Fortschr Neurol Psychiatr 2012; 80(11): 617
DOI: 10.1055/s-0032-1325502
Editorial
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Intrazerebrale Blutungen: kein Rückgang in Sicht

Intracerebral Haemorrhage: No Decrease of Incidence in Sight
T. Pfefferkorn
,
M. Dieterich
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Publication Date:
08 November 2012 (online)

Laut einer Metaanalyse über 8145 Patienten ist die Inzidenz intrazerebraler Blutungen in den letzten 30 Jahren nicht gesunken [1]. Dies wundert nicht, wenn man bedenkt, dass intrazerebrale Blutungen mit höherem Alter häufiger werden und die Bevölkerung immer älter wird. Allerdings ist die Inzidenz auch abhängig vom Vorliegen einzelner Risikofaktoren, wie zum Beispiel einer arteriellen Hypertonie, und diese wurde in den letzten 25 Jahren zunehmend früher diagnostiziert und konsequenter behandelt, sodass die Zahl der hypertensiven Blutungen signifikant zurück ging [2]. Dafür stiegen aber die Zahlen der Blutungen unter antithrombotischer Medikation und bei zerebraler Amyloidangiopathie (ZAA) an, insbesondere bei den Älteren über 75 Jahre [2]. Es kam zudem zu einer Umverteilung: Während die Zahl der Blutungen bei Patienten unter 75 Jahre sank, stieg sie bei denen über 75 Jahre an.

Auf der Basis dieser Trends und einem erwarteten Anstieg der Prävalenz der ZAA in der zunehmend älter werdenden Bevölkerung wird in der Zukunft mit einer steigenden Zahl intrazerebraler Blutungen gerechnet.

Diese zunehmende Häufigkeit erfordert, dass wir uns vermehrt mit der ZAA – pathophysiologisch durch die Ablagerung von beta-Amyloid in kleineren zerebralen Arterien charakterisiert – beschäftigen. Sie ist eine der häufigsten Ursachen diverser intrakranieller Blutungen, die subklinische Mikroblutungen, fokale sulcale Subarachnoidalblutungen und funktionell relevante größere Lobärblutungen umfassen. Bei älteren Menschen über 75 Jahren mit symptomatischer intrakranieller Blutung ist derzeit davon auszugehen, dass in ungefähr einem Drittel der Betroffenen eine ZAA zugrunde liegt. Genaue epidemiologische Daten fehlen allerdings, da die Diagnose nur durch eine postmortale histopathologische Untersuchung gesichert werden kann.

Neben Hirnblutungen kann es bei der ZAA auch zu Infarkten und einer Leukenzephalopatie kommen. Klinisch treten in Abhängigkeit von der Lokalisation der Läsionen fokale neurologische Defizite auf. Darüber hinaus scheint die ZAA auch in Abwesenheit von symptomatischen Blutungen eine demenzielle Entwicklung zu begünstigen.

Eine kausale Therapie existiert bislang nicht; pragmatisches Behandlungsziel ist die Reduktion ZAA-assoziierter Hirnblutungen durch eine konsequente Blutdruckkontrolle und eine sorgfältige Risiko-Nutzung-Abwägung antikoagulatorischer oder plättchenhemmender Maßnahmen.

Die ZAA wird meist den Fächern der Neurologie, Neuroradiologie und Neuropathologie zugeordnet. Umso begrüßenswerter ist es, dass Gahr u. Mitarb. [3] sich diesem Krankheitsbild aus psychiatrischer Sicht zuwenden. In ihrem umfassenden Übersichtsartikel gehen sie auf alle relevanten pathophysiologischen, pathogenetischen, klinischen, diagnostischen und therapeutischen Aspekte ein und bringen so den Leser auf einen aktuellen Wissensstand. Besonderes Augenmerk legen die Autoren dabei auf kognitive Defizite, die im Rahmen der ZAA auftreten können und bisher wenig systematisch untersucht worden sind. Hier besteht tatsächlich erheblicher Forschungsbedarf. Zu klärende Fragen wären zum Beispiel: In welchem Maße führt die isolierte ZAA (auch ohne symptomatische Hirnblutungen) zu kognitiven Defiziten? Stehen die kognitiven Defizite im Zusammenhang mit den teilweise assoziierten Infarkten oder der Leukenzephalopathie? Wo liegen die Überschneidungen bzw. Unterschiede zur Demenz vom Alzheimer-Typ? Welche therapeutischen Konsequenzen ergeben sich aus der Diagnose einer ZAA-assoziierten Demenz? Welche Therapien können den Verlauf verbessern?

Es bleibt noch viel zu tun auf dem großen Gebiet der differenzialdiagnostischen Abgrenzungen der verschiedenen Demenzen.

Viel Anregung und Freude bei der Lektüre!

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PD Dr. med. T. Pfefferkorn
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Prof. Dr. med. M. Dieterich
 
  • Literatur

  • 1 Van Asch CJ, Luitse MJ, Rinkel GJ et al. Incidence, case fatality, and functional outcome of intracerebral haemorrhage over time, according to age, sex, and ethnic origin: a systemtic review and meta-analysis. Lancet Neurol 2010; 9: 167-176
  • 2 Lovelock CE, Molyneux AJ, Rothwell PM Oxford Vascular Study. Change in incidence and aetiology of intracerebral haemorrhage in Oxfordshire, UK, between 1981 and 2006: a population-based study. Lancet Neurol 2007; 6: 487-493
  • 3 Gahr M, Nowak DA, Connemann BJ et al. Zerebrale Amyloidangiopathie – ein Update. Fortschr Neurol Psychiatr 2012; 80: 618-626