Aktuelle Dermatologie 2013; 39(03): 90-94
DOI: 10.1055/s-0032-1326357
Von den Wurzeln unseres Fachs
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Masken, vom Mythos zur Zeitkultur

Masks, from Myths to Modern Times
E. G. Jung
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Ernst G. Jung
Maulbeerweg 20
69120 Heidelberg

Publication History

Publication Date:
04 March 2013 (online)

 

Zusammenfassung

Masken sind Ausdruck kultureller Gestaltung, in der Frühzeit schon, und bis heute noch in den Fasnachtsbräuchen wirkmächtig. Zumeist zeichnen sie extreme Hässlichkeit, ja Schreck. Es wird gezeigt, dass diese Wirkung auf Veränderungen der Nasenvertikale und der beiden Gesichtshorizontalen, Augenpaar und Mund, beruht. Dies wird vor allem am Mund durch Verbreiterung, laterale Aufrundung und Wulstlippen erreicht. Ähnliche Veränderungen liegen den modernen Versuchen zugrunde, welche die erotische Attraktivität des Gesichtes zu steigern sich bemühen.

Auf der Skala von der üblichen Schönheit bis zur Hässlichkeit der Masken werden in der dekorativen Kosmetik Zwischenstufen erreicht, welche die Grenze der erotischen Attraktivität in Richtung Hässlichkeit weit überschreiten. Was angemahnt wird.


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Abstract

Masks are mythical formations since thousands of years up to now, persisting in Carnival. They mostly show ugliness as well as horror. Effects are achieved by alterations of the nose-vertical and the two horizontals of human face; the pair of eyes and the mouth. Most impressive are the amplifications of the mouth by enlarging, lateral blowing up and puffy lips. Nowadays similar alterations are intended to stimulate erotic attractivity.

On the scale of common beauty up to the ugliness of the masks, we find the attempts of decorative cosmetology, far away from natural beauty and much closer to ugliness and even horror. This should be avoided.


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Einleitung

Masken sind allgegenwärtig und sie begleiten uns und beschäftigen uns, ob wir wollen oder nicht, ob wir uns dem hingeben oder sträuben. Sie besiedeln also sowohl unser bewusstes Denken wie auch die ganze Tiefe unseres Unbewussten. Auch unser Handeln ist nicht frei davon. Darüber geht es in der folgenden Ausführung.

Masken sind Ausdruck kultureller Gestaltung. Sie sind schon in den sehr frühen Kulturen nachweisbar, also seit gut 7000 Jahren. Der Ursprung ist in den symbolträchtigen Formierungen archaischer Riten zu vermuten, und Masken durchziehen die Zeiten vom Schamanismus bis heute bei vielen kultischen Anlässen. Die übergestülpte Maske zeichnet und verkörpert eine religiöse Kultfigur, Gottheit, Gottesdiener, Prophet, Priester und auch deren Gegenspieler (z. B. Teufelsfiguren) und bedeckt damit die maskentragende Person. Die Maske trägt die für die jeweilige Figur charakteristischen Merkmale meist drastisch ausgedrückt, ja überzeichnet, und entzieht, resp. verdeckt anderseits des Trägers eigenen Charakter und Persönlichkeit. Um diese Übertragung durch Überstülpung abzurunden, wird auch der Körper des Trägers bemalt und durch kultische Gewänder „verkleidet“. Handlungen, Werke und auch Untaten der dargestellten Figuren werden eindeutig diesen angelastet, während der Tragende außen vor bleibt, in Glorie wie in Schuld. Masken aber, dies steht fest, begleiten die Menschheit in allen Kulturen und Religionen.

Tragend und für die kultische Verankerung in Ritus und Gedächtnis maßgebend ist aber die Gesichtsverhüllung durch die Maske. Denn die Gesichtserkennung ist die meist getätigte Bilderkennung in jedem soziokulturellen Kontext. Sie erfolgt „auf den ersten Blick“ und führt zur bleibenden Verankerung im Gedächtnis [1].

Mittels der Masken werden die verschiedensten Kultfiguren dargestellt, direkt erkannt und später immer wieder erinnert. Sie verwandeln sozusagen die Trägerperson (früher zumeist ein Priester) vorübergehend in die göttliche Gestalt mit deren charakteristischen Gottes- oder Andachtsmerkmalen.

Im Laufe der Kulturgeschichte werden Masken und Maskenspiele gleitend übernommen vom Theater und mit diesem aus den Mysterienspielen hinaus in die offene Theaterwelt, Tragödie wie Komödie, getragen. Neben den Göttern erscheinen charakteristische Masken für Menschen, Priester, Seher, Helden, Krieger und, schon im griechischen Altertum, auch allegorische sowie historische Personen. In manchen Kulturen werden die mythischen „Kulturbringer“ bei den wiederkehrenden Feiern mit Masken dargestellt, die tierische und menschliche Attribute vereinen. So wird der Übergang aus einer „animalischen Vorzeit“ in die kulturelle Vergangenheit symbolisiert.

Im griechischen Theater wiederum tragen die Schauspieler Masken („Persona“ genannt). Sie tragen die Charakteristika der darzustellenden Person; Merkmale also, die zur sofortigen Erkennung durch das Theaterpublikum führen und die auch wechselnden Stimmungen, Gefühlslagen oder einschneidenden Geschehnissen Ausdruck verleihen. Solche Charakteristika sind kulturelle Konstanten. Sie wurden in der frühen Neuzeit auch von der „Commedia dell’Arte“ wieder aufgegriffen und finden sich, noch immer und weltweit, in vielen Volksbräuchen.

Die christlichen Kulturen haben schon sehr früh versucht, die heidnischen Maskenbräuche und Kulte zu ersetzen oder, wenn dies nicht gelang, christlich zu durchweben. So ist das wilde Maskentreiben vor der Fastenzeit als Fasching, Fasenacht oder Karneval weit verbreitet und geht auf die vorchristlichen, wirkungsmächtigen Riten zur Austreibung des harten und unwirtlichen Winters zurück. Dabei spielen manchmal auch leise Frühlingssignale eine Rolle. Die Maskierung mit schrecklichen und Angst einflößenden Mustern dient der Austreibung von Geistern und anderen irrealen Figuren heidnischer Vorstellung. Andererseits trägt sie zur Anonymität der Masken tragenden Personen bei, die damit aus dem Nimbus der durch die Masken dargestellten Figuren ebenso ausgeklammert sind, wie sie sich aus der Verantwortung für deren manchmal unmenschliche Taten herausstehlen. Das geht von Menschenopferungen im Namen wilder Gottheiten bis zu Verbrechen im Getümmel ausgelassenen Faschingstreibens.


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Nun aber zu den Masken selber

Diese können Tiere darstellen oder Götter, denen im Gewimmel antiker Götterwelten tierische Gestalt zugewiesen wurde. Die meisten aber sind anthropomorph, gehen vom menschlichen Gesicht aus und stellen Figuren dar, denen „Menschenähnlichkeit“ zuerkannt wird. Manchmal werden auch tierische und florale Elemente beigefügt, um solche Bezüge zu symbolisieren.

Menschenähnlichkeit ist von elementarer Bedeutung, und stellt dennoch keine idealisierten Menschengesichter dar, und ist schon gar nicht individuelle Personendarstellung. Das Abbild der Schönheit und Attraktivität des menschlichen Gesichtes, von der Kunst in allen Variationen und immer wieder gesucht, ist nicht Sache der Masken. Diese wollen nicht gefallen, sondern aufschrecken, erschüttern, beeindrucken und Furcht einflößen. Das kann man mit Schreckensbildern sehr viel eindrücklicher erreichen als mit Anmut und Wohlgefallen. Schrecken und Hässlichkeit, Fratze also, sind die Mittel der Maskendarstellung und nicht die Schönheit, die sonst im Leben alles zu dominieren scheint. Damit sind wir beim Kern angelangt. Masken wollen „prima vista“, also auf den ersten Blick, gewaltig beeindrucken und wählen den Weg über Schrecken und Furcht. Dieser erste Blick dauert neurophysiologisch gerade 3 Sekunden. Dies ist der Zeitraum, eigentlich die Gegenwart, in welchem ein Gesicht erfasst und erkannt wird und im Gehirn präformierte Emotionen wie Schrecken, Angst, Furcht, Abscheu etc. ausgelöst werden. Solches geschieht über das kürzlich entdeckte System der „Spiegelneuronen“ [1]. Über dieses werden natürlich auch andere, besser bekömmliche Regungen und solche differenzierterer Art vermittelt. Die Masken aber wollen fast ausschließlich aufschrecken, schockieren. Sie benützen und verändern dabei die Basiselemente des menschlichen Gesichtes, die zur Erkennung und Erinnerung desselben nötig sind und dazu auch ausreichen:

Es sind dies:

Die Horizontalen des Mundbereichs und der Augenpartie, die Vertikale der Nase und die Seitensymmetrie, wie sie im Kindervers ([ Abb. 1 ]) elementar schon zur Darstellung kommen.

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Abb. 1 Kindervers der Elemente zur Darstellung und Erkennung eines Gesichtes. Die drei führenden Elemente, Nasenvertikale und die beiden Horizontalen von Mund und Augen, sind auf einen Blick erkennbar, innert der 3 Sekunden, die neurophysiologisch der „Gegenwart“ entsprechen (vgl. [1]).

Während die Seitensymmetrie gewahrt bleibt, werden bei den Masken die anderen Elemente variiert und graduell mehr oder weniger bizarr verzeichnet. Damit wird, wenn man so will, das menschliche Gesicht, ausgehend vom schönen Idealbild, stufenweise verzerrt, bis es die extreme Ausdrucksform der Hässlichkeit erreicht. Die Medusa ist das archaische Sinnbild dazu ([ Abb. 2 ]). Damit gehen die emotionalen Reaktionen auf Schönheit und Attraktion verloren und provozieren, wie erwünscht, beim Betrachter ausschließlich und zwangsläufig solche von Schrecken, Angst und Furcht. Solche Transformationen sind teilweise und in Ansätzen bei Missbildungen und Krankheiten vorgezeichnet und finden sich auch in Sprache und Literatur.

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Abb. 2 Gorgonenhaupt der Medusa auf einer attischen Drachme 520 v. Chr. (aus [2]). Breit stehende Glotzaugen, der Mund extrem verbreitert mit heraushängender Zunge sowie Schnauz- und umrandende Kopfbehaarung. Die Nasenvertikale wird verstärkt durch die Fortsetzung nach unten durch die Zunge.

Die Nasenvertikale bleibt erhalten, die Nase aber wird in Form, Farbe und Größe entstellt ([ Abb. 3 ]): Knollennase, Rotznase, Säufernase, Zinkennase, Zwergnase, Cyrano de Bergerac …

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Abb. 3 Schreckmasken-Medaillon aus dem Turm der Heilig-Geist-Kirche Heidelberg: breitstehende Augenhöhlen und breite, seitlich kugelig aufgeweitete Mundpartie. Besonders eindrücklich erscheint die Nasenvertikale, die nach unten über die median hochgezogene Unterlippe bis zum wulstig prominenten Kinn verlängert wird.

Das Einhorn als Anlehnung ans Nashorn findet kaum Analogie bei Masken.

Die Augenhorizontale wird bipolar erhalten, nur gelegentlich in Schieflage versetzt. Das mediane Zyklopenauge als Analogie zu schweren Missbildungen und in phylogenetischer Erinnerung an primitive Formen der Tierwelt wird bei Masken nicht aufgenommen.

Die Augen jedoch werden in Abstand, Größe, Umrandung und Farbe verändert: Bulleraugen, Kuhaugen, Schielaugen, Triefauge, Glotzauge, Schlupflied, Augenzahn, Augenklappe, Glasauge, Einauge …

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Abb. 4 Hexenmaske aus dem Sarganserland mit längs-ovalem Gesicht, Glotzaugen und klobig vergrößerter Mundpartie mit grimmigem Zahnbesatz. Die Nasenvertikale wird durch Zinkennase fast brückenartig nach unten zum hochgezogenen Kinn verlängert.
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Abb. 5 Alemannische Schellenmaske (Narr, Bajass, auch Eulenspiegel etc.) aus Basel mit Kleinfigur am Narrenstab: Glotzaugen, extrem verbreiterter, zahngarnierter Mund und starke Betonung der übergroßen Nase.
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Abb. 6 Alemannische Maske mit übergroßer Nase und verbreiterter, seitlich rund geweiteter Mundhorizontale, wulstigen Lippen und massivem Zahnsatz, „Rottweiler Biss“.
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Abb. 7 Olmekische Schamanenmaske (Mexiko, 2. Jahrtausend v. Chr.) mit großen Augenhöhlen, Knollennase und gesichtsbreit vergrößerter Mundpartie mit Bartbehaarung, Zahnbesatz und Wulstlippen, dazu der für Schamanen typische Bartbesatz (aus [3]).

Die Mundhorizontale wird als solche erhalten, gelegentlich aber in Schieflage versetzt oder mit hängendem Mundwinkel gezeigt, wie bei Lähmungen.

Der Mund wird in Größe und Formung variiert, meist exzessiv verbreitert, bipolar kugelig aufgedunsen und zuweilen mit tierähnlichen Zähnen oder heraushängender Zunge gezeigt ([ Abb. 2 ]). Garniert wird er oft durch Haarbesatz, Schnauz und Bart.

Die Lippen werden aufgedunsen überzeichnet und farblich bizarr betont.

Hängemaul, Schmollmund, Kussmund, Riesenmund, Schublade, Schlund, Rachen, falsche Zunge, gespaltene Zunge, Lälle-König …


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Masken und Köperkultur jetzt

Betrachten wir nun die ganze Breite, das Spektrum des menschlichen Gesichtes und die entsprechenden Empfindungen beim Ansehen, so spannt sich der Bogen vom allgemeinen Schönheitsideal auf der einen Seite bis zur hässlichen Fratze der Masken auf der anderen Seite. Dabei ist zu bedenken, dass die Schönheit und deren Idealisierung sowohl Variationen als auch Unterschiede aufweist, die aus der rassischen Segregation abzuleiten sind. Erinnert sei an die asiatischen Schlitzaugen, die Mandelaugen, die schmalen bis wulstigen Lippen und dann die Spielformen der breiten Gesichter mit hervortretenden Wangenknochen bis zu den längsovalen Formen mit römischer Nase. Alles ist zu finden an den Exponentinnen und Trägern von Schönheit und Attraktivität, die uns allgegenwärtig vorgehalten werden. Und dies alles ist neben der individuellen noch versehen mit einer markanten regionalen Note.

Auf der anderen Seite des Spektrums menschlicher Gesichter finden sich die Masken mit den Merkmalen der hässlichen Fratze, die dem Betrachter Schrecken, Angst und Furcht einjagen.

Dazwischen liegen weite Bereiche mit Übergängen, deren Effekte, teilweise wohl fließend, sich wandeln und gelegentlich, gleichsam in Sprüngen, von attraktiver Schönheit zur Fratze der Hässlichkeit, die ihre eigene Geschichte hat [2] [7], verkehren. Dies zu erfahren und auszuprobieren ist neuerdings angesagt und hat eine Vorgeschichte, die es kurz zu skizzieren gilt.

Tausende von Jahren war die gesicherte Zeugung und Aufzucht der Kinder ein wesentliches Anliegen der Sippen, Stämme und Völker; unabdingbar für deren Fortbestehen. Dementsprechend war die Partnerwahl ausgerichtet. Stärke und Tatkraft der Männer versprach den Frauen und Kindern Sicherheit und Ernährung, während häusliche Fertigkeiten und ausreichend Energiereserven um ein gebärfähiges Becken dem werbenden Mann beste Voraussetzungen für die Trag- und Stillzeit des gemeinsamen Nachwuchs signalisierten. Diese Arbeitsteilung hat sich lange bewährt. Mit der kulturellen Entwicklung, der zunehmenden Sozialisierung und der wachsenden Vielfalt persönlicher Freiheiten und Gestaltungen aber hat sich die Lastenteilung zwischen Mann und Frau gelockert und sich in wesentlichen Bereichen angeglichen. Allerdings ist und bleibt das Kinderkriegen allein den Frauen vorbehalten. Aus vielen Gründen persönlicher und sozialer Argumentierung und nicht zuletzt durch die drastische Reduktion der Kindersterblichkeit ist Kinderkriegen nicht mehr vordringliches Anliegen der Partnerschaften, deren Dauer ebenfalls in Frage gestellt wird. Zudem ist durch effiziente Geburtenkontrolle der Frau nicht nur Mitsprache, sondern Entscheidungsfreiheit gegeben worden. Dies mag erklären, warum die ursprünglichen Qualitäten zur Partnerwahl weitgehend hinfällig geworden sind.

Frauen und Männer gleichen sich in der Beschäftigungswelt zunehmend an und in der sehr viel umfangreicher gewordenen Freizeit ebenfalls. Damit entstehen Freiräume zum Ausleben der sexuellen Bedürfnisse, was durch die effektive Geburtenkontrolle weitgehend vom Kinderkriegen abgekoppelt ist. Und Kinderkriegen und deren Aufzucht ist keineswegs mehr ausschließlich auf die Partnerschaften angewiesen. Partnerschaften umgekehrt sind auch nicht mehr allein auf Nachwuchs und Lebenssicherung ausgelegt. Sie werden kurzlebiger und mehrere können aufeinander folgen. Die Partnerwahl muss absolut neu gestaltet werden, nicht nur was die Qualitäten hierzu angeht, sondern auch was die Dauer derselben betrifft. Partnerwahl ist demnach auch nicht mehr, wie früher, einmalig am Anfang des Erwachsenenlebens angesagt, sondern lebenslang und wiederholt. Danach richten sich die neuen Qualitäten aus.

Die Darstellung der Frauen, aber auch der Männer, erfolgt neu ausgerichtet und im Wesentlichen mit zwei Zielrichtungen: Einerseits ist es eine Selbstdarstellung. Sich selber möchte man gefallen, bis zur narzisstischen Verzeichnung manchmal, und die Selbstsicherheit will gestützt und getragen werden.

Zum anderen wird die ideelle Schönheit ergänzt und möglicherweise auch etwas verlassen in Richtung der sexuellen Attraktivität. Dies geht direkt und ausgesprochen auf Partnerbeeinflussung aus. Auffälligkeit ist angestrebt, Aufmerksamkeit wird eingefordert, die sexuellen Reize werden betont und nonverbale Avancen werden ausgesandt. Diese Konzeption führt auf dem Weg von den Schönheitsidealen hin zur aggressiven, ungehemmten Attraktivität und damit zur Übersteigerung der provokanten Attribute solcher Zielrichtung. Auf dem Weg hin zu den Merkmalen, die bei den Masken bizarr verzerrt und übersteigert dargestellt sind. Und Dauerhaftigkeit ist angestrebt im Bemühen um jugendliches Aussehen. Also Kampf gegen die Hautalterung. Beides ist von Bedeutung.

Betrachten wir die Phänomene im Einzelnen und sehen wir ab von operativen sowie dekorativen Korrekturen von Malformationen und Narben, die hier nicht gemeint, aber oft segensreich und nötig sind.

Die Augenhorizontale wird betont durch Öffnen der Schlitzaugen, Lidoperationen und gezielte Epilation der Brauen. Faltenfüllen, Botox-Anwendung und Fettunterfüllungen gruppieren sich drum herum. Flächige Schälungen unterschiedlicher Art und straffende Operationen der Gesichthaut ergänzen die Bemühung. Dies alles bleibt im Bereich der Variationsbreite der Schönheitsbegriffe und überschreitet die sogenannte Fratzengrenze nicht. Leider wird oft eine gewisse Uniformität erzielt und individuelle, schöne und attraktive Elemente verschwinden. Die Nasenvertikale wird ähnlich rücksichtsvoll behandelt.

Die Mundhorizontale aber erleidet massive Veränderungen, ja Verunstaltungen. Das Aufspritzen der Lippen, deren Vergrößerung durch permanente Farbtätowierung und die unnatürliche Konturierung führen zur enormen Betonung des Mundbereiches als einer der wirkmächtigsten natürlichen erotischen Reizregionen. Der Schönheitsbereich wird eindeutig verlassen, oft weit über die Fratzengrenze hinaus, und landet im Bereich der Hässlichkeit von Schreck erregenden Masken.

Noch wird die erotische Attraktivität als neue Qualität der Offerte im Zuge der Partnerfindung zu steigern versucht, noch ist die Fratzengrenze nicht in allen Bereichen bekannt und ausgelotet, noch immer wird diese im Mundbereich weit überschritten und noch kann diese Entwicklung in Dynamik und Verlockung nicht abgeschätzt werden. Doch es mehren sich die Bemühungen zur sorgfältigen Limitierung der Exzesse. Solches betrifft zunächst das Gesicht als erstem Blickfang bei der Begegnung und Erkennung von Personen. Andererseits mehren sich die Möglichkeiten der hormonellen Umgestaltung des Muskelkleides und des invasiven Angehens der Fettdepots. Es mehren sich die Bemühungen um umfassende, ganzheitliche Neugestaltung von Person und Erscheinung, dem „Human Enhancement“, innen wie außen. Dazu gehört auch der Einsatz sowohl dekorativer wie auch permanenter Elemente, welche der ausschmückenden Hautbesetzung durch Tattoo, Piercing und Bemalungen in vielfältiger Art dienen. Schlagwörter wie „Auch Männer schmücken sich!“ begleiten und locken. Ernährung, Medikamentenmissbrauch und Suchtgefahr stehen in der Debatte [4] [5] [6] [8]. Die sehr alten, traditionellen Elemente ritueller Herkunft, wie Tattoo, Piercing und Körperbemalung, gehören dazu, erhalten neue Bedeutungen und auch frische Bildelemente, wobei die Gewichtung eher zur Selbstdarstellung und geringer zur erotischen Attraktion pendelt [9]. Der Mythos Haut wird in neuer Bedeutung in den Medien gepriesen [10] und die Körperpräsentation findet Eingang in die Kunstszene [11].

So erhalten die traditionellen Masken ritueller Provenienz neuerdings eine besondere Bedeutung als Maßgabe und Ausrichtung der Bemühung, das individuelle Erscheinungsbild des frei sich entfaltenden Menschen intentionsorientiert und individuell zu gestalten. Die neue Zielrichtung, sowohl Selbstdarstellung als auch erotische Attraktion, sucht Wege, die im Extremen sich in den Masken schon finden und als Mahnung dienen, um Grenzüberschreitungen zur Hässlichkeit zu vermeiden. Möge dies gelingen.


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Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Jung EG. Das Phänomen Blickdiagnose. Akt Dermatol 2011; 37: 214-217
  • 2 Jung EG. Perseus, Medusa und die Darstellung der Hässlichkeit. Akt Dermatol 2010; 36: 488-491
  • 3 Schöpf E. Leben und Tod in der Kunst der präklassischen Indianerkulturen Mesoamerikas. Heidelberg: Univ. Verlag Winter; 2009
  • 4 Landfester U. Stichworte – Tätowierung und europäische Schriftkultur. Berlin: Matthes & Seitz; 2012
  • 5 Zeuch U et al. Haut, verborgen im Buch, verborgen im Körper. Ausstellungskatalog. Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek; 2003
  • 6 Mittag H. Die Haut im medizinischen und kulturgeschichtlichen Kontext. Marburg: Völker & Ritter; 2001
  • 7 Eco U. Die Geschichte der Hässlichkeit. München: Hanser; 2007
  • 8 Benthien C. Haut, Literaturgeschichte – Körperbilder - Grenzdiskurse. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt; 2001
  • 9 Burkhard D. Hautgedächtnis. Hildesheim: G. Olms Verlag; 2011
  • 10 Mewes C, Steinkraus V. Haut, Mythos und Medium. Hamburg: Kunsthaus Hamburg, Revolver Publishing; 2011
  • 11 O’Reilly S. Body Art, der Körper in der zeitgenössischen Kunst. Berlin & München: dky GmbH; 2012

Korrespondenzadresse

Prof. Ernst G. Jung
Maulbeerweg 20
69120 Heidelberg

  • Literatur

  • 1 Jung EG. Das Phänomen Blickdiagnose. Akt Dermatol 2011; 37: 214-217
  • 2 Jung EG. Perseus, Medusa und die Darstellung der Hässlichkeit. Akt Dermatol 2010; 36: 488-491
  • 3 Schöpf E. Leben und Tod in der Kunst der präklassischen Indianerkulturen Mesoamerikas. Heidelberg: Univ. Verlag Winter; 2009
  • 4 Landfester U. Stichworte – Tätowierung und europäische Schriftkultur. Berlin: Matthes & Seitz; 2012
  • 5 Zeuch U et al. Haut, verborgen im Buch, verborgen im Körper. Ausstellungskatalog. Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek; 2003
  • 6 Mittag H. Die Haut im medizinischen und kulturgeschichtlichen Kontext. Marburg: Völker & Ritter; 2001
  • 7 Eco U. Die Geschichte der Hässlichkeit. München: Hanser; 2007
  • 8 Benthien C. Haut, Literaturgeschichte – Körperbilder - Grenzdiskurse. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt; 2001
  • 9 Burkhard D. Hautgedächtnis. Hildesheim: G. Olms Verlag; 2011
  • 10 Mewes C, Steinkraus V. Haut, Mythos und Medium. Hamburg: Kunsthaus Hamburg, Revolver Publishing; 2011
  • 11 O’Reilly S. Body Art, der Körper in der zeitgenössischen Kunst. Berlin & München: dky GmbH; 2012

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Abb. 1 Kindervers der Elemente zur Darstellung und Erkennung eines Gesichtes. Die drei führenden Elemente, Nasenvertikale und die beiden Horizontalen von Mund und Augen, sind auf einen Blick erkennbar, innert der 3 Sekunden, die neurophysiologisch der „Gegenwart“ entsprechen (vgl. [1]).
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Abb. 2 Gorgonenhaupt der Medusa auf einer attischen Drachme 520 v. Chr. (aus [2]). Breit stehende Glotzaugen, der Mund extrem verbreitert mit heraushängender Zunge sowie Schnauz- und umrandende Kopfbehaarung. Die Nasenvertikale wird verstärkt durch die Fortsetzung nach unten durch die Zunge.
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Abb. 3 Schreckmasken-Medaillon aus dem Turm der Heilig-Geist-Kirche Heidelberg: breitstehende Augenhöhlen und breite, seitlich kugelig aufgeweitete Mundpartie. Besonders eindrücklich erscheint die Nasenvertikale, die nach unten über die median hochgezogene Unterlippe bis zum wulstig prominenten Kinn verlängert wird.
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Abb. 4 Hexenmaske aus dem Sarganserland mit längs-ovalem Gesicht, Glotzaugen und klobig vergrößerter Mundpartie mit grimmigem Zahnbesatz. Die Nasenvertikale wird durch Zinkennase fast brückenartig nach unten zum hochgezogenen Kinn verlängert.
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Abb. 5 Alemannische Schellenmaske (Narr, Bajass, auch Eulenspiegel etc.) aus Basel mit Kleinfigur am Narrenstab: Glotzaugen, extrem verbreiterter, zahngarnierter Mund und starke Betonung der übergroßen Nase.
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Abb. 6 Alemannische Maske mit übergroßer Nase und verbreiterter, seitlich rund geweiteter Mundhorizontale, wulstigen Lippen und massivem Zahnsatz, „Rottweiler Biss“.
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Abb. 7 Olmekische Schamanenmaske (Mexiko, 2. Jahrtausend v. Chr.) mit großen Augenhöhlen, Knollennase und gesichtsbreit vergrößerter Mundpartie mit Bartbehaarung, Zahnbesatz und Wulstlippen, dazu der für Schamanen typische Bartbesatz (aus [3]).