Aktuelle Urol 2012; 43(05): 292
DOI: 10.1055/s-0032-1329378
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kurzmitteilung – Interstitielle Zystitis oft unerkannt

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Publication Date:
08 October 2012 (online)

 
 

Schmerz und Harndrang mit bis zu 60 Toilettengängen tags und nachts führen Patienten, die an einer chronischen, nicht bakteriellen, interstitiellen Entzündung der Harnblasenwand (IC) erkrankt sind, nicht selten in die soziale Isolation und in die Erwerbsunfähigkeit. Die Erkrankung ist schwer zu diagnostizieren und wird oft, wenn überhaupt, erst nach Jahren erkannt. Die Ursachen der IC sind weitgehend unbekannt, eine Heilung ist bisher nicht möglich. Mit neuen Forschungsansätzen, die auf dem 64. Kongress der DGU im September in Leipzig vorgestellt werden, suchen Urologen nach einer frühen Diagnose und ursachenbezogenen Therapiekonzepten.

"Selbst unter Medizinern ist die Interstitielle Zystitis noch zu wenig bekannt", sagt DGU- und Kongresspräsident Prof. Dr. Stefan Müller. Nach Schätzungen des Fördervereins Interstitielle Cystitis (ICA-Deutschland e.V.) soll es bis zu 25 000 Fälle in Deutschland geben. "Die Dunkelziffer ist hoch, da die Differenzierung zwischen einer beginnenden IC und dem Krankheitsbild der überaktiven Blase schwierig ist", so Müller. Bleibt die Erkrankung unerkannt und unzureichend behandelt, drohen den Betroffenen die operative Entfernung der Harnblase. Eine umfassende IC-Diagnostik sei aufwendig und ruhe auf 3 Säulen, sagt Dr. Thilo Schwalenberg, leitender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum Leipzig. "Neben der Erfassung der klinischen Symptome gehören eine Blasenspiegelung mit einer Gewebeentnahme zur mikroskopischen Untersuchung und die Molekulardiagnostik spezifischer Zellproteine dazu, denn die IC ist eine Endorganerkrankung, die Veränderungen in allen Schichten der Harnblasenwand hervorrufen kann und dort Spuren auf zellulärer Ebene hinterlässt", so Schwalenberg, der sich der Erforschung der IC widmet.

Störung der Gewebeintegrität führt zur chronischen Entzündung

Schmerztherapie und Blaseninstillationen mit Medikamenten zur Wiederherstellung der defekten Blasenschutzschicht (GAG-Schicht) können ein Fortschreiten der Erkrankung verhindern und Symptome lindern. Eine Heilung ist nicht möglich, da weder die Mechanismen der Krankheitsentstehung noch deren Ursache hinreichend erforscht sind. "Wir verstehen den Krankheitsprozess der IC vorrangig als einen initial vorliegenden Immun- und Barrieredefekt im Gewebe der ableitenden Harnwege, insbesondere im Urothel. Eine Störung der Gewebeintegrität verändert das Bindungsverhalten der Oberflächenproteine und führt letztendlich zu einer chronischen Entzündung, die dann alle Schichten der Blasenwand betrifft", sagt Schwalenberg. Die jahrelange wissenschaftliche Diskussion um die Terminologie, welche die IC auf europäischer Ebene zuletzt als Blasenschmerz-Syndrom einordnete, kritisiert der Leipziger Urologe: "Der Begriff Schmerzsyndrom führt weg von der Entstehung einer Erkrankung mit Verletzungen und Umbauvorgängen im Urothel, die es gezielt zu therapieren gilt. Mit dieser Terminologie werden nicht nur Wege zu einer kausalen Therapie erschwert, wir versäumen es auch als Urologen, die frühen Formen der IC zu diagnostizieren." Nicht die Schmerzbehandlung stehe am Anfang, sondern die differenzierte Untersuchung des erkrankten Gewebes der Blase.

Infolge der neuen Nomenklatur werden teure GAG-Instillate zur Blasenspülung kaum noch von den Kostenträgern erstattet. Im Durchschnitt bezahlen IC-Patienten monatlich über 250€ für ihre Behandlung aus eigener Tasche, so ein Ergebnis einer Versorgungsstudie des Fördervereins Interstitelle Cystitis ICA-Deutschland e.V., der sich seit fast 20 Jahren für Aufklärung, Forschung und Betreuung von Betroffenen einsetzt.

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Interstitielle Zystitis mit diskoiden und konfl urierenden Hämorrhagien. Die IC ist oft schwer zu diagnostizieren, da sie dem Krankheitsbild der überaktiven Blase ähnelt.(Bild: Wille S, Heidenreich A, aus Atlas der diagnostischen Endourologie; Thieme 2009)

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Eröffnet hCG eine neue therapeutische Perspektive?

Auf der Suche nach einer ursachenbezogenen Therapie untersucht Schwalenberg aktuell die Rolle des Schwangerschaftshormons humanes Choriongonadotropin (hCG), da beobachtet wurde, dass sich die Symptomatik einer IC bei Schwangeren bessert: "Wir konnten geschlechtsunabhängig signifikant erhöhtes hCG bei IC-Patienten nachweisen, was auf einen Schutz- oder Reparaturmechanismus hinweist und eine neue therapeutische Perspektive eröffnet." Jüngste Ergebnisse wird der Leipziger Urologe auf dem 64. DGU-Kongress vorstellen, darunter ein klinisch anwendbares diagnostisches Tool, das die Frühdiagnostik der IC und Differenzialdiagnostik zur überaktiven Blase unterstützen soll.

Nach wie vor gelte die IC als eine der am schwierigsten zu therapierenden Erkrankungen, so Schwalenberg. Für ihn stehe sie in einer Kategorie mit Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose, der Rheumatoiden Arthritis oder dem Morbus Crohn. Auch bei diesen Erkrankungen seien die Pathomechanismen noch nicht endgültig geklärt. Im Unterschied zur IC würden aber in den dortigen Fachdisziplinen seit Jahren schon eine sehr intensive Diskussion geführt und Forschungsaktivitäten vorangetrieben. Nicht nur die Therapeuten, sondern auch die Industrie und die Kostenträger seien hier ganz intensiv einbezogen. Entsprechendes Engagement für die IC sei wünschenswert, so auch der Appell von DGU-Präsident Müller.

Nach einer Pressemitteilung (DGU)


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Interstitielle Zystitis mit diskoiden und konfl urierenden Hämorrhagien. Die IC ist oft schwer zu diagnostizieren, da sie dem Krankheitsbild der überaktiven Blase ähnelt.(Bild: Wille S, Heidenreich A, aus Atlas der diagnostischen Endourologie; Thieme 2009)