pferde spiegel 2013; 16(2): 74-77
DOI: 10.1055/s-0032-1328589
aktuell
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Zeitgemäßes Entwurmungsmanagement – Selektive oder strategische Entwurmung?

Anne Becher
,
Kurt Pfister
,
Georg von Samson-Himmelstjerna
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eingereicht n.a.

akzeptiert n.a.

Publication Date:
19 June 2013 (online)

Selektive Entwurmung

Anne Becher, Kurt Pfister

Seit der Einführung der ersten sog. modernen Wurmmittel in den 1960er Jahren zielt die Entwurmung der Pferde darauf ab, den Entwicklungszyklus der Parasiten möglichst zu unterbrechen und dadurch die Infektionsübertragung so weit wie möglich zu verhindern. Um dieser Zielvorgabe gerecht zu werden und zugleich die Gefahr durch die besonders pathogenen Großen Strongyliden zu minimieren, wurde damals in den USA die sog. „Strategische Entwurmung“ entwickelt.

Strategische Entwurmung

Strategische Entwurmung bedeutet eine 3- bis 4-mal jährliche Entwurmung aller Pferde eines Bestandes meist ohne vorher das Parasitenspektrum zu diagnostizieren. Laut neueren Untersuchungen aus Deutschland und vielen anderen Ländern stellen bei Pferden aber mittlerweile die Kleinen Strongyliden die dominierende Wurmspezies dar. Alarmierend ist, dass sich bei diesen aufgrund der regelmäßigen strategischen Entwurmungen Resistenzen gegen diverse Wurmmittel ausbreiten.

Andererseits zeigen großflächige Untersuchungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern, dass bei über 30 % der untersuchten erwachsenen Pferde auch bei wiederholter Untersuchung überhaupt keine Ausscheidung von Strongylideneiern nachzuweisen ist. Bei einem etwa gleich großen Anteil von Pferden liegt nur eine ausgesprochen niedrige Eiausscheidung vor. Sehr bedeutsam ist jedoch, dass nur sehr wenige Tiere einer Herde größere Mengen von Rundwürmern im Verdauungstrakt aufweisen und somit fortlaufend höhere Eimengen ausscheiden. Dieses Phänomen wird in der Literatur als „Strongyle egg shedding consistency“ bezeichnet und als Grundlage für die Selektive Entwurmung genutzt.


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Selektive Entwurmung

Das Prinzip der Selektiven Entwurmung besteht nun darin, nur diejenigen Pferde zu entwurmen, die eine erhöhte Ausscheidung von Strongylideneiern aufweisen. Der dazu benötigte Ansatz ist eine quantitative Untersuchung der Eiausscheidung mittels McMaster-Verfahren. Der Schwellenwert für eine Entwurmung ist international abgestimmt ist und liegt bei 200 Eiern pro Gramm (EpG) Kot.

Es gibt mehrere Gründe für dieses Vorgehen:

  1. Es werden nur diejenigen Pferde entwurmt, für die auch tatsächlich eine veterinärmedizinische Indikation für eine Entwurmung gegeben ist.

  2. Es wird gezielt gegen die nachgewiesenen Parasiten vorgegangen und nicht unbedacht einer evtl. vorhandenen Wurmbürde eine ungezielte Entwurmung durchgeführt.

  3. Zusätzlich erlaubt diese Vorgehensweise aufgrund der wiederholten Kotuntersuchungen eine genaue Diagnostik der evtl. im Bestand vorkommenden Spul- und/oder Bandwurminfektionen. Diese werden in der Folge ebenfalls gezielt behandelt.

  4. Dadurch, dass nicht die ganze Wurmpopulation in allen Pferde eines Bestandes mit dem Wirkstoff in Kontakt kommt, können sich weiterhin wirkstoffempfindliche Würmer vermehren und so eine Population von wirkstoffempfindlichen Würmern aufrechterhalten. Die Resistenzentwicklung wird dadurch verzögert.

  5. Eine geringe Wurmbürde im Tier, die für die entsprechenden Tiere absolut harmlos und ohne jegliche klinischen Konsequenzen ist, hat für die betroffenen Pferde einen außerordentlich positiven Effekt: Das Immunsystem wird gegen Neuinfektionen stimuliert, ein wichtiges Element in der körpereigenen Abwehr.

  6. Schließlich garantiert die gezielte Parasitenbekämpfung ein wirksames und nachhaltiges Parasitenmanagement, das keine unnötigen Behandlungen für Pferd und Umwelt erfordert und zudem durch das kontinuierliche Monitoring eine außerordentlich wichtige Stütze für das Dreieckverhältnis Pferd – Besitzer – Tierarzt und die Kundenbindung darstellt.

Weidekontamination reduzieren

Die festgestellte Eiausscheidung ist im Rahmen der Selektiven Entwurmung das Maß für die Kontamination der Weiden und Koppeln. Dies bedeutet, dass durch die gezielte Entwurmung diejenigen Pferde behandelt werden, die für die hohe Verseuchung der Weiden verantwortlich sind. Genau diese Verseuchung gilt es in Zukunft für den Bestand zu verhindern.

Die durchgeführte diagnostische Abklärung wird damit zu einem wesentlichen Teil der Prophylaxe des Wurmbefalls: Die Weidekontamination wird signifikant reduziert und dadurch die Wurminfektionen drastisch gesenkt.


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Sammelkotproben

Die von Samson-Himmelstjerna et al. 2011 propagierte Untersuchung von Sammelkotproben mehrerer Pferde macht unserer Ansicht nach zum Monitoring von Kleinen Strongyliden keinen Sinn: Ob ein Bestand infiziert ist oder nicht sollte sowieso bekannt sein. In Bezug auf das Niveau der Eiausscheidung kann die erhöhte Eiausscheidung eines einzelnen Pferdes die Werte in der Sammelkotuntersuchung total verfälschen. Eine Untersuchung von Sammelkotproben bringt keinen Informationsgewinn, sie täuscht lediglich einen kostengünstigen Ansatz vor.

Außerdem kann sie die unnötige Entwurmung der ganzen Herde implizieren, obwohl z. B. nur ein einzelnes Pferd eine hohe Strongyliden-Eiausscheidung hat und eine große Anzahl der Pferde keine Eiausscheidung zeigt. Ebenso wenig ist die alleinige Untersuchung einer Sammelkotprobe nach einer Entwurmung zur Überprüfung der Wirksamkeit nicht zielführend. Auf diese Weise kann nicht sichergestellt werden, dass vor der Entwurmung eine relevante Eiausscheidung zu beobachten war.


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Vorteile der Selektiven Entwurmung

Es gibt eine Reihe von weiteren Gründen, die mit aller Deutlichkeit aufzeigen, dass die Vorgehensweise der Selektiven Entwurmung der Weg in die Zukunft darstellt:

  • Die gelegentlich geäußerte Meinung, die Variabilität bei der McMaster-Untersuchung sei zu groß um aus den Untersuchungen die richtigen Schlüsse zu ziehen, bzw. ein relevanter Befall könne bei diesem Vorgehen im Rahmen der Selektiven Entwurmung übersehen werden. Dieses Argument ist haltlos, da bei der korrekten Vorgehensweise im Rahmen der Selektiven Entwurmung die gleichen Pferde – zumindest im 1. Jahr – mehrmals koprologisch untersucht werden. Dadurch wird einerseits die Wurmeiausscheidung für jedes Pferd genau erfasst und zusätzlich ist das Parasitenspektrum bekannt.

  • Zu einem relevanten Befall d. h. einer massiven Infektion und damit zu klinischen Symptomen kann es bei der korrekten Durchführung der Selektiven Entwurmung nicht mehr kommen, da der Infektionsdruck nachweislich gesenkt wird. Diesbezüglich ist ferner festzuhalten, dass es derzeit außerordentlich wenige ernsthafte klinisch und/oder pathologisch-anatomisch bestätigte Fälle von Strongyliden-assoziierten Erkrankungsfällen gibt und diese immer mit einer massiven Infektion in Zusammenhang standen.

  • Ein wesentliches Momentum in der Wurmbekämpfung beim Pferd ist der Befall mit Großen Strongyliden, insbesondere Strongylus vulgaris. Aus neueren Untersuchungen ist bekannt, dass z. B. S. vulgaris in Dänemark nach wie vor verbreitet ist. Obwohl dort gesetzliche Vorgaben betr. vorgängiger Diagnostik bestehen, ist ein weiteres Vorkommen von S. vulgaris bei unsachgemäßer Anwendung der Selektiven Entwurmung durchaus möglich. Hier in Deutschland ist der S. vulgaris-Befall derzeit praktisch inexistent: Neuere Untersuchungen zeigen, dass er < 1 % beträgt. Dies bedeutet, dass ein konsequentes Vorgehen im Rahmen der Selektiven Entwurmung wichtig ist: Zusätzlich zu den vorgegebenen quantitativen koprologischen Untersuchungen (McMaster) sollte 1 x pro Jahr eine Sammelkotprobe pro Bestand zur Larvenkultur angesetzt oder im Herbst eine Behandlung aller Pferde des Bestandes durchgeführt werden. Ebenso ist es unerlässlich, neu in den Bestand eintretende Pferde konsequenten parasitologischen Quarantänemaßnahmen zu unterziehen.

Das konkrete Vorgehen bei der Selektiven Entwurmung wird in [Kasten 1] dargestellt.

1 Ablauf der Selektiven Entwurmung

1. Jahr:

  • Untersuchung von 4 Einzelkotproben aller Pferden eines Bestands während der Weidesaison

  • Pferde mit Eiausscheidung ≥ 200 EpG: Entwurmen und 14 Tage später erneute Einzelkotprobe

Einteilung der Pferde am Ende des 1. Jahres anhand dieser Befunde in 2 Gruppen:

  • Pferde mit keiner oder geringer Eiausscheidung: 2-malige koprologische Untersuchung pro Jahr mit anschließender gezielter Entwurmung

  • Pferde mit wiederholt hoher Eiausscheidung: kontinuierliche Entwurmung entsprechend der Wirkungsdauer der verwendeten Medikamente. Die Anwendung von vorgängig auf ihre Wirksamkeit getesteten Substanzen ist unerlässlich.

Nicht genau klassifizierbare Pferde: erneute 4-malige Kotuntersuchung im 2. Jahr

Die Selektive Entwurmung wird mittlerweile in mehreren Ländern Europas und in den USA durchgeführt und unsere großflächigen Untersuchungen zeigen, dass ihr Einsatz auch in Deutschland machbar und wirtschaftlich ist. Die tierärztliche Praxis wird dadurch zusätzlich unabhängiger vom Dispensierrecht, da bei dieser Vorgehensweise die tierärztlichen Kompetenzen, d. h. Diagnostik und Beratung den Umsatz durch Arzneimittel ersetzen. Gleichzeitig erfüllt die Selektive Entwurmung sämtliche Voraussetzungen an die heutzutage unbedingt anzustrebende „Evidence-based Veterinary Medicine“. Der Tierarzt triff sein Behandlungsentscheidungen auf der Grundlage diagnostischer Abklärungen und somit forensisch nachvollziehbar.


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