. Der Arm, die Schulter, der Rücken und die Brust der gebissenen Seite schwellen stark an und entzünden sich“ (eigene Übersetzung).
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Verlauf
Hier nun die Reaktion der Patientin auf die Gabe: Schon am nächsten Tag war die Atemnot weg. In wenigen weiteren Tagen verschwanden alle übrigen Symptome bis zur völligen Genesung. Darüber hinaus ergriff eine psychische Entspannung von ihr Besitz, so dass sie ihre Probleme nicht mehr als so gravierend empfand. Des Weiteren verschwanden ihre prämenstruellen Brustschwellungen, über die sie noch gar nicht berichtet hatte. Und schließlich erzählte sie in dieser Konsultation – ohne die Anwesenheit weiterer Zeugen − die ganze Geschichte:
Ihre Ehe befand sich seit 4 Jahren in einer tiefen Krise. Ihr Mann, ein Polizist mit ziemlich aggressivem Charakter, hatte ein Alkoholproblem. Abends saß er alkoholisiert vor dem Fernseher oder dem Computer. Er hatte 20 kg an Gewicht zugenommen und bestand „nur noch aus Nacken und Bauch“, wie sie es formulierte. Sie sprachen nicht mehr viel miteinander, und zu Zärtlichkeiten kam es auch nicht mehr, stattdessen jedoch ein deutliches Verlangen nach Sex von seiner Seite nachts im Bett. Sie verweigert sich. Hassgefühle kommen hoch. Sie macht einen Termin beim Scheidungsanwalt, vergisst dann jedoch, diesen wahrzunehmen. Sie grübelt ständig über ihre Probleme. Gedanken tauchen auf, ihren Mann mit einem Hammer zu erschlagen oder nachts im Schlaf mit dem Messer zu erstechen! Und dann, wenige Tage vor dem akuten Ereignis, bekommt sie selbst auf einmal schreckliche Stiche in der linken Brustseite − so vieles hatte sich in ihr angesammelt.
Schließlich frage ich aus Interesse noch nach anderen typischen Symptomen der Schlangengifte, um die Gelegenheit zu nutzen, klinische Informationen zu Vipera zu sammeln.
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Enges am Hals? Mag es nicht besonders, aber kein spezielles Problem! Kriegt jedoch Panik, wenn ihr Kopf unter eine Decke gerät.
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Spricht sie manchmal sehr schnell? Oh ja! Sie redet häufig zu viel und so schnell, dass andere ihr nicht folgen können, die Gedanken springen in ihrem Kopf. Sie unterbricht auch leicht andere, und lässt sie nicht ausreden.
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Eifersucht? Gar kein Thema!
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Schlaf? Großes Schlafbedürfnis, kann 12 Stunden schlafen und ist morgens beim Aufwachen im Allgemeinen noch sehr müde und wenig erholt.
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Sexuell sei sie nicht besonders interessiert, sie habe eher ein Kuschelbedürfnis. Sexuelle Befriedigung hat sie nie verspürt, was sie ihrem Mann jedoch nie mitgeteilt hat. Sie macht ihm etwas vor in dieser Hinsicht, und hat sich früher oft auf Sex eingelassen, ohne dass sie es eigentlich wollte.
Sehr interessant sind noch folgende Informationen zur Vorgeschichte. Sie wuchs mit einer Stiefmutter auf. Ihre Mutter lebte zwar, aber sie hatte nie guten Kontakt zu ihr und zur damaligen Zeit bestand auch kein Kontakt!
Ihre Schwester, der sie sehr nahe stand, war 3 Jahre zuvor an einem Knochen-Ca verstorben. Dieser Tumor bestand schon seit der Kindheit, „wurde aber ignoriert“. In dieser Zeit habe sie viele Schlaftabletten genommen und litt unter Albträumen.
Dramatisch war für sie der Tod des 3 Jahre jüngeren Bruders, der mit 7 J. verstarb. Er bekam beim Spielen mit ihr ihren Schuh an den Kopf und starb an den Folgen der dadurch erlittenen Hirnblutung. Dies verursachte ihr immer noch starke Schuldgefühle, obwohl niemand ihr deshalb Vorwürfe gemacht hatte.
Anlässlich der Veröffentlichung dieses Falls habe ich die Patientin nochmals angerufen, 14 Jahre sind mittlerweile vergangen. Zu meiner Überraschung hatte sie selbstständig die Arznei noch einige Male wegen ohnmachtartiger Schwächezustände eingenommen − jedes Mal mit gutem Erfolg. Die eigentliche Symptomatik war jedoch nie wieder aufgetreten. Sie ist inzwischen geschieden und lebt mit einem neuen Partner zusammen. Sie war gerne bereit, den hier geschilderten Bericht zu bestätigen (s. u.).
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Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
1. Von den in der homöopathischen Literatur kolportierten, individualisierenden Vipera-berus-Symptomen konnte eine entscheidende Modalität „Aggr. durch Herabhängenlassen der Extremität“ in dem oben geschilderten, akuten Fall klinisch verifiziert werden. Die daraus abzuleitende Modalität „Besserung durch Anwinkeln“ ebenfalls.
2. Auch das bei Cowperthwaite beschriebene Empfinden (As-if-Symptom), die betroffene Extremität drohe „abzufallen“, konnte klinisch bestätigt werden.
3. Die in der Literatur als Bissfolge beschriebene, klinische Symptomatik − schmerzhafte Schwellung mit zyanotischer Blaufärbung der betroffenen Extremität (hier des Arms) bei gleichzeitiger Schwellung der Schulter und Thoraxseite (Brust und Rücken) [2] − mag man als „unmittelbare Bissfolge“ und damit „uncharakteristisch“ für eine homöopathische Verschreibung abtun. Sie darf trotzdem durch den vorliegenden Fall und seine Heilung als ebenfalls klinisch bestätigte Pathologie und damit Heilanzeige gelten, auch wenn sie vielleicht nicht denselben individualisierenden Stellenwert hat wie die unter 1. und 2. genannten Punkte. Die beschriebene Klinik des Falls erinnert in der Tat sehr an das Bild einer akuten Thrombose der Vena subclavia (sog. TIS, Thoracic-inlet syndrome oder auch Paget-von-Schrötter-Syndrom), auch wenn diese phlebografisch nicht nachgewiesen wurde. Eine andere pathophysiologische „Erklärung“ der Beschwerden lässt sich nach bisherigem Wissensstand nicht finden.
4. Das beiläufig geheilte Symptom „prämenstruelle Brustschmerzen“ bedarf weiterer Bestätigung. Es kann jedoch gesagt werden, dass es sich nahtlos in die bekannten prämenstruellen Beschwerden, die von verschiedenen Schlangengiften allgemein geheilt wurden, einreihen lässt und deren starke „hormonelle“ Wirksamkeit unterstreicht. Auch Vipera berus scheint (erwartungsgemäß) diese Wirkungen zu haben.
5. In Allens Handbook [2] finden sich noch weitere Beobachtungen, die in diesem Fall ebenfalls eine Rolle spielten: kollaptische Kreislaufzustände sowie eine Neigung zum Gähnen (was aus dem Gefühl der Luftnot resultierte).
6. Einige der von Kent dem Arzneimittelbild von Lachesis zugeordneten „Persönlichkeitsmerkmale“ („Nichts ist charakteristischer für den Lachesis-Patienten als das Selbstbewusstsein, die Einbildung, der Neid, der Hass, das Rachegefühl und die Grausamkeit“ sowie „unaufhörliche Geschwätzigkeit“ [8]) ließen sich, allerdings mit deutlichen Einschränkungen, ebenfalls bei dieser mit Vipera berus geheilten Patientin wiederfinden, was unterstreicht, dass diese aus der Interpretation klinischer Erfahrung herrührenden „Psychogramme“ Kents bestenfalls Anregungen sein können, aber keine ausreichend solide Grundlage einer individualisierenden Verschreibung darstellen, zumal sie das eigentliche Leiden gar nicht abbilden! Nur zu oft jedoch konstruieren sie lediglich ein fragwürdiges, psychologisches Schema, das einer wirklichen Individualisierung und damit einer zuverlässigen Grundlage der Homöopathie im Wege steht..
7. Etliche der von zeitgenösssischen Autoren (z. B. Mangialavori [9]) „den Schlangen“ pauschal untergeschobenen Merkmale (z. B. das Sprechen mit gespaltener Zunge, die allgemeine Bedeutung der Pathologie der Sprache − z. B. auch als Aphasie und der Sprachlosigkeit, des Tabus und damit des Unausgesprochenen −, die fehlende Geborgenheit in der Ursprungsfamilie und die daraus resultierende „Beziehungslosigkeit“ sowie ein „kaltes“, berechnendes, manipulatives Wesen mit entsprechender manipulativer Sexualität) ließen sich auch in diesen Viperafall mehr oder weniger zwanglos integrieren. Dies erfordert zum einen jedoch nicht nur ein erheblich geschultes psychologisches Verständnis, sondern wirft andererseits auch die berechtigte Frage auf, ob dies überhaupt eine sinnvolle, weil eindeutige und unmissverständliche Grundlage einer individualisierenden Verschreibung sein kann. Zudem muss man sich fragen, ob diese bei weitem nicht immer aus Prüfungen, sondern überwiegend aus der interpretierenden Deutung klinischer Erfahrungen herrührenden „Zeichen“, die an mit diesen Mitteln erfolgreich behandelten Patienten gewonnen wurden, überhaupt mittels der Homöopathie geheilt werden können. Denn dass alles, was an einem Patienten an „Merkmalen“ anzutreffen ist, auch automatisch dem Mittelbild und damit dem therapeutischen Einfluss derjenigen Arznei zugeordnet werden kann, die ihn von gewissen anderen Beschwerden befreit hat, ist unbewiesen und besitzt auch keine empirische Grundlage. Dass eine Arznei, die einen Patienten von bestimmten Symptomen geheilt hat, auch alles andere an ihm „in Ordnung“ bringt, auch wenn dieses „andere“ niemals in einer Prüfung dieser Arznei aufgetreten ist, weil es sich z. B. um bestimmte „kritikwürdige“ Charaktereigenschaften handelt, erscheint deshalb mehr als fragwürdig.
Wenn wir also bei obiger Patientin erkennen können, dass sie keine liebevolle Mutter hatte, dass Sprachlosigkeit zwischen den Ehepartnern vorherrschte, und dass sie sexuelle Erregung bloß vortäuschte, wie soll uns dies weiterhelfen, um zu einer erfolgreichen Verschreibung zu kommen? Und dürfen wir glauben, dies alles könne von einer (und noch dazu einer einzigen!) homöopathischen Arznei „geheilt“ werden? Selbst wenn wir also die Idee eines Schlangenmittels daraus ableiten könnten, welche Schlange unter den vielen Hundert existierenden sollten wir da nehmen, zumal die meisten noch gar nicht geprüft sind?
8. Es bleibt weiter kein anderer Weg übrig als die Prüfung und anschließende klinische Verifikation einer Arznei anzustreben; eine Aufgabe, der sich viel zu wenig Homöopathen gewissenhaft widmen. Allgemeine Betrachtungen aber, auch wenn sie noch so „tief schürfend“ sind und die Psychoanalyse, die Philosophie und die Mythologie bemühen, bringen uns unserem Ziel der Heilung nicht im Entferntesten so nahe wie ein gut dokumentierter Fall, der Prüfsymptome verifiziert.
Ich bestätige hiermit den sachlichen Bericht (XX, Name ist der Redaktion bekannt).
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Literatur
- 1 Allen TF. The Encyclopedia Of Pure Materia Medica. New Delhi: B. Jain; Reprint 1988
- 2 Allen TF. Handbook Of Materia Medica And Homoeopatic Therapeutics. New Delhi: B. Jain; Reprint 1986
- 3 Boericke W. Handbuch der homöopathischen Materia medica. Quellenorientierte Neuübersetzung: Heidelberg: Haug; 1994
- 4 Cowperthwaite AC. A Textbook Of Materia Medica And Therapeutics. Chicago 1885
- 5 Hering C. The Guiding Symptoms Of Our Materia Medica. New Delhi: B. Jain; New Delhi; Reprint 1986
- 6 Hering C. Wirkungen des Schlangengiftes. Göttingen: Burgdorf Verlag; Göttingen; 1990. Nachdruck der Originalausgabe von 1837.
- 7 Jahr GHG. Ausführliche Arzneimittellehre. oO: Bernd von der Lieth Verlag; Nachdruck der Originalausgabe von 1848.
- 8 Kent JT. Arzneimittelbilder. übersetzt und hrsg. v. Heits E Heidelberg: Haug; 8. Aufl. 1958
- 9 Mangialavori M. Knowledge, Seduction and Forsakenness. Autorisierte Seminarmitschrift v. Burley V, Matrix Bd. III. 2003
- 10 Vermeulen F. Konkordanz der Materia Medica. Haarlem: Emryss Publishers; 2000
- 11 Zandfoort Rv. The Complete Repertory. Computerprogramm.