Arzneimittelforschung 2010; 60(11): 698-700
DOI: 10.1055/s-0031-1300718
PMS-Symposium: Innovative Therapies in Hepatology
Editio Cantor Verlag Aulendorf (Germany)

II. Therapie der Hepatitis B und hepatobiliäre Onkologie

Leitlinien zur Therapie der Hepatitis B –national und international
Markus Cornberg
Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie, Medizinische Hochschule Hannover
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Publication Date:
30 December 2011 (online)

Die Hepatitis B Virus (HBV)-Infektion ist verantwortlich für die meisten chronischen Virushepatitiden, Leberzirrhosen und hepatozellulären Karzinome weltweit. Die Anzahl der chronisch Infizierten wird auf bis zu 420 Millionen geschätzt. In Deutschland wird mit ca. 500 000 Personen gerechnet, die chronisch mit HBV infiziert sind, mehr als 50% sind nicht deutscher Herkunft. Die Anzahl der nicht identifizierten HBV-Fälle ist hoch. Eine frühe Diagnose kann letztendlich dazu führen, dass die Patienten rechtzeitig einer Therapie zugeführt werden. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen akuter und chronischer HBV-Infektion. Der Verlauf der chronischen HBV-Infektion ist hochvariabel und dynamisch, sie kann asymptomatisch verlaufen oder mit einer Leberzellschädigung einhergehen (Hepatitis) ([Abb. 1]).

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Abb. 1: Dynamischer Verlauf der chronischen HBV-Infektion. Wir unterscheiden eine hochreplikative, chronische HBV-Infektion ohne Zeichen der Leberzellschädigung, meist nach vertikaler Übertragung oder Infektion im Kleinkindesalter, eine HBeAg-positive chronische Hepatitis B mit Leberzellschädigung, einen inaktiven HBs-Ag-Trägerstatus (HBe-Ag-negativ und niedrig replikativ) mit einem Risiko der Reaktivierung (Hepatitis) im Spontanverlauf oder unter Immunsuppression und einer HBeAg-negativen Hepatitis B mit Leberzellschädigung.

Nicht jeder Patient bedarf einer sofortigen Therapie. Die Kenntnis über den natürlichen Verlauf der HBV-Infektion ist wichtig, um die korrekte Indikation für die Therapie zu stellen. Die Indikationsstellung berücksichtigt in erster Linie die Höhe der Virusreplikation im Serum, den Entzündungs-/Fibrosestatus in der Leberbiopsie und die Höhe der Serumtransaminasen. Insbesondere Patienten mit fortgeschrittener Fibrose oder Zirrhose benötigen eine konsequente antivirale Therapie bei jedem Nachweis einer Virämie ([Abb. 2]). Das Risiko für die Entwicklung einer Leberzirrhose und eines hepatozellulären Karzinoms steigt deutlich an ab einer HBV-DNA >2000 IU/ml. In den Untersuchungen wurden allerdings keine hochreplikativen, immuntoleranten HBsAg (hepatitis B surface antigen)-Träger berücksichtigt ([Abb. 1]). Die deutsche Leitlinie und die europäische „Practice Guideline” sind hier vergleichbar, ein Algorithmus zur Therapieindikation ist in [Abb. 2] dargestellt.

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Abb. 2: Therapieindikation (nach Cornberg et al., S3-Leitlinie 2007, modifiziert nach Konsensuskonferenz 2010).

Im Fall einer immunsuppressiven Therapie (insbesondere mit Rituximab) ist besondere Vorsicht geboten. Hier müssen auch HBsAg-Träger prophylaktisch antiviral behandelt werden, da Reaktivierungen häufig sind. Selbst bei HBsAg-negativen, anti-HBc-positiven Patienten kann es zu HBV-Reaktivierungen kommen, so dass hier ein Monitoring erfolgen muss; im Fall von Rituximab kann sogar eine prophylaktische Therapie sinnvoll sein.

Das Ziel der Therapie der chronischen Hepatitis B ist, die Morbidität und Mortalität der HBV-Infektion zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Surrogatmarker wie HBsAg und HBV-DNA während und nach der Behandlung zur Überprüfung des Therapieerfolgs herangezogen werden. Erfreulicherweise haben sich die Behandlungsoptionen ([Tab. 1]) in den letzten Jahren deutlich verbessert, so dass bei rechtzeitiger Therapie fast in jedem Fall die Folgekomplikationen verhindert werden können (Literatur siehe deutsche S3-Leitlinie und europäische Practice Guideline [1] [2]).

Tab. 1: Behandlungsoptionen der chronischen Hepatitis B.

Patientengruppe

Therapieform

Therapiedauer

Therapie mit Interferon alfa (IFN)

Alle Patienten ohne Kontraindikationen, günstige Voraussetzungen sind niedrige HBV-DNA, hohe ALT, HBV-Genotyp A und B

Therapie mit IFN

Standardinterferon alfa-2b/-2a (Intron A® oder Roferon®-A):

9–10 Mio. i. E., 3 × pro Woche oder

5–6 Mio. i. E. täglich subkutan

Therapie mit PEG-IFN (Standard)

Peg-IFN alfa-2a (Pegasys®): 180 µg 1 × pro Woche subkutan

6–12 Monate

Therapie mit Nukleos(t)idanaloga

Therapie-naive Patienten

Lamivudin (Zeffix® oder Epivir®): 100 oder 150 mg täglich

Therapie bis 12 Monate nach Serokonversion zu anti-HBe bei HBeAg positiven Patienten (meist dauerhafte Therapie notwendig)

Auswahl der Medikation anhand Höhe der HBV-DNA

Adefovir (Hepsera®): 10 mg täglich (nicht mehr zu empfehlen)

Telbivudin (Sebivo®): 600 mg täglich

Entecavir (Baraclude®): 0,5 mg täglich; bei Lamivudin-Resistenz: 1 mg täglich

Tenofovir (Viread®): 245 mg täglich

Patienten mit Resistenz

Therapie rechtzeitig anpassen. Bei Nukleosidresistenz (Lamivudin, Telbivudin, Entecavir) Therapieumstellung auf Tenofovir; bei Adefovirresistenz Therapieumstellung auf Entecavir oder Tenofovir; eine Tenofovirresistenz wurde bislang nicht beschrieben (theoretisch Umstellung auf Entecavir oder Kombinationstherapie).

Meist dauerhafte Therapie notwendig

Hepatitis B und Zirrhose

Therapie mit Nukleos(t)idanalogon mit hoher antiviralen Effektivität und niedriger Resistenzbarriere (Entecavir, Tenofovir) ggf. Indikation zur Lebertransplantation überprüfen

Dauerhafte Therapie

Die Behandlungsoptionen der chronischen Hepatitis B ([Tab. 1]) bestehen zum einen in der Gabe von (pegyliertem) Interferon alfa und auf der anderen Seite von Nukleosid- und Nukleotidanaloga, die die HBV-Replikation hemmen. Da eine Interferontherapie grundsätzlich zeitlich begrenzt ist und der Therapieerfolg in der Regel dauerhaft ist, sollte zunächst geprüft werden, ob eine Interferon alfa-Therapie möglich und sinnvoll ist. Faktoren, die mit einem Interferonansprechen assoziiert sind und bei deren Vorliegen eine Interferon alfabasierte Therapie besonders empfohlen werden kann, sind HBV-Genotyp A, niedrige Viruslast (< 106–7 Kopien/ml), mindestens zwei- bis dreifach erhöhte Transaminasen (ideal mindestens fünffach erhöhte Transaminasen) und nicht vorbehandelte Patienten (Literatur siehe deutsche S3-Leitlinie und europäische Practice Guideline [1] [2]). Wird keine Interferontherapie begonnen, sollte bei der Auswahl von Nukleosid- und Nukleotidanaloga das Stadium der Lebererkrankung sowie die Höhe der HBV-Virämie berücksichtigt werden. Liegt eine Leberzirrhose vor, sollte eine Substanz mit hoher genetischer Resistenzbarriere eingesetzt werden. Außerdem ist die Indikation zur Lebertransplantation zu prüfen. Eine antivirale Therapie bei Patienten mit Leberzirrhose verringert das Risiko einer Dekompensation und die Entstehung eines hepatozellulären Karzinoms. Gelingt es, mit einer antiviralen Therapie die Virusreplikation dauerhaft zu senken, ist das Überleben von Patienten mit Leberzirrhose verbessert (Literatur siehe deutsche S3-Leitlinie und europäische Practice Guideline [1] [2]). Die Therapie mit einem Nukleosid- oder Nukleotidanalogon ist meist dauerhaft. Eine Anti-HBs-Serokonversion wird nur sehr selten erreicht. Bei HBeAg-positiven Patienten kann die Therapie 12 Monate nach Anti-HBe-Serokonversion beendet werden. Rückfälle sind aber möglich.

Während der antiviralen Therapie sollten Kontrollen von HBV-DNA und ALT alle 3–6 Monate durchgeführt werden (Kontrolle von Compliance und Resistenzmonitoring). Bei Therapie mit Nukleosid- oder Nukleotidanaloga sollte bei nicht ausreichendem Ansprechen die Behandlung nach spätestens 6 bis 12 Monaten angepasst werden ([Abb. 3]).

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Abb. 3: Therapiealgorithmus.
 
  • Literatur

  • 1 Cornberg M, Protzer U, Dollinger MM, Petersen J, Wedemeyer H, Berg T et al. (2007). [Prophylaxis][Diagnosis and Therapy of Hepatitis-B-Virus-(HBV-)Infection: upgrade of the guideline][AWMF-Register 021/011]. Z Gastroenterol. 2007; 45: 525-74
  • 2 European Association For The Study Of The L. EASL Clinical Practice Guidelines: management of chronic hepatitis B. J Hepatol. 2009; 50 (2) 227-42