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DOI: 10.1055/s-0032-1315411
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Buchbesprechung – Die Geschichte der Palliativmedizin
Publication History
Publication Date:
23 May 2012 (online)
![](https://www.thieme-connect.de/media/palliativmedizin/201203/lookinside/thumbnails/10.1055-s-0032-1315411-1.jpg)
Michael Stolberg
2011, 303 Seiten, Mabuse Verlag, 29,90 €, ISBN 978-3-940529-79-4
Es muss schon ein mutiger Arzt sein, der sich unter diesen Umständen des Sterbenden annimmt. Jemand, der nicht um seinen Ruf bangt und auch nicht fürchtet, den Kranken mit der Wahrheit über seinen Zustand noch schneller ins Grab
zu bringen. Im 17. Jahrhundert, so beschreibt es Michael Stolberg in seinem Buch, ist die medizinische Sterbebegleitung zwar eine Pflicht des Arztes, aber praktisch äußerst schwierig durchzuführen. Fallstricke gibt es genug, denn wem die Patienten sterben, dem stirbt auch das Geschäft. Die Konkurrenz ist groß und ein Arzt, der seine Patienten nicht heilt, seien sie auch noch so krank, ist
nicht gefragt. Genausowenig soll ein Arzt seinem Patienten zusätzliche Lebenszeit rauben, indem er durch ein ehrliches Gespräch über Diagnose und Prognose in letzterem starke Affekte heraufbeschwört, die nach der damaligen Lehrmeinung dramatische Auswirkungen auf den Körper haben können.
Mitteilen oder Verheimlichen? Diese Diskussion ist aktuell und war es auch schon vor mehreren Jahrhunderten. Gestützt auf zahlreiche Quellen zeichnet der Autor den Weg der Palliativmedizin von der Renaissance bis in die Gegenwart nach. Schwerpunkte sind dabei unter Anderem die Patientensicht, die ethischen Überlegungen hinter den Handlungen und die Entwicklung von Sterbeinstitutionen. Das Kapitel „Schluss: Kontinuität und Wandel“ am Ende des Buches fasst diese Entwicklungen übersichtlich zusammen und beleuchtet in den Unterkapiteln „Medikalisierung“, „Tabuisierung“, und
„Stigmatisierung“ epochenübergreifend 3 Aspekte im Umgang mit Tod und Sterben. Das Buch überzeugt vor allem dann, wenn sie ein deutliches Bild der Lebensumstände früherer Generationen zeichnet. Das Kapitel „Behaustes Sterben“ etwa zeigt, wie wenig behütet ein Tod in den eigenen Räumen
sein kann, wenn das Brauchtum in der Sterbestunde Besuche von Verwandten, Nachbarn und sogar fremden Passanten erlaubt. Auch in der Vergangenheit starben die Menschen dort, wo sie gelebt haben – das bedeutete für einen Großteil der Bevölkerung der frühen Neuzeit in einem Strohbett, das sie sich vielleicht noch mit jemandem teilen mussten. So ausführlich die Beschreibungen der Epochen vor 1945 sind, so knapp erscheint die Darstellung der Entwicklung danach. Vermutlich sah man hier den geringsten Bedarf einer historischen Aufarbeitung, weil viele der Beteiligten die Geschichte der letzten Jahrzehnte selbst gerne und oft erzählen. Gerade für nachfolgende Generationen wäre es jedoch interessant, auch diese Ereignisse durch einen Außenstehenden präsentiert zu bekommen. Man darf auf eine 2. Auflage hoffen.
Anna Giegerich, Köln