Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0032-1310042
Werden asymptomatische Bakteriurien richtig behandelt?
Publication History
Publication Date:
27 June 2012 (online)
Harnwegsinfektionen zählen, insbesondere auch bei hospitalisierten Patienten, zu den häufigsten Infektionen. In der klinischen Therapie spielt die Unterscheidung zwischen einer asymptomatischen Bakteriurie und einer klinisch relevanten und therapiebedürftigen Infektion eine große Rolle. In der vorliegenden retrospektiven Studie wurde anhand von Krankenakten die Anwendung von Antibiotika bei Patienten mit Nachweis von Enterokokken im Urin untersucht.
Lin et al. analysierten in 2 akademischen Lehrkrankenhäusern 339 Nachweise von Enterokokken im Urin und kategorisierten sie, basierend auf den aktuellen Empfehlungen der Infectious Diseases Society of America (IDSA), als Harnwegsinfektion bzw. asymptomatische Bakteriurie. Für die Diagnose einer Harnwegsinfektion waren dabei der Nachweis von Bakterien im Urin und mindestens eines definierten klinischen Symptoms erforderlich, wie z. B. Dysurie, Flankenschmerzen, Fieber u. a. Ob weitere Mikroorganismen im Urin enthalten waren, spielte bei der Analyse keine Rolle. Auch wurden das individuelle Antibiogramm und das im konkreten Fall verwendete Antibiotikum nicht in Beziehung gesetzt.
Von den 339 Enterokokkenbefunden waren in 156 Fällen typische und nicht anderweitig erklärbare Symptome einer Harnwegsinfektion vorhanden, die in 133 Fällen mit Antibiotika therapiert wurden. In 183 Fällen lag eine asymptomatische Bakteriurie vor, die in 123 Fällen leitliniengerecht ohne Antibiotika, in 60 Fällen jedoch mit Hilfe antimikrobieller Substanzen behandelt wurde. Die am häufigsten eingesetzten Antibiotika waren Chinolone (52 %), Vancomycin (23 %) und Ampicillin (17 %). Die Autoren folgern aus ihrer Untersuchung, dass asymptomatische Bakteriurien mit Nachweis von Enterokokken zu häufig mit Antibiotika therapiert werden.
Die Aussagekraft der Studie wird dadurch eingeschränkt, dass alle Urinkulturen ohne Rücksicht auf die Anzahl koloniebildender Einheiten und das Vorhandensein anderer Mikroorganismen eingeschlossen wurden. Außerdem wurden sämtliche Daten nur anhand der Notizen in den Krankenakten erhoben, die bezüglich der Fragestellung wichtige Informationen möglicherweise nicht enthielten. Auch die retrospektive Klassifizierung der Fälle in Harnwegsinfektion bzw. asymptomatische Bakteriurie ist insofern beeinflusst.
Fazit: Bemerkenswert an der Studie ist trotz der oben genannten Limitationen die Tatsache, dass etwa ein Drittel der Episoden mit asymptomatischer Bakteriurie entgegen aktueller Leitlinien mit antimikrobiellen Substanzen therapiert wurden. Die Verordnung von breit wirksamen Antibiotika wie Chinolonen ist möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass andere Bakterien im Urin vorhanden waren. Insgesamt unterstreichen die Erkenntnisse jedoch die Notwendigkeit der Implementierung von Antibiotic Stewardship Programmen. In ihnen sollten die Indikationen und organisatorischen Strukturen zum Beginn und insbesondere auch zur regelmäßigen Überprüfung und Deeskalation antimikrobieller Therapien auf lokaler Ebene, z. B. in Form empirischer Therapieleitlinien, festgelegt werden. Diese Informationen sollten in regelmäßigen Fortbildungsmaßnahmen allen Mitarbeitern bekannt gemacht werden, damit der Antibiotikagebrauch optimiert werden kann.
Dr. Patrick Weißgerber, Tübingen