Neuroradiologie Scan 2012; 02(02): 80-81
DOI: 10.1055/s-0032-1309405
Diskussion
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rtPA-Lyse – M1-Gefäßsuszeptibilität senkt die Chance auf eine frühe Rekanalisation

Eine frühe Wiedereröffnung der A. carotis nach rtPA-Lyse ist ein Marker für den weiteren Verlauf. Bei einem Drittel der Patienten gelingt die Rekanalisation jedoch nicht. Welche Prädiktoren dafür bedeutsam sind, untersuchten Kimura et al.
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Publication Date:
11 April 2012 (online)

Stroke 2011; 42: 3150–3155

Diabetes, lange Intervalle vom ersten Symptom bis zur Lyse, nicht kardioembolisch bedingte Schlaganfälle und Vorhofflimmern waren in früheren Studien Faktoren, bei denen eine frühe Gefäßöffnung nach Lyse seltener eintrat. Japanische Mediziner testeten klinische Variablen und das M1 SVS (SVS = Susceptibility Vessel Sign) auf ihre Vorhersagekraft.

63 Männer und 69 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 76,4 Jahren erhielten eine rtPA-Lyse wegen eines Verschlusses der A. carotis interna. Nach 1 h erfolgte eine Kontroll-MR-Angiografie. Bei 37,1 % war die Frührekanalisation gelungen. Die klinischen Charakteristika von Patienten mit positivem und negativem Ergebnis unterschieden sich nicht. In der nicht frührekanalisierten Gruppen (n = 83; 62,9 %) ergaben sich in einer ersten Analyse 8 Variablen mit wahrscheinlichem Einfluss auf das Misslingen einer schnellen Gefäßeröffnung (p < 0,2):

  • Vorhofflimmern

  • Zeit vom Einsetzen des Schlaganfalls bis zur Behandlung ≥ 140 min

  • Gabe von Warfarin

  • Blutzuckerspiegel ≥ 135 mg/dl

  • Erkrankungen der großen Arterien

  • Verschluss der A. carotis interna

  • M1-Okklusion

  • M1 SVS

Einer dieser Faktoren waren erhöhte Blutzuckerspiegel, nicht jedoch ein erhöhtes HbA1c, sodass die Autoren nicht einen Diabetes, sondern die Erhöhung des aktuellen Glukosespiegels als Risiko vermuteten.

Von allen untersuchten Möglichkeiten war in multivariater Analyse aber nur das M1 SVS ein relevantes Vorhersagekriterium (Odds Ratio: 7,157; 95 %-Konfidenzintervall 1,756–29,172; p = 0,006). Es wurde bei 22 % der Patienten beobachtet, die nach 1 h nicht den gewünschten Rekanalisationserfolg aufwiesen. Seine Sensitivität und Spezifität für eine nicht gelungene Frührekanalisation betrugen 31,3 und 93,9 %. Der positive und negative prädiktive Wert lagen bei 89,7 und 44,7 %.

Fazit: Das M1 SVS hatte eine hohe Vorhersagekraft für die Wahrscheinlichkeit des Nichtgelingens einer Frührekanalisation nach rtPA-Lyse von Karotisverschlüssen. Laut den Autoren waren alle anderen untersuchten, klinischen Variablen statistisch nicht bedeutsam.

Dr. Susanne Krome, Melle

1. Kommentar

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Dr. Christian H. Riedel, Institut für Neuroradiologie, UKSH, Campus Kiel, Arnold-Heller Str. 3, Haus 41, 24105 Kiel

Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit einem der aktuellsten Themen der Diagnostik des akuten ischämischen Schlaganfalls im vorderen Hirnkreislauf. Er behandelt die Vorhersage einer erfolgreichen Gefäßrekanalisation durch die intravenöse Applikation von rtPA. Dieses Thema spielt deswegen eine so große Rolle, weil Patienten, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Rekanalisation durch rtPA gering ist, erheblich von einer interventionellen mechanischen Thrombektomie profitieren können. Der Erfolg dieser Therapie ist aber vor allem davon abhängig, wie frühzeitig sie nach dem Schlaganfallsereignis eingesetzt wird. Das macht eine Vorhersage von Therapieversagern mit rtPA zwingend notwendig.

Nun wird in den meisten Schlaganfallszentren die initiale Bildgebung mit der CT durchgeführt. Hier haben aktuelle Arbeiten ergeben, dass eine erfolgreiche Rekanalisation z. B. der A. cerebri media vor allem abhängig von den Eigenschaften des gefäßobliterierenden Thrombus ist. Kimura et al. transferieren dieses Konzept in die Akutdiagnostik mit der MRT.

Die Darstellung des „clots“ durch eine fokale Suszeptibilitätsänderung ist in dieser Arbeit der einzige unabhängige Faktor, der die Voraussage einer gescheiterten frühen Gefäßrekanalisation durch rtPA zulässt. Die Arbeit liefert aber eine weitere hochinteressante Parallele zur Darstellung gefäßobliterierender Tromben mit der nativen CT-Diagnostik. Seit den frühen 1980er-Jahren ist bekannt, dass ein hyperdenses Arterienzeichen im nativen CT des Kraniums hochspezifisch einen Thrombus in dem Gefäß nachweist. Dieses Zeichen ist weiterhin fast ebenso lange als Prädiktor für ein schlechtes Therapieergebnis bekannt. Es wurde jedoch bis vor Kurzem nur als unzuverlässiger prognostischer Parameter angesehen, da die Sensitivität des Zeichens bei deutlich unter 50 % lag.

In der vorliegenden Studie finden wir ein entsprechendes Bild. Die fokale Signalabsenkung im Verlauf des verschlossenen Gefäßes zeigt hochspezifisch den obliterierenden Thrombus an. Die Sensitivität dieses Zeichens ist aber mit 31 % sehr gering. So gering, dass man sich für die Vorhersage von Therapieversagern sicherlich nicht auf dieses Zeichen verlassen kann, da noch nicht einmal jeder 3. Patient, der wahrscheinlich nicht von der Therapie mit rtPA profitiert, entdeckt wird.

In der CT-Diagnostik lässt sich das Problem der geringen Sensitivität durch einen einfachen Trick lösen. Die Schichtdicke der CT-Schnittbilder, die für die Beurteilung von frühen Infarzierungen des Hirngewebes notwendig ist, ist in der Regel zu groß, um Tromben in den Hirnbasisgefäßen räumlich aufzulösen. Eine adäquate Ortsauflösung ist aber einfach durch erneute Rekonstruktion der CT-Rohdaten in Schnittbilder mit geringerer Schichtdicke möglich. Ob ein ähnliches Problem die Sensitivität der MRT-Diagnostik beeinträchtigt, ist aus der vorliegenden Arbeit schwer abzuschätzen. Die Autoren legen die verwendeten MRT-Protokolle nicht ausreichend offen. Zu bedenken ist aber, dass der Effekt einer Suszeptibilitätsänderung sicherlich weit in die Nachbarschaft eines erythrozytenreichen Thrombus hineinragt, sodass Partialvolumeneffekte sicherlich eine geringere Bedeutung haben als in der CT-Diagnostik. Den Autoren ist zu dieser wichtigen Studie zu gratulieren, sie markiert aber nur den Anfang einer dringend notwendigen MRT-Thrombusbildgebung.

Literatur beim Verfasser

E-Mail: c.riedel@neurorad.uni-kiel.de


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2. Kommentar

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Prof. Rüdiger von Kummer, Abteilung Neuroradiologie, Universitätsklinikum Dresden, Fetscherstr. 74, 01307 Dresden

Bei akuter zerebraler Ischämie ist die systemische Thrombolyse mit Gewebe-Plasminogenaktivator (rtPA) die Therapie der Wahl. Auch wenn diese Behandlung als die einzig wirksame gelobt wird, sollte nicht übersehen werden, dass nur ein kleiner Teil der Patienten davon profitiert (von Kummer 2009). Es gibt mehrere Gründe für das Versagen der systemischen Thrombolyse mit rtPA: Der Infarkt ist zu groß, als dass eine Gewebereperfusion eine funktionelle Erholung erreichen kann. Dies wurde in den vergangenen Jahren vor allem mit der MRT eingehend untersucht. Es ist erstaunlich, dass ein näher liegender Grund für das Versagen von rtPA wenig beachtet blieb: Die systemische Thrombolyse erreicht nur bei etwa 40 % der Patienten eine arterielle Rekanalisation. Von daher sind alle Arbeiten zu begrüßen, die die Gründe für das Versagen von rtPA näher untersuchen.

Hierzu gehören die Arbeiten von Kimura et al., die seit 2006 bei allen Schlaganfallpatienten direkt nach der Infusion von rtPA eine MR-Angiografie (MRA) anfertigen, um die frühe Rekanalisation zu prüfen (Kimura et al. 2011). Sie gingen der sehr wichtigen Frage nach, welche klinischen und radiologischen Befunde mit dem Versagen von rtPA assoziiert sind. Sie beobachteten bei 132 Patienten mit Verschlüssen der A. carotis interna (ACI, n = 37), des M1-Segments (n = 58) und des M2-Segments (n = 37) der A. cerebri media (ACM) das Ausbleiben einer Rekanalisation bei 83 Patienten. Eine partielle Rekanalisation hatten 33 Patienten und eine komplette nur 16 Patienten. Mit dem Ausbleiben einer teilweisen oder kompletten Rekanalisation waren assoziiert:

  • ein Verschluss der ACI

  • ein erhöhter Blutzucker und

  • ein von dem Verschluss der ACM ausgehendes hypointenses Signal in der T2*-gewichteten MRT-Sequenz (Susceptibility Vessel Sign; M1 SVS).

Das M1 SVS erwies sich in der multivariaten logistischen Regression als die einzige unabhängige Variable, die mit dem Ausbleiben einer frühen Rekanalisation assoziiert war. Von 29 Patienten mit M1 SVS hatten nur 1 Patient eine komplette und 2 Patienten eine inkomplette frühe Rekanalisation (Spezifität für fehlende Rekanalisation: 94 %). Allerdings hatten nur 26 der 83 Patienten mit fehlender Rekanalisation dieses Zeichen (Sensitivität: 31 %).

Die Autoren zeigen, dass bei Nachweis eines M1 SVS bei 90 % der Patienten eine frühe Rekanalisation nach rtPA ausbleiben wird. Sie gehen davon aus, dass die Signalminderung von Deoxyhämoglobin herrührt und anzeigt, dass der Thrombus schon einige Stunden alt und daher schwer zu lysieren ist. Leider vergessen sie in ihrer Diskussion der Ergebnisse die Tatsache, dass mithilfe des M1 SVS nur 31 % der Patienten mit ausbleibender Rekanalisation nach rtPA-Infusion identifiziert werden. Es müssen also neben dem Deoxyhämoglobingehalt des Thrombus noch andere Faktoren bestehen, die sich der Auflösung durch rtPA widersetzen. Hierbei könnte es sich um Kalksalze handeln, dem Fehlen von Fibrin oder einfach um die Thrombusmasse (Riedel et al. 2011).

Literatur beim Verfasser

E-Mail: ruediger.vonkummer@uniklinikum-dresden.de


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