Arzneimittelforschung 2010; 60(11): 709-710
DOI: 10.1055/s-0031-1300724
PMS-Symposium: Innovative Therapies in Hepatology
Editio Cantor Verlag Aulendorf (Germany)

Viruskinetik als Grundlage innovativer therapeutischer Konzepte bei Hepatitis B und C

Eva Herrmann
Institut für Biostatistik und mathematische Modellierung, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/Main
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Publication Date:
30 December 2011 (online)

Im Laufe der letzten 12 Jahre hat die mathematische Modellierung der Viruskinetik zur Analyse des virologi-schen Therapieansprechens einer antiviralen Therapie bei chronischer Hepatitis B und C die Entwicklung neuer Therapiekonzepte entscheidend unterstützt.

Dabei haben sich vor allem Kompartimentmodelle etabliert, die, ähnlich wie Kompartimentmodelle zur Pharmakokinetik, die wesentlichen biologischen Prozesse in einzelnen Patienten während der antiviralen Therapie beschreiben. Als Kompartimente werden dabei Kompartimente von nichtinfizierten Zielzellen des Virus, von freien Viren sowie von infizierten Zellen untersucht und die zentralen biologischen Prozesse wie Virusproduktion und -freisetzung, Neuinfektion bisher nicht infizierter Zielzellen sowie Abbauprozesse von freien Viren und infizierten Zellen modelliert. Mathematisch ergibt sich dabei ein Differentialgleichungssystem, dessen Parameter wie Virusproduktionsrate, Neuinfektionsrate sowie Abbaurate und Verlustrate infizierter Zellen bei Kenntnis von Virusquantifizierungen aus seriellen Blutproben für die individuellen Patienten angepasst werden können.

Viruskinetikmodelle konnten in überzeugender Weise genutzt werden, um Vor- und Nachteile antiviraler Therapien im Hinblick auf das virologische Ansprechen in Abhängigkeit verschiedener Therapie- und Wirtsfaktoren zu analysieren und frühzeitig während einer Therapie vorherzusagen. Insgesamt sind Basismodelle zur Analyse bei chronischer Hepatitis B und C relativ ähnlich, allerdings unterscheiden sie sich deutlich in ihrer Dynamik, also in der Größe der typischen Parameter.

Von zentraler Bedeutung für das Therapieansprechen ist dabei ein Parameter zur Therapieeffizienz der antiviralen Therapie in Bezug auf Hemmung der Virusproduktion, der üblicherweise mit e beschrieben wird. Es konnte gezeigt werden, dass diese Therapieeffizienz wie erwartet dosisabhängig ist und das Ansprechen auf verschiedene bewährte und in der Entwicklung befindliche Therapeutika (Interferon, Protease- und Polymeraseinhibitoren sowie Cyclophilininhibitoren bei Hepatitis C, Interferon sowie Nukleosid- und Nukleotidanaloga bei Hepatitis B) widerspiegelt. Daneben spielt der Parameter zur Verlustrate infizierter Zellen (typischerweise mit δ bezeichnet) eine entscheidende Rolle. Die bewährten Standardtherapien scheinen keinen Einfluss auf diesen Parameter zu haben, der somit eher individuelle Charakteristika der einzelnen Patienten, die nur in geringem Maße durch Therapien beeinflussbar sind, widerspiegelt und eine hohe Variabilität zwischen den Patienten besitzt.

Etwas anders scheint es bei Therapien der chronischen Hepatitis C mit zumindest initial hochwirksamen Proteaseinhibitoren zu sein. Hier lässt sich eine gesteigerte Verlustrate infizierter Zellen beobachten, die auch eine geringere Variabilität zwischen den Patienten aufweist. Dies könnte, muss aber nicht, durch Auswirkungen der Therapie auf die individuelle Immunantwort erklärt werden. Überzeugender erscheint der Ansatz, dass die gesteigerte Verlustrate infizierter Zellen dieser zumindest initial hochwirksamen Therapien durch einen verstärkten Rückgang von intrazellulärem Virus und somit einer Ausheilung infizierter Zellen unter dieser antiviralen Therapie erklärt werden kann.

Eine besondere Bedeutung sowohl für die chronische Hepatitis B als auch für innovative Therapiekonzepte für die chronische Hepatitis C haben aktuell Modelle, die auch Resistenzen direkt antiviral wirksamer Therapeutika berücksichtigen. Hierzu werden nicht nur ein homogenes Viruskompartiment und ein Kompartiment infizierter Zellen verwendet, sondern verschiedene Virustypen und von ihnen infizierte Zellen modelliert. Wesentliche neue Parameter stellen nun Mutationsraten zwischen den Virustypen sowie die Fitness der Viren vor und unter der Therapie dar. Schätzungen von solchen Raten können nur aufgrund von detaillierten Sequenzierungen vor, während und gegebenenfalls nach antiviraler Therapie bestimmt werden. Allerdings erlauben solche komplexen Modelle dann die Analyse verschiedenster Kombinationstherapien und Simulationsmodelle für das Therapieansprechen verschiedener Therapiestrategien. Auf diese Weise können weitaus mehr Therapiestrategien – beispielsweise Lead-In-Phasen und sequentielle Therapien sowie Therapiestrategien, die eine individuelle Anpassung der Länge der Therapie in Abhängigkeit vom initialen Therapieansprechen beinhalten – analysiert werden, als dies in direkter klinischer Prüfung möglich wäre. Vielversprechende Therapiekonzepte, die auf diese Weise identifiziert werden können, müssen dann anschließend selbstverständlich in klinischen Studien geprüft werden.

 
  • Weiterführende Literatur

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