Psychiatr Prax 2013; 40(03): 117-118
DOI: 10.1055/s-0032-1332939
Debatte: Pro & Kontra
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Videoüberwachung in der Psychiatrie – Pro & Kontra

Video Surveillance in Psychiatric Hospitals – Pro & Contra
Udo Frank
ZfP Südwürttemberg, Krankenhaus für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie
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Korrespondenzadresse

Dr. Udo Frank
ZfP Südwürttemberg, Krankenhaus für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie
Weingartshoferstraße 2
88214 Ravensburg

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. April 2013 (online)

 

Pro

2009 genehmigte das Sozialministerium Nordrhein-Westfalen per Erlass die Videoüberwachung auf psychiatrischen Stationen, insbesondere bei Patienten, die sich selbst- oder fremdgefährdend verhalten. Begründet wurde dies u. a. mit erhöhter Sicherheit im Krankenhaus und einer Entlastung des Personals. Eine massive politische, rechtliche, ethische und fachlich-sozialpsychiatrische Kritik an diesem Erlass führte zunächst zu dessen Modifikation und nach heftigen Protesten, auch von Angehörigen- und Betroffenenverbänden, im November 2011 zu einem gesetzlichen Verbot der Videoüberwachung in psychiatrischen Kliniken.


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Argumentativ wurde angeführt, dass Zwangsmaßnahmen ein kuratives Ziel verfolgen und auf kurze Zeitfenster begrenzt sind, sodass der personelle Aufwand einer kontinuierlichen Überwachung als leistbar erscheint und die Psychopathologie häufig von paranoiden Symptomen geprägt ist, die über Kameraüberwachung gefördert werde. Psychiatrieerfahrene sehen teilweise in Zwangsmaßnahmen folterähnliche Zustände [1], lehnen eine Videoüberwachung generell ab und sehen sie als Ausdruck einer gleichgültigen Haltung der Mitarbeitenden sowie deren Desinteresse, sich mit psychiatrisierten Menschen zu beschäftigen. Personalknappheit wird für eine vorgeschobene Lüge gehalten [2].

Die gesetzliche Regelung in NRW hat bundesweit die Debatte zur Videoüberwachung in der Psychiatrie intensiviert und lässt Forderungen nach einem generellen Verbot laut werden.

Auch wenn in der Diskussion gelegentlich aus Expertensicht die Videoüberwachung in der Psychiatrie generell als kontraproduktiv bezeichnet wird [3], sprechen gewichtige Gründe gegen ein völliges Verbot. So trifft es in der täglichen Behandlungspraxis eben gerade nicht zu, dass Menschen in hoch erregten Ausnahmezuständen oder im subjektiven Erleben massiver Reizüberflutung sich ständige Präsenz einer anderen Person wünschen. Vielmehr finden sich auch Bedürfnisse nach Reizabschirmung, in Ruhe gelassen zu werden oder Alleinsein durchaus auch im Rahmen von Zwangsmaßnahmen. Zudem sind Situationen bekannt, in denen die mit Einzelbetreuung verbundene Präsenz paranoide Erlebensweisen verstärkt oder aber die Sonderzuwendung sich als kontratherapeutisch erweist. So sahen wir beispielsweise eine Patientin, die nach einer Brandstiftung forensisch untergebracht war und infolge massiv selbstgefährdenden Verhaltens über längere Zeiträume fixiert werden musste. Dabei wurde sie einzelbetreut. Nachdem keinerlei Besserungstendenz erkennbar war, lag die Hypothese nahe, dass es sich bei dem Verhalten, das die wiederholten Fixierungen zur Folge hatte, um die dysfunktionale Einforderung von Zuwendung handelte. Erst die gezielte, bewusst therapeutisch veranlasste Reduktion der Betreuungsintensität in der Fixierung führte zur entscheidenden Wende im Behandlungsverlauf. In einer solchen Situation kann die Videoüberwachung die erforderliche Sicherheit gewährleisten. Die Patientin konnte im Weiteren schrittweise entfixiert werden und gelangte zu einer stabilen Verhaltensänderung, die in eine zügige Rehabilitation mit erfolgreicher Entlassung mündete.

Auch die Einstellungen der von einer Videoüberwachung betroffenen Patienten sind in die Diskussion einzubeziehen. Datenmaterial hierzu ist rar. Umso bemerkenswerter sind die Ergebnisse einer 2009 auf einer geschlossenen Station in Gelsenkirchen durchgeführten Befragung [4], die die Einstellung psychisch Erkrankter zur Videoüberwachung untersuchte. Die befragten Personen füllten anonym einen entsprechenden Fragebogen zum Zeitpunkt der Entlassung oder Verlegung von der geschlossenen Station aus. Sie wurden u. a. zu ihrer Meinung zur Videoüberwachung auf den Stationsfluren und in den sog. Überwachungszimmern, in denen die fixierten bzw. isolierten Patienten untergebracht wurden, befragt. Trotz der ausdrücklich freiwilligen Teilnahme nahmen von insgesamt 213 unselektiv angesprochenen Patientinnen und Patienten alle an der Befragung teil. Die diagnostisch gemischte Gruppe kam zu mehr als einem Drittel auf Grundlage des PsychKG in die Behandlung, jeder dritte Patient musste mindestens einmal fixiert bzw. isoliert werden.

153 (71,8 %) waren ausdrücklich nicht der Meinung, dass die Videoüberwachung in den Überwachungszimmern entwürdigend, unmenschlich und eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte sei. 26 (12,2 %) der 213 Patienten waren allerdings dieser Ansicht. Im Hinblick auf die Verschlimmerung ihrer Krankheit waren 12 (5,6 %) der Patienten der Ansicht, dass die Videoüberwachung in den Überwachungszimmern eben hierzu beitrage. 159 (74,6 %) waren nicht dieser Meinung. 174 (81,7 %) der Patienten bestätigten die Aussage, dass die Videoüberwachung in den Überwachungszimmern ihrer Sicherheit sowie der Sicherheit von Besuchern diene, während 20 (9,4 %) nicht dieser Meinung waren. Auch für die Videoüberwachung in den Stationsfluren und der Küche ergaben sich größenordnungsmäßig ähnliche Ergebnisse mit tendenziell noch höherer Akzeptanz für eine Videoüberwachung.

Zusammenfassend wird in der Arbeit festgehalten, dass die große Mehrheit der befragten Patientinnen und Patienten die Videoüberwachung auf der Station durchaus positiv bewertet und als Beitrag zur Sicherheit wahrnimmt. Allerdings wird – zu Recht – die kleine Gruppe derer, die die Videoüberwachung als unwürdig oder krankheitsverschlimmernd empfanden, als substanziell angesehen. Vor diesem Hintergrund ist dem Vorschlag ausdrücklich zuzustimmen, dass zu überlegen ist, wie man den Patientenwillen bei den individuellen Überwachungsmaßnahmen zukünftig besser berücksichtigen kann. Optimal müssen Entscheidungswege entwickelt und Möglichkeiten geschaffen werden, damit das menschlich und therapeutisch Wünschenswerte im Einzelfall realisiert wird.

Ein generelles Verbot der Videoüberwachung verschließt derartige Wahlmöglichkeiten. Ruhe- und rückzugsbedürftigen Menschen, die überwachungsbedürftig sind, wird damit eine persönliche Einzelüberwachung aufgezwungen. Dies ist auch deswegen unangemessen, da viele psychisch Erkrankte selbst dem Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen positiv gegenüberstehen und in diesen ein nützliches Instrument für höhere Sicherheit sehen.

Zu bedenken ist auch, dass Fixierungen als ausschließliches Mittel zur Begrenzung aggressiven und selbstdestruktiven Verhaltens weder unter ethischen Gesichtspunkten, nach internationaler Rechtsprechung [5] oder fachlichen Standards [6] noch als zeitgemäß anzusehen sind. Im Sinne der zu fordernden Verhältnismäßigkeit und abgestuften Reaktionsweise, aber auch der Berücksichtigung von Patientenpräferenzen sind andere, weniger eingreifende Maßnahmen wie bspw. Isolierungen ebenfalls vorzuhalten. Dies wird in Ländern wie der Schweiz oder den Niederlanden sogar überwiegend so praktiziert. Bei diesen Maßnahmen dürfte aber eine permanente Überwachung durch eine Pflegeperson aus praktischen, ethischen und personalrechtlichen Gründen kaum zu realisieren sein. Ein vollständiges Verbot der Videoüberwachung wäre dann im Ergebnis kein Zugewinn an Humanität, sondern würde in Wirklichkeit dazu führen, im Konfliktfall stets zu fixieren und auf weniger freiheitseinschränkende Maßnahmen zu verzichten.

Dass für die erforderliche Rechtssicherheit einer Videoüberwachung datenschutzrechtliche Vorgaben zu beachten und hierfür gesetzliche Grundlagen erforderlich sind, steht außer Frage. Diese sollten insbesondere Klarheit schaffen zu Indikation und Umfang der Videoüberwachung, Sicherstellung der Information der Patienten, Abwägung der Verhältnismäßigkeit, Regelung oder Verbot der Speicherung von Bildaufnahmen etc., um für Patientinnen und Patienten, ihre Angehörigen und die Beschäftigten in den psychiatrischen Krankenhäusern und Abteilungen Rechtssicherheit zu schaffen.

Videoüberwachung kann im Übrigen höchstens ein Einzelbaustein eines gesamten Behandlungssettings sein. Wenn das Behandlungssetting patientenfreundlich und ‑orientiert ausgestaltet ist und die technischen Überwachungsmöglichkeiten entsprechend eingesetzt werden, spricht viel gegen ein generelles Verbot und wenig dagegen, sich diese Möglichkeiten zunutze zu machen.


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