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DOI: 10.1055/s-0031-1298680
„Die Elimination von Tumorstammzellen vorantreiben“
TumorentstehungPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
28. März 2012 (online)



Univ.-Prof. Dr. Thomas Dittmar
Studium der Chemie in Bochum, Promotion am Institut für Immunologie der Universität Witten/Herdecke, 2003 bis 2009 Juniorprofessur für Tumorimmunologie, seit 2010 Universitäts-Professor an der Universität Witten/Herdecke, Forschungsschwerpunkte: Tumorimmunologie, Tumorstammzellen.
DZO: Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Theorie über die Tumorentstehung in den letzten Jahrzehnten verändert?
Prof. Dittmar:
Die bisherige Lehrmeinung ging davon aus, dass Tumorzellen ihren Ursprung in somatischen, ausdifferenzierten Zellen haben, die durch die Akkumulation von chromosomalen Abberationen (Mutationen, Aneuploidien, Deletionen, Translokationen, etc.) eine maligne Transformation durchlaufen haben. Welcher Mechanismus, Mutationen oder Aneuploidien, letztlich die treibende Kraft bei der Tumorigenese ist, ist nach wie vor unklar. Fakt ist jedoch, dass sowohl Mutationen als auch Aneuploidien allgegenwärtig in Tumoren sind.
Beide Theorien versagen jedoch bei der Erklärung folgender Phänomene: a) nur ein bestimmter Teil von Tumorzellen ist überhaupt in der Lage, Tumore zu induzieren, und b) Tumorgewebe ist im Vergleich zum umliegenden Organgewebe nur schwach differenziert. Bei Letzterem wurde vermutet, dass dies ein Nebeneffekt der Tumorentwicklung, hervorgerufen durch die Akkumulation von chromosomalen Abberationen, sei. Parallel zur malignen Transformation durchliefen diese Zellen eine Redifferenzierung. Aber wie verhält es sich mit dem ersten Punkt? Warum sind nur bestimmte Tumorzellen in der Lage, Tumore zu induzieren? Dieses Phänomen ist bereits seit den 1960er-Jahren bekannt und steht in direktem Widerspruch zu den bisher gängigen Hypothesen der Tumorentstehung. Ausgehend von diesen Theorien sollte jede Tumorzelle ähnliche tumorigene Eigenschaften besitzen, was de facto nicht der Fall ist.
Basierend auf dieser Erkenntnis wurde die Tumorstammzell-Hypothese entwickelt. Diese Hypothese besagt, dass Tumorgewebe ähnlich aufgebaut ist wie normales Organgewebe, nämlich aus einer kleinen Zahl von Tumorstammzellen sowie einer großen Zahl von „differenzierten“ Tumorzellen. Der erste Nachweis von Tumorstammzellen gelang Dominique Bonnet und John Dick im Jahre 1997 am Beispiel der akuten myeloischen Leukämie. Im Jahre 2003 gelang der Nachweis von potenziellen Tumorstammzellen bei einem soliden Tumor, dem Brustkarzinom. In den darauf folgenden Jahren wurden Tumorstammzellen in weiteren Tumoren identifiziert, wie dem Kolon- bzw. dem Kolorektalkarzinom, aber auch dem malignen Melanom.
Bei den Tumorstammzellen handelt es sich um Tumorzellen mit Stammzelleigenschaften. Tumorstammzellen, wie normale Gewebestammzellen, können sich selbst erneuern (das bedeutet, dass bei jeder Teilung wieder eine (Tumor)Stammzelle entsteht. Diese Fähigkeit von Stammzellen ist immanent wichtig, um den Stammzellpool in einem Gewebe zu erhalten), sie können differenzieren und sie können das Gewebe regenerieren. Diese Fähigkeit von Stammzellen konnte eindrucksvoll in tierexperimentellen Studien demonstriert werden. So konnte das gesamte blutbildende System einer Maus, welche zuvor bestrahlt wurde, um deren Knochenmark zu zerstören, durch Transplantation von einer hämatopoietischen Stammzelle wiederhergestellt werden. Im Falle von Tumorstammzellen bedeutet diese Fähigkeit jedoch, dass Tumorstammzellen jene Zellen sind, woraus der Tumor hervorgeht und welche den Tumor erhalten. Die Fähigkeit, einen Tumor zu initiieren, wird auch als Nachweismethode verwendet, um Tumorstammzellen zu identifizieren. Tierexperimentelle Studien belegen, dass nur ca. 100 Tumorstammzellen ausreichen, um einen Tumor zu induzieren.
Da gemäß der Hypothese nur Tumorstammzellen zur Tumorinitiation befähigt sind, bedeutet dies, dass Tumorstammzellen nicht nur für den Primärtumor, sondern auch für die Bildung von Metastasen sowie Rezidiven verantwortlich sind. Experimentelle Studien belegen dies.
Aufgrund der „verwandtschaftlichen“ Nähe zu Gewebestammzellen wird vermutet, dass Tumorstammzellen entweder aus diesen oder aber aus sogenannten Progenitorzellen hervorgehen. Progenitorzellen stellen die ersten differenzierten Zellen dar, die aus Stammzellen hervorgehen, die sich jedoch nicht mehr „selbst erneuern“ können. Experimentelle Daten belegen, dass Progenitorzellen unter bestimmten Umständen die Befähigung zur Selbsterneuerung wiedererlangen können und dass aus derartigen Zellen Tumorstammzellen hervorgehen können.
DZO: Gibt es neue Ansätze, die auch für die therapeutischen Bemühungen relevant sind?
Prof. Dittmar:
Die Erkenntnis, dass Tumore hierarchisch aufgebaut sind wie normale Gewebe und ihren Ursprung in Tumorstammzellen haben, hat unser Verständnis, wie eine Tumorerkrankung zu therapieren ist, deutlich verändert. Wie bereits oben erwähnt, besitzen Tumorstammzellen Stammzelleigenschaften wie die Befähigung zur Selbsterneuerung, zur Differenzierung und zur Geweberegeneration. Stammzellen besitzen jedoch noch weitere elementare Eigenschaften. Im Vergleich zu Progenitorzellen, die eine sehr hohe proliferatorische Aktivität aufweisen, ist die Zellteilungsaktivität von Stammzellen äußerst gering. Hinzu kommt, dass Stammzellen ein sehr effizientes DNS-Reparatursystem sowie ABC-Multidrug-Resistenz-Transporter besitzen. Hierdurch können Stammzellen wesentlich höheren Dosen an Strahlung sowie Zellgiften vertragen.
Unter physiologischen Gesichtspunkten sind diese Charakteristika von Stammzellen sinnvoll, denn hierdurch wird der Status quo von Stammzellen in einem Organ aufrecht gehalten. Kommt es zu einem Verlust der Stammzellen, kann sich das betreffende Organ nicht mehr aus sich heraus regenerieren, was letztlich den Niedergang des Organs nach sich zieht. Dies wird am Beispiel einer Knochenmarktransplantation deutlich. Damit das neue Knochenmark sich ansiedeln kann, muss das alte zunächst eliminiert werden. Wenn es nach der Transplantation dann nicht geschafft wird, dass sich das neue Knochenmark dauerhaft ansiedelt, kann sich das neue blutbildende System nicht etablieren und der Patient stirbt daran.
Dieses Beispiel zeigt jedoch auch, welche Strategien für zukünftige Krebstherapien gegenwärtig entwickelt werden. Gelänge es, die Tumorstammzellen zu eliminieren, würde dem Tumor seine Grundlage entzogen. In der Literatur wurde dies einmal mit dem Entfernen von Löwenzahn aus dem Garten verglichen. Es reicht nicht aus, den sichtbaren Teil der Pflanze zu entfernen, sondern man muss „das Übel an der Wurzel packen“, um die Pflanze dauerhaft entfernen zu können. Das Gros der gegenwärtigen Tumortherapien zielt auf die Elimination der sich schnell teilenden Tumorzellen, wobei die Effizienz derartiger Therapien daran gemessen wird, wie schnell der Tumor in Abhängigkeit zur Zeit schrumpft. Je schneller, desto besser.
Das Problem ist jedoch, dass Tumorstammzellen derartige Therapien aufgrund ihrer Stammzelleigenschaften überleben können und nachfolgend die Bildung von Rezidiven auslösen können. Welche Ansätze zur Eliminierung von Tumorstammzellen sich letztlich als erfolgversprechend erweisen werden, bleibt abzuwarten. Eine Strategie, die verfolgt wird, ist es, Targets in den Tumorstammzellen auszumachen, die diese von normalen Stammzellen unterscheiden und die für entsprechende Therapiezwecke verwendet werden können. Ein weiterer Ansatz verfolgt die Strategie, die Proliferationsrate von Tumorstammzellen zu erhöhen, damit diese wieder empfänglich für konventionelle Tumortherapien wie Chemotherapie oder Bestrahlung werden und dadurch eliminiert werden.
DZO: Wie würden Sie die besonderen Stoffwechseleigenschaften von Tumorzellen beschreiben? Welche Rolle spielt dabei der häufig angebrachte Vergärungsstoffwechsel?
Prof. Dittmar:
Sie sprechen hier auf den sogenannten Warburg-Effekt an, welcher von Otto Warburg bereits 1926 postuliert wurde und der besagt, dass Tumorzellen Glukose häufig anders metabolisieren als normale Zellen. Interessant ist, dass die Warburg-Hypothese in den vergangenen 10 Jahren wieder stärker in den Fokus der Tumorforschung gerückt ist. Worauf dieser Effekt letztlich zurückzuführen ist, bleibt unklar. Ist eine Störung der Funktion von Mitochondrien die Ursache und möglicherweise daher auch die Ursache von Krebs oder tritt dieser Effekt quasi als Begleiterscheinung bei der Tumorprogression auf? Das Umschalten vom Zitratzyklus hin zur Glykolyse würde unter anaeroben Bedingungen, wie sie häufig im Tumorgewebe anzutreffen sind, Sinn machen.
Warum Tumorzellen die Glykolyse jedoch betreiben, wenn optimale Sauerstoffbedingungen im Gewebe vorherrschen, ist nach wie vor unklar. Denkbar ist eine mitochondriale Dysfunktion. Neuere Daten deuten aber auch darauf hin, dass Onkogene und Tumorsuppressorgene an der Kontrolle dieses metabolischen Schalters beteiligt sind.
Aber: Bezogen auf die Tumorstammzell-Hypothese wäre es von großem Interesse zu erforschen, ob sich dieser Effekt auch in den Tumorstammzellen wiederfindet. Wie bereits oben beschrieben, stellen Tumorstammzellen die Zielzellen für neue Krebstherapien dar. Dies gilt damit auch für Therapieverfahren, die den Warburg-Effekt als Zielmechanismus anvisieren.
DZO: Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass chronische Entzündungen die Tumorentstehung triggern können. Außerdem fand eine Untersuchung in der Presse Beachtung, dass in entzündetes Gewebe eingewanderte Knochenmarkstammzellen zu aggressiven Tumorzellen werden können. Widerspricht dies nicht dem Bild des klassischen Tumormodells? Was können wir daraus für zukünftige Therapien lernen?
Prof. Dittmar:
Die von Ihnen angesprochenen Daten zeigen, dass die Tumorigenese komplizierter ist als ursprünglich gedacht. Wurde bislang davon ausgegangen, dass solide Tumore ihren Ursprung im jeweiligen Gewebe haben (z. B. Brustkarzinome entstammen aus maligne transformierten Bruststammzellen bzw. -progenitorzellen, etc.), so zeigen die Daten von Houghton et al., dass solide Tumore auch ihren Ursprung in maligne transformierten Knochenmarkstammzellen haben können. Obgleich ein derartiger Mechanismus meines Wissens nach bislang nur im Tiermodell für ein Magenadenokarzinom, hergerufen durch eine chronische H.-felis-Infektion, nachgewiesen wurde, belegen diese Daten jedoch eindrucksvoll, dass a) Tumore aus malignen transformierten Stammzellen und nicht somatischen Zellen hervorgehen und dass b) chronisch entzündetes Gewebemilieu die Tumorigenese fördern kann.
Es muss jedoch beachtet werden, dass chronisch entzündliche Prozesse nicht nur bei der Tumorentstehung beteiligt sein können, sondern auch bei der Tumorprogression. Tumorgewebe ähnelt chronisch entzündetem Gewebe. Tumore werden auch als „Wunden, die nicht heilen“ bezeichnet. Dieses chronisch entzündete Tumorgewebe ist maßgeblich an der Tumorprogression beteiligt, da hier ein Milieu vorherrscht, welches ebenfalls im späteren Verlauf der Wundheilung anzutreffen ist: Sekretion von immunsuppressiven Faktoren wie Interleukin-10, IDO, Arginase, aber auch Wachstumsfaktoren wie bFGF oder VEGF, welche für die Reepithalisierung des Gewebes bzw. für die Neubildung von Blutgefäßen wichtig sind, durch sogenannte M2-polarisierte Makrophagen. Hierdurch wird ein Milieu geschaffen, welches die Proliferation von Tumorzellen fördert: Induktion der Proliferation von Tumorzellen bei gleichzeitiger Immunsuppression. Darüber hinaus ist bekannt, dass Tumorzellen und Makrophagen sich gegenseitig stimulieren können, was ebenfalls zu dem Prozess der Tumorprogression beiträgt.
Demgegenüber stehen die sogenannten M1-polarisierten Makrophagen, die vor allem zu Beginn der Wundheilung aktiv sind und an der Eliminierung von Pathogenen beteiligt sind und die eher antitumorigene Eigenschaften aufweisen. Tatsächlich belegen Studien, dass das Vorhandensein von M1-Makrophagen im Tumorgewebe eher mit einer besseren Prognose korreliert. Im Gegensatz sind M2-Makrophagen eher mit einer schlechteren Prognose assoziiert.
Diese neuen Erkenntnisse zeigen, welche essenzielle Rolle das Immunsystem im System Tumor spielt. Zukünftige Therapien könnten daher nicht nur allein auf die Eliminierung von Tumorstammzellen und schnell proliferierende Tumorzellen abzielen, sondern auch das Immunsystem mit einbeziehen.
DZO: Welche Eigenschaften sind Ihrer Meinung nach für die Aggressivität eines Tumors verantwortlich? Welche Probleme ergeben sich hieraus?
Prof. Dittmar:
Die Erkenntnis, dass mehr als 90 % aller Tumorpatienten nicht am Primärtumor, sondern an den Metastasen versterben, zeigt, wo meiner Einschätzung nach die Aggressivität eines Tumors am besten charakterisiert werden kann. Nach wie vor ist nicht wirklich verstanden, warum sich Tumorzellen vom Primärtumor ablösen und Metastasen bilden können. Eine weitere Eigenschaft, die für die Aggressivität eines Tumors verantwortlich ist, stellt das chronisch entzündete Tumormilieu dar. Die vergangenen 10―20 Jahre haben eindrucksvoll die Interaktionen zwischen Tumorzellen und Zellen des Immunsystems und deren Einfluss auf die Tumorprogression verdeutlicht.
Von großer Bedeutung für die Aggressivität eines Tumors mag sicherlich auch der Prozess der Zellfusion sein, der u. a. bei der Wundheilung, aber auch bei anderen physiologischen Prozessen beteiligt ist. Es ist bekannt, dass Entzündungsprozesse die Zellfusionsrate positiv triggern. Unter physiologischen Gesichtspunkten ist dies sinnvoll, da hierdurch die Wundheilung unterstützt wird. Unter pathophysiologischen Gesichtspunkten, wie bei einer Tumorerkrankung, ist dies jedoch kontraproduktiv, da aus der Fusion von Tumorzellen und anderen Zellen, wie Makrophagen oder Knochenmarkstammzellen, Hybridzellen mit neuen Eigenschaften hervorgehen können. Hierzu zählt z. B. ein erhöhtes metastatogenes Potenzial, eine höhere Proliferationsrate oder eine erhöhte Unempfindlichkeit gegenüber Zytostatika.
DZO: Zerstört eine Chemotherapie dann überhaupt die aggressiven Tumorstammzellen?
Prof. Dittmar:
Das ist eine Frage, die sich nicht so leicht beantworten lässt. Wie bereits erwähnt, können Tumorstammzellen aufgrund ihrer Stammzelleigenschaften konventionelle Tumortherapieverfahren wie die Chemotherapie oder Bestrahlung überleben. Hinzu kommt, dass im Tumorgewebe mehrere verschiedene Tumorstammzellklone vorhanden sein können, die sehr wahrscheinlich aus einer Ursprungs-Tumorstammzelle hervorgegangen sind. Diese evolutive Dynamik von Tumorstammzellen lässt erahnen, dass die Biologie von Tumorstammzellen wesentlich komplexer ist als anfänglich gedacht.
Zudem muss bedacht werden, dass eine Tumorerkrankung eine sehr individuelle Erkrankung ist. Wenn wir zwei Patienten miteinander vergleichen, die am selben Tumortyp erkrankt sind, so kann der Verlauf der Krebserkrankung inklusive der Therapie bei beiden vollkommen unterschiedlich verlaufen. Patient A spricht auf die Therapie an, Patient B nicht. Oder: Beide Patienten sprechen auf die Therapie an, wobei Patient A nach einem Jahr ein Rezidiv bekommt, nicht aber Patient B. Worauf diese Unterschiede letztlich zurückzuführen sind, ist nicht bekannt. Denkbar ist, dass ein Patient, bei dem die Tumortherapie erfolgreich war, Tumorstammzellen besessen hat, die sensitiv für die gewählte Chemotherapie/Bestrahlung waren. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass die Tumorstammzellen die Therapie überlebt haben und sich jetzt in einer Art „Winterschlaf“ befinden. Derartige „Schläferzellen“ können Jahrzehnte im Körper überdauern, ohne dass sie in Erscheinung treten.
Ein weiteres Problem, welches mit den konventionellen Therapieverfahren assoziiert sein könnte, ist, dass diese einen selektierenden Effekt auf Tumorstammzellen haben könnten. Gehen wir davon aus, dass die Tumorstammzellen in Patient A das Therapieverfahren B überlebt hätten und würden diese Tumorstammzellen dann ein Rezidiv initiieren, so sollte dies mehr oder weniger phänotypisch identisch mit dem originären Tumor sein und sich ebenfalls mit dem Therapieverfahren B therapieren lassen. Häufig ist jedoch zu beobachten, dass Rezidive aggressiver als der originäre Tumor sind und dass Rezidive eine Resistenz gegenüber dem verwendeten Therapieverfahren aufweisen. Diese Resistenz ist nicht auf die Tumorstammzellen allein beschränkt, sondern umfasst das gesamte Rezidiv. Dieses in der Wissenschaft als „oncogenic resistance“ bezeichnete Phänomen steht im Widerspruch zur Tumorstammzell-Hypothese.
Damit ein Rezidiv mit einem „oncogenic resistance“ Phänotyp entstehen kann, braucht es meiner Ansicht nach einen speziellen Typ von Tumorstammzellen, die sogenannten Rezidiv-Tumorstammzellen, welche ich vor einigen Jahren postuliert habe. Diese spezifischen Tumorstammzellen könnten während der eigentlichen Tumortherapie (Chemotherapie/Bestrahlung) entstehen, wobei die verwendete Therapie quasi als Selektionsdruck auf die im Tumorgewebe vorhandenen Tumorstammzellen einwirken würde.
Eine Möglichkeit, wie Rezidiv-Tumorstammzellen entstehen könnten, wäre die Zellfusion. Die durch die Chemotherapie/Bestrahlung verursachte Eliminierung von Tumorzellen ruft eine Entzündungsreaktion des Körpers hervor, sodass es zur Rekrutierung von Makrophagen und Knochenmarkstammzellen kommen könnte. Um das degenerierte Tumorgewebe zu regenerieren, könnten diese Zellen mit den Tumorstammzellen fusionieren. Wichtig in diesem Zusammenhang ist wieder der Erhalt des Status quo der Stammzellpopulation in dem betreffenden Gewebe. Im Falle von Tumorgewebe könnte dies jedoch die Bildung von aggressiveren Rezidiv-Tumorstammzellen zur Folge haben.
DZO: Welche Herausforderungen in der Forschung erwarten Sie für die Zukunft?
Prof. Dittmar:
Eine der größten Herausforderungen wird sicherlich die Entwicklung von Therapieverfahren sein, die es erlauben werden, Tumorstammzellen sowie Klone von Tumorstammzellen gezielt zu eliminieren. Zudem erhoffe ich mir, dass wir eines Tages verstehen werden, welche Mechanismen an der Metastasierung von Tumorzellen beteiligt sind. Nach wie vor ist es so, dass mehr als 90 % aller Tumorpatienten nicht am Primärtumor, sondern an den Metastasen versterben. Wenn wir verstehen, welche Moleküle an der Metastasierung beteiligt sind, könnten diese Moleküle als Ziele für neuartige Therapieverfahren verwendet werden. Viel verspreche ich mir auch davon, dass wir besser verstehen werden, welche zellulären Interaktionen im chronisch entzündlichen Tumormilieu ablaufen, welche Rolle diese in der Tumorprogression spielen (Stichwort M1- und M2-Makrophagen) und ob das Verständnis dieser Prozesse zu neuen Therapieverfahren genutzt werden kann.
Eine entscheidende Rolle wird sicherlich auch das Verständnis des Prozesses der Zellfusion spielen. Die Fusion zwischen Tumorzellen und anderen Zellen, wie Makrophagen oder Knochenmarkstammzellen, kann zur Entstehung von Hybridzellen führen, die neue Eigenschaften besitzen können und die zur Tumorprogression beitragen können. Auch hier gilt: Nur wenn dieser Prozess verstanden wird inklusive der daran beteiligten Moleküle, können neue Intervenierungsstrategien entwickelt werden.
DZO: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?
Prof. Dittmar:
Um ehrlich zu sein: viel zu wenig. Meine Freizeit verbringe ich mit meiner Familie und versuche, regelmäßig Sport zu treiben. Nicht Rauchen, wenig Alkohol, wenig Fleisch, viel Gemüse, generell gesundes Essen – das war’s auch schon.