Neuroradiologie Scan 2012; 02(04): 232-233
DOI: 10.1055/s-0032-1325742
Diskussion
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Arterielle Hypertonie - Neurovaskuläre Kompressionen als Ursache?

In der Vergangenheit haben einige Studien nahegelegt, dass neurovaskuläre Kompressionen des Hirnstamms Ursache einer arteriellen Hypertonie sein könnten. Verschiedene Autoren versuchten daher, diese Kompressionen im MRT nachzuweisen, allerdings meist in kleinen Fallzahlen. H. D. Boogaarts et al. legten nun eine Metaanalyse hierzu vor.
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Publication History

Publication Date:
01 October 2012 (online)

J Neurosurg 2012; 116: 147–156

Die Autoren identifizierten dafür Studien, in denen bei Patienten mit primärer arterieller Hypertonie das Vorhandensein einer linksseitigen neurovaskulären Kompression der linken rotralen ventrolateralen Medulla oblongata und / oder der Wurzeleintrittszonen der Hirnnerven IX und X mittels MRT untersucht wurde und die Ergebnisse mit gesunden Kontrollen verglichen wurden. Einige Studien untersuchten als Kontrollen auch Patienten mit einer sekundären arteriellen Hypertonie, diese wurden separat analysiert. Die Autoren berücksichtigten sowohl prospektive als auch retrospektive Studien, die Literaturrecherche erstreckte sich bis November 2009.

14 Studien erfüllten die Kriterien der Autoren und gingen in die Analyse ein. Diese schlossen insgesamt 597 Patienten mit primärer arterieller Hypertonie und 609 normotensive Kontrollen ein. Sieben Studien analysierten als zusätzliche Kontrollgruppe insgesamt 88 Patienten mit einer sekundären arteriellen Hypertonie. Die durchschnittliche Gruppengröße betrug bei den Hypertoniepatienten 45,9 und bei den normotensiven Kontrollen 43,5. Der Anteil der Männer lag bei 50,0 bzw. 47,9 %, das Durchschnittsalter variierte zwischen 34 und 61 Jahren bzw. zwischen 43 und 52 Jahren.

Insgesamt fand sich eine neurovaskuläre Kompression bei 260 Patienten mit Hypertonie (43,6 %) und bei 172 normotensiven Kontrollen (28,2 %), einer Odds Ratio von 2,68 entsprechend (p = 0,001). Dies ist mit der Hypothese vereinbar, dass eine neurovaskuläre Kompression der linken rotralen ventrolateralen Medulla oblongata bei Patienten mit primärer arterieller Hypertonie häufiger vorkommt als bei normotensiven Kontrollen. Der Vergleich zwischen primärer und sekundärer Hypertonie erbrachte eine Odds Ratio von 6,72. Eine rechtsseitige Kompression wurde in 11 Studien registriert, auch hier fand sich eine signifikant erhöhte Odds Ratio von 1,82. In der Subanalyse nach Studiendesign lag die Odds Ratio für prospektive Studien bei 1,97 (p = 0,178), für retrospektive Studien bei 3,36 (p = 0,001).

Fazit

Die Ergebnisse weisen auf eine signifikante Effektgröße für linksseitige neurovaskuläre Kompressionen bei primärer arterieller Hypertonie hin. Jedoch verliert sich dies, wenn sich die Subanalyse auf prospektive Studien beschränkt, so die Autoren.

Dr. Johannes Weiß, Bad Kissingen

1. Kommentar

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Prof. Bodo Kress Krankenhaus Nordwest, Institut für Neuroradiologie Steinbacher Hohl 2–26 60488 Frankfurt/Main

Gefäßnervenkonflikte sind als pathophysiologischer Mechanismus akzeptiert bei der Ätiologie von Hirnnervenerkrankungen, so z. B. bei der Entstehung einer Trigeminus- oder Glossopharyngeus-Neuralgie oder beim Hemispasmus facialis. Auch bei Okulomotorikstörungen scheinen sie eine Rolle zu spielen (Trochlearis-Funktionsstörungen).

Nachdem Jannetta in den 1980er-Jahren erstmals einen möglichen Zusammenhang zwischen einem Gefäßnervenkonflikt zwischen Arterien und der Medulla oblongata unterstellte, sind zahlreiche Studien durchgeführt worden. Die überwiegende Anzahl der Studien sind retrospektiv, hierunter auch die Studien mit den größten Zahlen an Patienten.

In der vorliegenden Metaanalyse sind 6 prospektive Studien eingeschlossen, die größte dieser Studien berichtet über 71 Patienten. Wie auch in den retrospektiven Studien ergibt sich auch hier ein uneinheitliches Bild. So finden sich z. T. deutliche Unterschiede im Anteil des rechtsseitigen und linksseitigen Gefäßnervenkonflikts und zwischen Patienten mit und ohne Hypertonie, aber eben auch Studien, bei denen sich keine Unterschiede ergeben (darunter auch die Studie mit neuestem Publikationsdatum). Außerdem sind mit Ausnahme der Studie von Naraghi et al. der Prozentsatz der linksseitigen Kompressionssyndrome unter 50 %. Somit wiesen über 50 % aller Patienten mit primärer Hypertonie keinen linksseitiges Gefäßkompressionssyndrom auf.

Grundsätzliche Schwäche der meisten Studien ist, dass das Ausmaß der Kompression der Medulla oblongata nicht quantifiziert, dass der Ort der Kompression nicht klar identifiziert wird und dass meist keine neurochirurgische Therapie erfolgte und somit der endgültige Beweis aussteht, dass die Kompression nicht sekundär verursacht ist. Daher kann nach 40 Jahren Forschung auf diesem Gebiet nur gefolgert werden, dass es durchaus Argumente für die spannende Hypothese gibt, dass ein Gefäßkonflikt verantwortlich sein kann für die Auslösung einer primären Hypertonie.

Aufschluss darüber wird jedoch nur eine randomisierte prospektive Studie unter Einschluss der neurochirurgischen Therapie erbringen. Unter Berücksichtigung der hohen volkswirtschaftlichen Kosten, die die Folgen der primären Hypertonie verursachen, ist eine solche Studie durchaus zu rechtfertigen.

Literatur beim Verfasser

E-Mail: kress.bodo@khnw.de


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2. Kommentar

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Prof. Volker Tronnier Klinik für Neurochirurgie, Campus Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck

Die Auffassung, dass die neurovaskuläre Kompression (NVK) der linken rostralen ventrolateralen Medulla oblongata (RVLM) eine Ursache für primäre Hypertonie sein könnte, ist nicht neu. Sie wurde erstmals 1978 publiziert, fand jedoch weder unter den Neurochirurgen noch unter den Kardiologen große Akzeptanz. Bisher konnte weder bewiesen werden, ob diese Hypothese zutrifft, noch ob das MRT einen gewissen prädiktiven Wert für intraoperative Befunde und den chirurgischen Erfolg hat. In der Vergangenheit konnten einige Autoren eine Beziehung zwischen NVK und primärem Bluthochdruck zeigen, während anderen dies nicht gelang.

Die Autoren der hier zu diskutierenden Studie sind zu beglückwünschen für den Versuch einer Meta-Analyse der veröffentlichten Ergebnisse bezüglich der Bedeutung einer NVK der RVLM für eine primäre Hypertonie. Sie haben aufgrund der Heterogenität der durchgeführten Studien ein Random-Effects-Modell angewandt, um damit die verantwortlichen Faktoren auszuwerten und über 600 Patienten mit linksseitiger Kompression und primärem Bluthochdruck mit einer Kontrollgruppe (rechtseitige Kompression und / oder Normalwerte von ähnlichem Ausmaß) zu vergleichen.

Sie fanden eine schwache Beziehung zwischen linksseitiger NVK und primärer Hypertonie. Die Subanalyse zeigte auf, dass keine derartige Relation bestand, wenn man nur prospektive Studien oder Blindstudien berücksichtigte. Insbesondere nicht verblindete Studien zeigten eine hohe Odds-Ratio für eine Beziehung und legen eine mögliche Verzerrung (Bias) nahe.

Das Hauptproblem der von Boogaarts et al. analysierten Studien besteht jedoch in der Tatsache, dass die MRT-Bilder von 1994 nicht mit den gegenwärtigen Techniken oder Sequenzen verglichen werden können, um eine vaskuläre Kompression zu diagnostizieren oder auszuschließen. Heutzutage ist es möglich, eine neurovaskuläre Kompression mit einer Sensitivität von 97,4 % und einer Spezifität von 100 % nachzuweisen, die dann intraoperativ bestätigt wurde (Leal et al. 2011). Insbesondere bei dieser Patientengruppe sollte eine Kombination aus Sequenzen benutzt werden, die aus 3-D-T1-gewichteten Abbildungen und Kontrastverstärkung, aus 3-D-T2-gewichteten (DRIVE oder CISS) Sequenzen und aus 3-D-Time-of-Flight-MR-Angiografien bestehen. Die zusätzliche Verwendung von Diffusion-Tensor-Imaging-Techniken scheint insbesondere in Fällen mit Kompression des Hirnstamms sehr hilfreich zu sein und kann mehr Klarheit auf diesem interessanten Gebiet bringen.

Literatur beim Verfasser

E-Mail: Volker.Tronnier@uk-sh.de


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